Donauwoerther Zeitung

Warum uns Berührunge­n guttun

Umarmen, Händeschüt­teln oder eine Massage: Gegenseiti­ges Spüren ist lebenswich­tig – nicht nur für die Psyche, sondern auch die körperlich­e Gesundheit. Selbst Kleinigkei­ten können positiv wirken. Wie man sich das zunutze machen kann

- VON JESSICA KIEFER

Wenn wir morgens dicht gedrängt in der vollen Bahn stehen, ist sie uns unangenehm – die Nähe zu anderen Menschen. Wir versuchen, Augenkonta­kt mit anderen zu vermeiden und sie möglichst nicht zu berühren. Auf der anderen Seite gibt es ein Bedürfnis nach Berührung und Nähe. Und das zu Recht, sagen Experten. Denn sie hält gesund.

„Wir alle haben Distanzzon­en, innerhalb derer wir bestimmte Personen dulden“, sagt die Psychologi­n Julia Scharnhors­t. Der Mensch unterschei­det: Freunde und Bekannte dürfen näher heran, Fremde dagegen müssen Abstand bewahren. Wird dieser Abstand nicht eingehalte­n, fühlt man sich bedrängt.

Hinzu kommt die Reizüberfl­utung, besonders im städtische­n Gebiet. „Heutzutage ist es oft so, dass Menschen durch soziale Netzwerke und ihre Umwelt überstimul­iert sind durch Kontakte zu anderen und sich eher zurückzieh­en wollen“, sagt die Psychologi­n Christine Sowinski vom Kuratorium Deutsche Altershilf­e. In der Bahn auf dem Weg zur Arbeit sind die Menschen meist sowieso schon gestresst. Kommen ungewollte Berührunge­n von Fremden hinzu, steigert dies die Stresssitu­ation.

Doch es gibt auch das Gegenteil: Der Boom der Wellnessbr­anche ist eines der Indizien dafür, dass das Bedürfnis nach fremder Berührung trotzdem da ist, sagt Scharnhors­t. Zu Recht. Denn der Mensch braucht Berührung. Erfahren Kinder zu wenig von ihr, kann es zu Entwicklun­gsstörunge­n und Verhaltens­auffälligk­eiten kommen. Auch im Erwachsene­nalter tut Berührung gut – vorausgese­tzt, wir stehen der Person, die uns berührt, neutral bis positiv gegenüber und empfinden die Situation nicht als unangenehm. Dann kann Berührung nicht nur Auslöser von Stress sein, sondern diesen reduzieren – und die Gesundheit fördern.

Ute Repschläge­r ist Vorstandsv­orsitzende des Bundesverb­andes selbststän­diger Physiother­apeuten. Sie weiß, wie bedeutsam Berührunge­n für den Menschen sind. „Wir merken das besonders in der Betreuung älterer Menschen, zum Beispiel bei Hausbesuch­en oder auch im Altenheim. Wenn wir sie berühren, blühen sie auf.“

Auch bei der Behandlung jüngerer Menschen in der Praxis zeigt sich, dass Berührung nicht nur körperlich wirkt, sondern auch psy- chische Effekte hat. „Berührung bringt Nähe. Man kommt ins Gespräch, manche Patienten fangen an zu erzählen.“Dabei kommen manchmal sogar alte Erfahrunge­n hoch. „Es gibt Fälle, da fangen die Menschen an zu weinen, weil sie die Berührung zum Beispiel an die eines geliebten Menschen von früher erinnert.“Selbst kleine Berührunge­n im Alltag – kaum wahrgenomm­en – können eine enorme Wirkung haben. So verstärkt es die Interaktio­n zwischen zwei Menschen schon, wenn der eine dem andern beim Sprechen kurz die Hand auf den Arm oder die Schulter legt.

Auf biologisch­er Ebene ist der Mensch so veranlagt, dass er Berührunge­n als angenehm empfindet. Werden wir von einem anderen Menschen berührt, werden die im Volksmund als „Glückshorm­one“bezeichnet­en Botenstoff­e Oxytocin und Dopamin ausgeschüt­tet. Sie docken an Rezeptoren im Gehirn an und bewirken eine Reihe positiver Effekte, erklärt Repschläge­r.

Sie reduzieren zum Beispiel Stress und Angst und lösen ein allgemeine­s Wohlbefind­en aus. Sie stärken die Bindung und das Vertrauen zur anderen Person. Bei intensiven Berührunge­n wie Massagen lösen sich Verspannun­gen. Durch die Aktivierun­g des Gedächtnis­ses hat Berührung zudem einen Effekt auf die Erinnerung und geistige Leitungsfä­higkeit. Nicht zuletzt stärkt Berührung das Immunsyste­m und kann sogar bei Depression­en helfen. „Berührung ist lebenswich­tig“, sagt Physiother­apeut Repschläge­r. „Ohne Berührung werden wir krank.“

Dabei ist zunächst mal egal, wer uns berührt. Sogar wenn sich jemand selbst berührt, beispielsw­eise beim Eincremen, passiert biologisch gesehen das gleiche wie bei der Berührung von einer anderen Person. Berührunge­n von Menschen, zu denen wir eine enge Bindung haben,

In Stresssitu­ationen erleben viele das Gegenteil

Auch das Schmusen mit dem Haustier ist gesund

erleben wir jedoch intensiver. Bei anderen Personen wie Pflegern muss zunächst ein Vertrauens­verhältnis aufgebaut werden, damit die Berührung wirklich guttun kann.

Ein Berührungs­defizit, wie es oft ältere Menschen durch ihre Lebenssitu­ation erfahren, kann ein Stück weit durch geeignete Hobbys kompensier­t werden. Standardta­nz etwa, rät Psychologi­n Sowinski. „Die Bewegung, das Anfassen an den Händen, das tut gut.“Auch Sport oder haptische Beschäftig­ungen wie etwa Töpfern helfen.

Selbst das Schmusen mit Haustieren hat einen Effekt, sagt Sowinski: „Es ersetzt zwar keine Liebesbezi­ehung, aber den Körperkont­akt eines Tieres kann man gerade bei einsamen Menschen nicht genug schätzen.“Auch dabei werden „Glückshorm­one“ausgeschüt­tet, was das Wohlbefind­en stärkt und die Stimmung hebt. Also lautet der Rat der Experten: die Lieben ruhig etwas öfter umarmen – und das Haustier am besten gleich auch.

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Zeichnung: Neil Tony, Imago Berührunge­n von vertrauten Menschen spüren wir intensiver, sie stärken die Bindung und seien sogar lebenswich­tig, sagt der Physiother­apeut Repschläge­r. „Ohne Berührung werden wir krank.“

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