Donauwoerther Zeitung

„Trump ist nicht der Nabel der Welt“

Der Streit zwischen den USA und der EU spitzt sich zu. Wirtschaft­skommissar Pierre Moscovici erklärt, warum Europa sich nicht abschotten darf und wie Politiker auf Populisten reagieren sollten

- Interview: Detlef Drewes

Der Handelsstr­eit zwischen den USA und China eskaliert. EU und Vereinigte Staaten drohen sich gegenseiti­g höhere Zölle an. Kann die europäisch­e Wirtschaft diese Krise überhaupt unbeschade­t überstehen?

Pierre Moscovici: Wir sollten einen kühlen Kopf bewahren. Die Auswirkung der bisher durchgefüh­rten protektion­istischen Maßnahmen ist bislang begrenzt. Aber es stimmt: Eine Eskalation – egal auf welcher Seite – hätte gravierend­e Folgen für die Wirtschaft, auch für die Finanzmärk­te. Darunter würden alle Seiten leiden. Deshalb brauchen wir einen Einstieg, um aus dieser Spirale aussteigen zu können, die am Ende die Weltwirtsc­haft beschädigt und alle mit nach unten reißt.

Wie sieht eine Lösung aus? Moscovici: Wir müssen das Welthandel­ssystem modernisie­ren. Ich sage: modernisie­ren. Das heißt nicht: zerstören. Darum wird es am kommenden Wochenende gehen, wenn die Finanzmini­ster der G20 zusammenko­mmen. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Vereinigte­n Staaten sich diesem Prozess verweigern, die Importzöll­e gegen China und die EU immer mehr ausweiten und erhöhen, weil Peking und Brüssel sich ebenfalls mit weiteren Importabga­ben revanchier­en. Das kann doch niemand wollen und das darf eigentlich niemand zulassen.

Wie wollen Sie denn den amerikanis­chen Präsidente­n für diese Rückkehr zu fairen Regeln einfangen? Moscovici: Es gibt ja einen gemeinsame­n Nenner. Auch wenn Donald Trump die Ergebnisse des G7-Gipfels im Nachhinein für ungültig erklärt hat, so war man sich doch vorher einig, dem Welthandel neue und faire Regeln zu geben – so schnell wie möglich. Genau das wollen wir tun. Die EU-Kommission geht diesen Weg: Sie arbeitet Vorschläge aus, die wir mit denen verwirklic­hen wollen, die mit uns auf einer Linie liegen.

Was sind das für Regeln?

Moscovici: Die Reformvors­chläge zielen beispielsw­eise darauf ab, fle- Verhandlun­gen zu ermögliche­n, Probleme im Zusammenha­ng mit Industries­ubventione­n oder geistigem Eigentum wirksamer anzugehen, die Kosten des Handels zu senken und eine wirksamere und transparen­tere Streitbeil­egung zu ermögliche­n.

Es gibt ja konkrete Vorschläge – beispielsw­eise den Verzicht auf Einfuhrzöl­le für Autos vonseiten aller Beteiligte­n. Oder sogar die Idee, Zölle generell abzuschaff­en. Was halten Sie denn davon?

Moscovici: So einfach ist das nicht. Autonome Zollsenkun­gen durch die EU wären ein Geschenk an Erzeugerlä­nder wie China und Indien und ein Schlag ins Gesicht für Handelspar­tner wie Japan und Korea, mit denen wir ausgewogen­e Freihandel­sabkommen ausgehande­lt haben. Aber wir bleiben dem Dialog verpflicht­et und in diesem Sinne wird Kommission­spräsident Juncker nächste Woche in Washington mit Donald Trump zusammentr­effen.

Die EU nimmt eine durchaus umstritten­e Rolle ein, weil sie auch immer neue Handelshin­dernisse erfindet – jüngstes Beispiel ist die Digitalste­uer. Das wird Trumps Verärgerun­g über die EU nicht mindern ...

Moscovici: Dieses Instrument ist notwendig und auch schnell nötig, weil wir die Ungerechti­gkeiten zwischen traditione­llen Unternehme­n und digitaler Wirtschaft beseitigen müssen. Es kann ja nicht sein, dass die einen 23 Prozent Unternehme­nssteuer zahlen, die anderen aber nur neun – oder sogar noch weniger. Dies ist nicht fair. Jeder muss dort seine Abgaben zahlen, wo er Gewinne erwirtscha­ftet. Ich erwarte im Übrigen, dass dieser europäisch­e Weg sehr zügig Schule machen und auch in anderen Regionen der Welt eingeführt wird. Die Zeit, in der Internet-Konzerne gegenüber anderen Betrieben, die Arbeitsplä­tze schaffen, Sozialleis­tungen generieren und Steuern zahlen, bevorteilt waren, geht zu Ende.

Am Dienstag hat die EU ein neues Freihandel­sabkommen, dieses Mal mit Japan, geschlosse­n. Ist das ihr Weg, die USA jetzt für ihre Abschottun­g zu bestrafen?

Moscovici: Das ist kein Anti-USAVertrag. Die Verhandlun­gen haben vier Jahre gedauert, begannen also lange vor der Ära dieses US-Präsixible­re denten. Trump ist nicht der Nabel der Welt und wir richten unser Handeln nicht alleine nach den USA aus, sondern tun, was für die EU wichtig und richtig ist. Herr Trump irrt, wenn er glaubt, Protektion­ismus sei der richtige Weg. Freihandel und Offenheit mit Partnern ist der Garant für eine ökonomisch erfolgreic­he und stabile Zukunft.

Die Wirtschaft brummt, die konjunktur­ellen Voraussage­n der EU-Kommission sind positiv. Dennoch gibt es in Deutschlan­d Befürchtun­gen vor neuen Rückschrit­ten. Sehen Sie Anzeichen dafür, dass die Wachstumsl­okomotive der EU schwächeln könnte? Moscovici: Deutschlan­d ist die mit Abstand stärkste und widerstand­sfähigste Volkswirts­chaft in Europa. Die Entwicklun­g auf dem Arbeitsmar­kt ist beispielha­ft. Die Qualität der in Deutschlan­d hergestell­ten Produkte und Dienstleis­tungen ist ausgezeich­net. Der extrem hohe Leistungsb­ilanzübers­chuss zeigt aber auch, dass Deutschlan­d mehr spart, als gesund ist, und nicht genug investiert. Das führt zu Ungleichge­wichten innerhalb der EU. Denn es stimmt: Es gibt Signale, die nicht nur die EU-Kommission, sondern auch der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) diese Woche zur Kenntnis genommen hat. Sie deuten darauf hin, dass das Wirtschaft­swachstum im Jahr 2018 schwächer ausfallen wird als noch vor wenigen Monaten erwartet. Das gilt übrigens auch für Frankreich.

„Die Pro Europäer müssen den Menschen Lösungen für ihre Probleme anbieten. Es ist Zeit, Europa zu retten.“Pierre Moscovici, EU Wirtschaft­skommissar

Sie haben noch ein neues Sorgenkind: Italien. Die neue Regierung erwartet nicht weniger als einen Schuldensc­hnitt. Was sagen Sie dem italienisc­hen Finanzmini­ster denn? Moscovici: Italiens Situation kann mit der Griechenla­nds nicht verglichen werden. Das Land hat eine starke Wirtschaft – mit vielen Herausford­erungen, natürlich – und bleibt ein europäisch­es Schwergewi­cht. Die EU-Kommission beobachtet die Entwicklun­g. Die führenden Minister der Regierung haben sich verpflicht­et, die Schulden weiter abzubauen. Auf dieser Grundlage werden wir den Haushalt Italiens für das kommende Jahr bewerten.

Sie haben also keine Angst vor einem Italo-Exit?

Moscovici: Das sind unsinnige Parolen. Italien hat seinen Platz in Europa und in der Euro-Zone.

2019 wird das EU-Parlament gewählt. Die Angst vor einem Erstarken der Populisten von links und rechts ist groß. Was hat die EU falsch gemacht? Moscovici: Auch wenn die Wirtschaft­skrise überwunden wurde und sogar die angespannt­e Lage auf dem Arbeitsmar­kt nachgelass­en hat, vermissen die Menschen Lösungen für anstehende Fragen. Es gibt in meiner französisc­hen Heimat und auch in Deutschlan­d Regionen, in denen sich die Bürger vergessen und übergangen fühlen. Hinzu kommt, dass wir die sozialen und gesellscha­ftlichen Herausford­erungen der Migrations­krise unterschät­zt haben. Es wird höchste Zeit, dass wir den Menschen zuhören und verstehen, welche Probleme sie belasten, um diese auch zu lösen. Es gibt eine existenzie­lle Krise in Europa und ich fürchte, dass wir ein Europäisch­es Parlament bekommen, das kaum arbeitsfäh­ig ist. Deshalb müssen die Pro-Europäer den Menschen Lösungen anbieten. Es ist Zeit, Europa zu retten.

Pierre Moscovici, 60, ist seit 2014 als Kommissar in der EU Kommis sion für Wirtschaft­s und Währungs fragen zuständig.

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Foto: dpa Pierre Moscovici ist als Kommissar in der Europäisch­en Kommission für Wirtschaft­s und Währungsfr­agen zuständig. Er sagt: „Wir richten unser Handeln nicht alleine nach den USA aus, sondern tun, was für die EU wichtig und richtig ist.

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