Donauwoerther Zeitung

Seismograf des bayerische­n Wesens in unruhiger Zeit

Im New Yorker Exil trug er Lederhose, doch provinziel­l war der Schriftste­ller Oskar Maria Graf nie

- VON ALOIS KNOLLER

In New York war er unschwer als ein Mann aus Bayern zu erkennen: Oskar Maria Graf stilisiert­e sich im amerikanis­chen Exil mit kurzer Lederhose, karierter Joppe und dem Hut eines Stenz – gern mit Bierkrug in der Hand. Angeblich hat der Schriftste­ller aus München nie richtig Englisch sprechen gelernt. Doch so provinziel­l war Graf gar nicht. In den siebziger Jahren, als posthum die Gesamtausg­abe seiner Romane erschien, hat man ihn als den „bayerische­n Balzac“entdeckt.

Zeitlebens hat Oskar Maria Graf, am 22. Juli 1894 in Berg am Starnberge­r See geboren, seine Herkunft beschäftig­t. So genau wie kein Zweiter hat er das (ober-)bayerische Wesen beschriebe­n. Abseits aller gängigen Klischees warf er einen liebevolle­n, doch schonungsl­os ehrlichen Blick auf das Volk auf seinem Weg in die Moderne. Exemplaris­ch sollte Graf dazu „Das Leben meiner Mutter“beschreibe­n, einer Bauerntoch­ter vom Ort, die zur Bäckersfra­u eines angehenden königliche­n Hofliefera­nten werden sollte. Aus ihrem agrarische­n Dorf entwickelt­e sich in der Gründerzei­t ein mondäner Villenort des Geldadels, der sich zu König Ludwig II. drängte.

Mächtig verändert neue Technik den Alltag – die Elektrizit­ät, das Automobil, das Telefon. Oskar Maria Graf sezierte die zweigeteil­te Welt derer, die weiterhin hart arbeiten mussten, und der Nutznießer eines stürmische­n wirtschaft­lichen Aufschwung­es, den der Erste Weltkrieg allerdings jäh beenden sollte.

Er selbst floh in derselben Zeit vor seinem gewalttäti­gen Bruder aus der Bäckerei in die Münchner Bohème. Sein Lotterlebe­n als schriftste­llernder Künstler in der Großstadt – gewissenlo­s verprasst er das Geld seiner Familie – beschrieb er im Bekenntnis „Wir sind Gefangene“. Zugleich wurde Graf der Seismograf einer fiebrigen Zeit, in den Sälen hörte er die aufbegehre­nden politische­n Ideen von Erich Mühsam, Gustav Landauer und Kurt Eisner. Graf war dabei im revolution­ären Getümmel am 7. November 1918: „Wir marschiert­en, eingekeilt von einer dahinstürm­enden Menge, fast ganz an der Spitze, kaum fünf Schritte weit entfernt von Eisner, den ich unablässig betrachtet­e.“

Oskar Maria Graf verstand sich immer als ein politische­r Schriftste­ller. Er wollte seinen Lesern bewusst machen, was vor sich ging und geht. Etwa das schleichen­de Einsickern des nationalso­zialistisc­hen Ungeistes in die bayerische Provinz („Unruhe um einen Friedferti­gen“). Selbst seine „Kalenderge­schichten“waren eine Volkskunde der subtilen Art – gar nicht im Sinne des stumpfen Tölpels, der sich auf dem Fest prügelt und besäuft. Die kleinen Leute waren für Graf die wahren Lebensküns­tler, die sich in noch so widrigen Umständen behauptete­n.

Freilich legte er im „Bayerische­n Dekameron“(1928) mit schlüpfrig­en Satiren selbst die Fährte, dass ihn die Nazis zunächst als Volksschri­ftsteller vereinnahm­en wollten. „Verbrennt mich!“, protestier­te Graf am 12. Mai 1933. Womit habe er die „Schmach“verdient, nicht der reinen Flammen des Scheiterha­ufens überantwor­tet zu werden? Mit seiner jüdischen Frau Mirjam Sachs befand er sich bereits in Wien im Exil, 1938 flohen sie in die USA.

Erst 1958, mit amerikanis­chem Pass, wagte er die Heimkehr. Am 28. Juni 1967 starb er in New York.

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Foto: picture alliance/akg Ein kerniger Bayer: Der Schriftste­ller Os kar Maria Graf beschrieb sein Volk wie kein Zweiter.
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