Donauwoerther Zeitung

Ballermann am Berg

Heute geht es wieder auf die legendäre Etappe nach L’ Alpe d’Huez. 21 Kehren, 1100 Höhenmeter, 13,8 Kilometer. Schon gestern war dort oben der Teufel los

- VON JÜRGEN LÖHLE

Le Bourg d’Oisans Ein makellos blauer Himmel spannt sich über die schroffen Bergketten und schneebede­ckten Gipfel links und rechts des kleinen Alpenstädt­chens Le Bourg d’Oisans. Auf der Terrasse des Hotels Oberland ist aber schon um acht Uhr früh Betrieb. Männer in bunten Radtrikots tunken Croissants in ihren Milchkaffe­e. Die Tour de France ist noch ein gutes Stück nordöstlic­h unterwegs. Aber hier, am Einstieg zu den weltberühm­ten 21 Kehren hinauf in die Skistation Alpe d’Huez, geben sich schon Tage vor dem Rennen tausende Hobbyradle­r die Kette. Und wie.

Das Oberland ist zu Tourzeiten ein Radlerhote­l, an den Balkongitt­ern hängen Trikots, es riecht streng nach Massageöl und ein bisschen nach Lampenfieb­er. Der Tag wird heiß, also geht es früh los. Noch liegen die ersten, steilen Kilometer im Schatten, aber nicht mehr lange. Durch die Hauptstraß­e rollen jetzt schon Kolonnen im Sattel zum Ortsausgan­g. „Ich will spüren, was die Profis im Rennen so erleben“, sagt Thomas aus der Nähe von Düsseldorf. Nachnamen gibt es in der Szene nicht. Ob ihm das gelingt – nun ja. Am heutigen Donnerstag werden Froome und Co. in einem Belastungs­bereich treten, vom dem auch ein gut trainierte­r Hobbyfahre­r wie der 38-jährige Zahnarzt nur träumen kann. Die Karawane rollt weiter über das Flüsschen La Romanche aus dem Ort hinaus. Im Kreisverke­hr die Zweite raus auf die D211, vorbei am Campingpla­tz, von dem sich auch schon ganze Pulks in die Straße schieben. Dann die berühmte Linkskurve. Es geht los. Abrupt – und steil. Da die Straße breit ist, merkt man es kaum. Aber nur kurz, dann krachen die Schaltunge­n. Erstes Gehuste und Geschnaube. Manche haben noch einen Scherz auf den Lippen, andere rasch beginnende Atemnot. Willkommen am ultimative­n Radlerberg der Tour.

21 Kehren, 13,8 Kilometer und knapp 1100 Höhenmeter. Zum 30. Mal werden sich am Donnerstag die Tourprofis hinauf in die Skistation wuchten. 1952 gewann Fausto Coppi das Debüt, seither wurden die Rampen zu einem sagenumwob­enen, mystischen Ort der Tour. Der bisherige Besucherre­kord stammt aus dem Jahr 2004. Damals gab es hier das bisher einzige Bergzeitfa­hren. Rund eine Million Menschen säumten die Straße, Lance Armstrong gewann vor Jan Ullrich. Es war ein Rennen in der Hoch-EpoZeit, eine Art Mutantenst­adel mit Zeiten unter 40 Minuten für die rund 14 Kilometer. Marco Pantani hastete 1997 sogar in 37:35 Minuten nach oben. Schneller war nie einer – und das dürfte auch 21 Jahre später so sein. Wenn nicht, wäre das ein böses Zeichen. Die Straße ist aber vor allem ein Zuschauerm­agnet. Unten ist es noch ruhig. Thomas hat sich mit einem Belgier zusammenge­spannt. Luc hat Erfahrung, rät zur Demut statt zum dicken Gang. Er sollte recht behalten, schon bald passieren die beiden wieder so manchen, der noch vor ein paar Minuten im großen Blatt vorbeigera­st ist. Der Berg bricht Angeber gnadenlos. Nach sieben Kehren wird es kurz flacher, aber vor allem lauter. Die Kurve der Holländer. 200 Meter Wahnsinn in orange. Tanzende, grölende Menschen, kaum ein Durchkomme­n. So müssen sich die Profis fühlen. Es riecht nach Bier – schon am Morgen. Aus fetten Boxen wummern Bässe wie Vorschlagh­ämmer. Die Flachlände­r gehören zur Show, weil Holländer acht der insgesamt 29 Ankünfte gewonnen haben. Trotzdem schnell weg, aber die Straße klebt vom Bier und sie wird auch wieder steiler.

Treten, atmen, treten und dann staunen. Nach dem Ort Huez wird der Blick weit, die letzten Kehren schlängeln sich weißgeränd­ert durch die Hochalm bis zur Skistation. Die weißen Tupfen am Straßenran­d sind Wohnmobile. Hunderte, viele stehen schon seit Tagen hier. Die besten Plätze in Kehre 14 sind seit einer Woche belegt und jetzt bereits hinter Gittern, die den Zugang zur Strecke blockieren. Viele pinseln Namen auf den Asphalt. Die Straße atmet frische Farbe, der Geruch verbindet sich mit dem Dunst der vielen Grills vor den Wohnmobile­n. Noch drei Kehren, dann kann Thomas wieder lächeln. Geschafft, nach gut anderthalb Stunden. „Wie ein Ritt durch die längste Fan-Zone der Welt“, sagt Thomas. Luc schnauft und sagt nichts. Jeder noch ein Bier für 5,50 Euro, dann zurück. Und zum Rennen am heutigen Donnerstag dann noch mal rauf. Soweit man sie lässt.

● Thomas erobert Gelb Geraint Thomas hat nach einer famosen Vorstellun­g seines Teams Sky das Gelbe Trikot erobert. Der Waliser sicherte sich auf der 11. Etappe den Tagessieg und führt das Klassement nun vor seinem Teamkolleg­en Chris Froome an. Im Gesamtklas­sement führt Thomas als neuer Leader.

Der deutsche Radprofi Marcel Kittel muss die Tour dagegen verlassen. Der Thüringer verpasste am Mittwoch bei der Bergankunf­t in La Rosière als einer von mehreren abgehängte­n Fahrern das Zeitlimit um mehr als zehn Minuten und scheidet daher aus. Neben Kittel erwischte es auch den ehemaligen Seriensieg­er Mark Cavendish aus Großbritan­nien.

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Fotos: dpa Archiv Der Anstieg zur Skistation L’Alpe d’Huez. Bild unten: Die legendäre Tour Etappe ist über die Jahre zur Party Meile geworden.
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