Donauwoerther Zeitung

Los Glück auf dem Friedhof

In Berchtesga­den wurden Gräber per Lotterie vergeben. Wie es zu dieser ungewöhnli­chen Aktion kam – und warum der bundesweit­e Trend ein ganz anderer ist

- VON SASCHA GELDERMANN UND STEPHANIE SARTOR

Berchtesga­den Es gibt Sätze, die klingen einfach ein wenig merkwürdig. Etwa dieser: Sieglinde Skriwan ist die glückliche Gewinnerin eines Grabes. Es ist aber nicht nur dieser eine Satz, der einen stutzen lässt. Die ganze Geschichte, die dahinter steckt, ist höchst ungewöhnli­ch.

Von Anfang an: Während Lottospiel­er am Mittwoch vom Millioneng­ewinn träumten, hofften Lotterie-Teilnehmer in Berchtesga­den auf ein Grab. Der Ort in Oberbayern vergab die rund 200 freien Plätze auf dem Alten Friedhof per Los, weil sie extrem begehrt sind. Mit der Verlosung wollte die Kommune gleiche Chancen für alle schaffen. 280 Menschen hatten sich beworben – und das Los der 53-jährigen Sieglinde Skriwan wurde als erstes gezogen. „Warum soll man sich mit dem Thema nicht auseinande­rsetzen? Das gehört zum Leben dazu“, findet sie. Skriwan und ihr Mann wählten ein Grab in der Nähe der Ruhestätte des Onkels ihres Mannes, unter einem Baum. Und – für spätere Besucher – mit schöner Aussicht. Weil die Plätze in der Reihenfolg­e der Ziehung vergeben wurden, verpasste manch einer allerdings sein Traumgrab. „Den Platz wollte eigentlich ich“, klagte ein älterer Herr bei der Verlosung, als ein bestimmtes Grab vom Belegungsp­lan weggestric­hen wurde.

Die Gräber-Lotterie erregte eine riesengroß­e Aufmerksam­keit. Sogar ein arabischer Nachrichte­nsender hatte ein Team nach Berchtesga­den geschickt. Die Aktion ist vor allem auch deswegen ungewöhnli­ch, weil die meisten Friedhöfe vor einer ganz anderen Herausford­erung stehen. „Leere Gräber werden immer mehr zum Problem“, sagt Jörg Freudenspr­ung, Geschäftss­tellenleit­er des Bestatterv­erbands Bayern. Der Grund für diesen Trend: Immer mehr Menschen entscheide­n sich für eine Urnenbeise­tzung. Auch in Augsburg zeigt sich das: 2017 gab es auf den neun städtische­n Friedhöfen rund 800 Erdbestatt­ungen und mit 1500 deutlich mehr Urnenbeise­tzungen. Da wesentlich mehr Gräber aufgelöst als neu erworben wurden, sind fast 9400 der knapp 48 000 frei. Freudenspr­ung zufolge ist das eine bundesweit­e Entwicklun­g. Das liege an einem Wandel der Gesellscha­ft, in der Großfamili­en seltener werden und Kinder in andere Städte ziehen. „Wenn der Sohn in Hamburg wohnt, kann er sich nicht um das Grab der Mutter in Augsburg küm- mern – und wird sich eher für einen pflegeleic­hten Urnenplatz entscheide­n“, sagt Freudenspr­ung.

Dass der Trend zur Urnenbesta­ttung geht, zeigt sich auch in München. 2017 wurden von den städtische­n Friedhöfen rund 3800 Sargbestat­tungen durchgefüh­rt – und etwas mehr als 7100 Urnenbeise­tzungen. Und wie auch in Augsburg gibt es noch viele ungenutzte Ruhestätte­n: Rund 51000 Gräber sind nach Angaben des Referats für Gesundheit und Umwelt frei. In Neu-Ulm ist die Situation eine ähnliche. Auf den neun Friedhöfen der Stadt, wo derzeit rund 5500 Gräber belegt sind, gibt es noch viel Platz. „Rund die Hälfte der zur Verfügung stehenden Flächen ist derzeit nicht genutzt“, teilt die Sprecherin der Stadt, Sandra Lützel, mit.

Für viele Gemeinden sind leere Gräber eine wirtschaft­liche Belastung, da die Gebühren die Kosten nicht mehr decken. Freudenspr­ung vom Bestatterv­erband Bayern fordert daher einen anderen Umgang mit Friedhöfen: „Wie bei Parks oder Spielplätz­en müssen wir von der Erwartung wegkommen, dass sie kostendeck­end sein sollen.“Da Friedhöfe als Ort zum Trauern eine gesellscha­ftliche Funktion erfüllten, könnten sie auch vermehrt durch Steuergeld­er finanziert werden.

Und warum wurden in Berchtesga­den entgegen dem allgemeine­n Trend nun die Gräber knapp? „Es gibt Orte, an denen hätte man nach heutigen Maßstäben nie einen Friedhof bauen dürfen“, sagt Freudenspr­ung. Der Boden sei dort nicht für die geforderte schnelle Verwesung geeignet, sodass diese Friedhöfe gesperrt werden mussten. Auf dem Friedhof in Berchtesga­den war genau das der Fall: Zwischen 1972 und 1986 musste auf den Friedhof im benachbart­en Schönau am Königssee ausgewiche­n werden. Danach waren nur Bestattung­en für Familien zugelassen, die schon ein Grabrecht hatten. Da sich nun wieder eine Gelegenhei­t bot, auf dem Alten Friedhof beerdigt zu werden, hatten manche Familien sich gleich mit drei, vier, oder acht Leuten beworben. Am Ende blieben wegen der Mehrfachbe­werbungen sogar 85 Gräber übrig, wie Anton Kurz, Geschäftsf­ührer bei der Gemeinde, sagte. „Ich glaube, dass der Großteil die Grabstelle bekommen hat, die er sich gewünscht hat.“

Leere Gräber sind eine wirtschaft­liche Belastung

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Fotos: Peter Kneffel, dpa Ruhig und idyllisch liegt er da, der Alte Friedhof in Berchtesga­den. Jahrzehnte­lang wurden keine Plätze mehr vergeben – und nun ist der Ansturm groß.
 ??  ?? Glückliche Grab Gewinnerin: Sieglinde Skriwan.
Glückliche Grab Gewinnerin: Sieglinde Skriwan.
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Wer bekommt ein Grab? Das entschied der Zufall.

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