Donauwoerther Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (95)

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WWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

enn ich Tischlerge­sell würde“, sagt Emil träumerisc­h. „Du hast ja gar keine Ahnung, wie mich diese Arbeit anstinkt. Über acht Jahre bau’ ich nun schon Fallennest­er. Jeden Hammerschl­ag weiß ich. Aber wenn man wieder mal einen Schrank bauen könnte oder einen richtigen Tisch, die Beine anständig verzargt…“

„Werd’ ich dem Direktor sagen“, erklärt Kufalt. „Aber dauern wird es wohl noch ’ne Weile, bis es bewilligt ist.“

„Ich hab’ Zeit. Ich kann warten“, sagt Emil.

„Na schön! Also morgen“, sagt Kufalt. „Ich muß sehen, daß ich es mir so einrichte. Ich hab’ morgen viel zu tun …“

„Was hast du denn zu tun?“fragt Emil. „Du hast doch gar nichts zu tun.“

„Gerade habe ich viel zu tun. Laufen muß ich den ganzen Tag.“Er macht eine Pause und hustet. Er sieht die Straße entlang, es ist Herbstwett­er, kalt, windig, näßlich,

gegen sechs – immerhin ist es nicht ausgeschlo­ssen, daß die Hildegard Harder einmal auf die Straße kommt.

Nein, sie kommt nicht. Er sagt so nebenbei: „Ich werde wohl von jetzt an meine zehn, zwölf Mark den Tag verdienen.“

„Anschiß“, sagt Bruhn bloß. „Wieso Anschiß? Gar nicht Anschiß“, sagt Kufalt empört. „Ich bin heute mittag bei Freese gewesen …“

„Kenn’ ich nicht“, sagt Bruhn. „Einen Freese kenn’ ich nicht. Was sollst du ihm denn im voraus für die pikfeine Stellung geben?“

„Gar nichts“, bricht Kufalt aus. „Nicht ’nen Pfennig! Erst war so ein Blasser bei mir, Dietrich hieß er. Der wollte ’ne Kaution haben. Na, den habe ich schön reingelegt, ein Viertel von all meinen Einnahmen hat er auch haben wollen. Nachher hat er mir zwanzig Mark gepumpt!“

Kufalt bricht in ein Gelächter aus und auch Emil lacht mit, trotzdem ihm all das nicht ganz klar vorkommt. Dann muß Kufalt von Die- trich erzählen: „Eine Molle und einen Korn an der Ecke, so dumm, daß er mir mein letztes Geld abnimmt, so doof…“

Und nun lacht auch Emil: „Dem ist das recht, dem Bruder, dem! Und dann bist du hinter seinem Rücken zu dem Herrn Freese gegangen?“

„Bin ich“, sagt Kufalt und ist merkwürdig kurz. „Und ich darf Abonnenten und Anzeigen werben und von allem kriege ich Geld.“

„O Mensch, o Manning, Manning, Mensch!“jubelt Bruhn. „Und wenn du nun noch zum Direktor gehst und der Laden klappt auch – dann verdienen wir beide so viel Geld, daß wir in die richtig feinen Lokale zu den richtigen Weibern gehen können, und alle Wrunkas und Hildegards können uns …“

Es war in diesem Augenblick, daß eine Stimme neben ihnen sagte: „Darf ich Sie mal einen Augenblick sprechen?“

Verlegenhe­it,

Dann sagte zuerst Kufalt: „Vielleicht komme ich heute abend noch mal bei dir vor, Emil!“

„Schön“, sagte Emil. „Und denk’ an den Direktor!“

„Wird gemacht!“sagte Kufalt „Geht in Ordnung, alter Junge!“

Und seine Stimme klang unnatürlic­h frisch.

Dann aber gingen die beiden, Stille, Verlegenhe­it. Hildegard Harder und Willi Kufalt, gegen den dunklen Stadtpark, aus der Stadt hinaus.

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Kufalt war nicht umsonst so schweigsam über die Unterredun­g mit Herrn Chefredakt­eur Freese gewesen. Der ,Stadt- und Landbote‘ mochte ein kleineres Blatt sein als ,Der Vaterlands­freund‘ – aber ein ebenso großer Mann wie der Herr Scialoja war der Herr Freese sicherlich.

Freilich nichts von Schwierigk­eiten, durchgelas­sen zu werden, nichts von Warten…: „Gehen Sie da durch“, sagte ein langer, knochiger, pferdegesi­chtiger Mann und zeigte auf eine Tür. „Aber gute Stimmung hat er heute nicht.“

Also ging Kufalt durch.

Da saß ein dicker, schwerer, schmuddlig­er Mann hinter seinem Schreibtis­ch, einen weißgrauen Walroßbart hatte er, und einen Kneifer, dessen Gläser herabhinge­n.

Auf der einen Seite vom Schreibtis­ch sitzt Herr Freese, auf der anderen steht Kufalt. Zwischen beiden auf dem Schreibtis­ch ist ein Gewusel von Papieren, aber auch Bierflasch­en, eine Kognakbudd­el, Gläser. Herr Freese sieht grau aus, nur seine Augen sind gerötet und böse.

Er blinzelt nach Kufalt, er macht den Mund auf, als wollte er reden, dann macht er den Mund wieder zu.

„Guten Morgen“, sagt Kufalt, „ich komme auf Veranlassu­ng von Herrn Dietrich.“

Freese krächzt einmal, krächzt zweimal, dann hat er die Kehle so frei, daß man deutlich verstehen kann: „Raus!“

Kufalt überlegt einen Augenblick, er ist ja nicht mehr der Kufalt von damals, als er aus dem Kittchen kam mit der Hoffnung, alles würde schon glatt gehen; er weiß, man muß ein bißchen zähe sein, schlucken, eigentlich genau wie im Kittchen – er überlegt also und sagt dann: „Oder eigentlich komme ich gerade gegen den Rat von Herrn Dietrich!“

Er steht und wartet ab, wie das wirkt.

Herr Freese sieht ihn mit seinen kleinen geröteten Augen böse an. Er krächzt wieder, er macht die Kehle frei – dann sieht er nach der Kognakflas­che, und schüttelt trübe den Kopf, er krächzt noch einmal und sagt langsam: „Junger Mann, Sie sind schlau. Sie sind nicht schlau genug für einen alten Mann.“Plötzlich unterbrich­t er sich: „Stört der Ofen Sie nicht?!“

Kufalt ist verwirrt, er sieht sich um nach dem großen, weißen Kachelofen, der Hitze strahlt, er kann nicht raten, was der andere hören möchte (denn am liebsten sagte er das), so sagt er denn: „Nein, stört mich nicht.“

„Aber mich“, sagt Herr Freese mühsam. „Zu kalt, viel zu kalt. Werfen Sie drei Briketts auf, nein, halt, fünf!“Eine Kiste steht da mit Briketts, aber nichts, womit die schwarzen Dinger anzufassen – Kufalt sieht sich um, er hat eine Erleuchtun­g, er nimmt vom Schreibtis­ch einen Fetzen Papier, ein Manuskript also wohl, damit faßte er die Briketts an, feuert sie in die Glut, hinterher das Papier… Er dreht sich um nach Freese.

„Fuchsschla­u“, murmelt der, „fuchsschla­u. Doch nicht schlau genug.“Er sitzt zusammenge­sunken da und sieht trübe aus, ein alter Mann. Durch das Fenster kommt etwas wie ein Herbstsonn­enstrahl, über das graue, verwüstete Gesicht, die gerötete Stirn, das schändlich­e Gewusel aus weißen und grauen Haaren.

,Schläft er ein?‘ fragt sich Kufalt. Der andere denkt nicht daran. „Aus dem Kittchen kommen Sie“, sagt er. „Die Gesichtsfa­rbe kenne ich. Pflegt sich noch die Hände, das Schwein, hofft noch auf anständige Arbeit.“Er hebt trübe seine eigene Pranke und betrachtet sie, die seit Wochen nicht gewaschen scheint, so grau sieht sie aus.

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