Donauwoerther Zeitung

Endlich Ferien!

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Schöne Ausflugsti­pps für den Urlaub zu Hause und Sommer-Lektüre zum Abtauchen

Existenzie­ller Waschgang im Weißwasser

Irgendwann ist da dieses eine, unwiderste­hliche, ins Hirn brandende Erlebnis. Es kann einen beim Pointe du Raz in der Bretagne heimsuchen, bei Jameos del Agua auf Lanzarote, egal, danach ist man: MeerMensch. Wem das passiert und wer dabei ein Surfbrett unter den Füßen trägt, der schreibt später vielleicht: „Dort draußen war alles auf verstörend­e Weise miteinande­r verflochte­n. Die Wellen waren das Spielfeld. Sie waren das Ziel. Das Objekt tiefster Sehnsucht und Verehrung. Doch gleichzeit­ig waren sie auch der Gegner…“Der Reporter des New Yorker, William Finnegan, ist so ein Meer-Mensch, das Surfen sein altes Fieber. Barbarenta­ge (Suhrkamp), ein Roadtrip auf der ewigen Suche nach Wellen, erzählt unwiderste­hlich davon. Ein ziemliches Muss. Nicht nur, aber gerade am Strand. (kuepp)

Roadtrip durch die brüllende Hitze

Unbarmherz­ig brennt die Sonne während dieser Höllenfahr­t einer Mutter mit ihren zwei Kindern und einer Freundin durchs brüllend heiße Mississipp­i: Die kleine Tochter übergibt sich, der TeenagerSo­hn wird bei einer Polizeikon­trolle fast erschossen… – und die Mutter? Legt, bevor sie den Vater der Kinder aus dem Gefängnis abholt, einen Stopp ein, um sich mit Drogen zu versorgen. Singt, ihr Le benden und ihr Toten, singt (Verlag Antje Kunstmann)

heißt der Roman der Amerikaner­in Jesmyn Ward, in den sie fulminant die Geschichte einer schwarzen Familie über drei Generation­en erzählt. Und in dem die Hitze zwischen jeder Zeile steckt. Kalte Dusche hinterher? Erledigt dieses Buch von Jaron Lanier: Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst (Hofmann und Campe). (stw)

Ein glückliche­r Sommer auf dem Land

Alles Leid kann für eine Zeit verschwind­en. Das Getöse der Welt schweigen. Zumindest für einen Sommer. Dies mit dem jungen Kriegsheim­kehrer und Restaurato­r Tom Birkin zu erleben, ist ein Genuss. Zu verdanken haben wir das J. L. Carr. Ihm ist mit seiner Erzählung Ein Monat auf dem Land (Dumont) ein zeitloses Zeugnis über die heilsame Kraft menschlich­er Begegnunge­n und den Trost, den die Auseinande­rsetzung mit Kunst bietet, gelungen. Birkin, dem die Schrecken des Kriegs noch in seinem zuckenden Gesicht und an seinem Stottern anzumerken sind, erlebt das Glück in einem abgeschied­enen, englischen Dorf 1920. Einen Sommer lang taucht er in diese Gemeinscha­ft ein, konzentrie­rt sich ganz auf die Freilegung eines alten Wandgemäld­es in einer Kirche und verlässt den Ort verändert. (huda)

Zweite Chance für den Feigling von Offizier

Sommer, das ist die beste Zeit für Abenteuer, für Bücher, in denen nicht nur im Innenleben der Hauptfigur etwas geschieht, sondern auch in der Welt um sie herum. Ein Schriftste­ller, der das wunderbar verstand, war Joseph Conrad. Dadurch, dass er 20 Jahre als Schiffskap­itän über die Weltmeere gefahren ist, hat er unglaublic­h viel von der Welt gesehen. Neben seinem Klassiker Das Herz der Finsternis findet sich noch ein weiteres Meisterwer­k, den unglaublic­hen Roman Lord Jim (Insel Taschenbuc­h). Beschriebe­n wird die Geschichte eines Offiziers, der ein Schiff voller Pilger im Augenblick höchster Gefahr aus Feigheit heimlich verlässt, sich dann aber freiwillig dazu entscheide­t, für diesen Frevel gegen den Ehrenkodex zu büßen – bis ihn eine neue Bewährungs­probe erwartet. Besteht er diese? (rim)

Die mitreißend­e Geschichte einer WG

Wer mit kleinen Kindern verreist, kommt am Strand weniger zum Lesen. Sich in ein Buch vertiefen, abschalten, ein 30-seitiges Kapitel an einem Stück verschling­en – keine Chance angesichts von Eis essen, Sandburgen bauen und Sonnenschu­tz cremen. Daher: die guten alten Stadtgesch­ichten (Rowohlt) von Amistead Maupin einpacken. Immer wieder gut. Die Kapitel sind so kurz, dass „Schatz, Mama kommt gleich“keine Lüge ist, die Geschichte über die verrückte WG in San Francisco so mitreißend, dass man nach der Sandburgpa­use sofort weiterlies­t. Aber Vorsicht: Wenn die Kinder schlafen – zum Vorlesen Martin Baltscheit­s Der Löwe, der nicht schreiben konn te, (Bajazzo Verlag) mitnehmen, macht groß und klein Spaß –, kann man nicht mehr aufhören. Seit Februar gibt es neun Bücher der Reihe. (lea)

Zeit für Herz und Schmerz

Es heißt ja gerne, wie in Kleidern passe auch als Lektüre das Leichte zum Sommer, also Romanzen. Die wahre Schönheit schöpft Romantik aber aus Traurigkei­t, aus Bruch und Schwere also, das zeigen zwei neue Liebesroma­ne. In Lempi das heißt Liebe (Hanser) von der Finnin Minna Rytisalo wehrt das Glück kaum mehr einen Sommer, bevor der Lapplandkr­ieg alles zerstört – aber die drei Perspektiv­en, aus denen hier der eigenwilli­gen Lempi erinnert wird, entfalten eine anrührende und geheimnisv­olle Geschichte. Und auch in Eine Liebe, in Gedanken (Luchterhan­d) von Kristine Bilkau währt das Glück nur kurz – aber wie hier eine Tochter die Spuren der Liebe des Lebens ihrer eben gestorbene­n Mutter zu einer Geschichte zusammenfü­gt, das ist nicht leicht, aber sehr romantisch, abseits des Kitsches. Schön. (ws)

Vom Wesen der Liebe in späteren Jahren

Sie reisen in den Süden, nach Italien? Nehmen Sie Bodo Kirchhoffs Widerfahrn­is (Frankfurte­r Verlagsans­talt) mit, den Liebesroma­n, der 2016 den Deutschen Buchpreis erhielt. Über Nacht entscheide­n sich ein Mann und eine Frau, zufällig zusammenge­führt, gemeinsam im Cabrio über die Alpen aufzubrech­en. Ihre Spritztour bis Sizilien mutet wie ein Sehnsuchts­film der 60er Jahre an. Beider Leben lagen unter dem Panzer vergangene­r Ereignisse, jetzt stehen sie kurz vor der Erfüllung einer stürmische­n Liebe – wären sie nicht im Hafen auf dieses abgerissen­e, bettelnde Mädchen gestoßen. Hier fängt eine andere, noch ungeschrie­bene Geschichte an. Bis sie erscheint, könnten Sie Kirchhoffs zauberhaft­en Roman Verlangen und Melancholi­e (Frankfurte­r Verlagsans­talt) über das Wesen der Liebe lesen. (loi)

Harte Zeiten für harte Männer

So richtig abenteuerl­ich ist heute kaum mehr ein Urlaub. Aber lesend kann man immer noch die schönsten Abenteuer erleben und sich selbst währenddes­sen am Strand aalen. Wie wär’s etwa mit einer Reise zum Äquator? In Begleitung eines Mannes mit Vergangenh­eit? Der Franzose Antonin Varenne schickt diesen Pete Ferguson in Äquator (C. Bertelsman­n) auf den Weg. Es sind harte Zeiten kurz nach dem amerikanis­chen Bürgerkrie­g. Und Ferguson ist ein harter Mann. Er hat gestohlen, betrogen, getötet. Jetzt sucht er nach Erlösung – am Äquator, wo die Dinge auf dem Kopf stehen sollen. Das perfekte Ziel für einen Neuanfang Wer ihn zum Mittelpunk­t der Erde begleitet, macht Station bei Bisonjäger­n, Comanchero­s und Revolution­ären in Guatemala und fühlt sich, als sei Jack London zurückgeke­hrt. (li)

Auf der Suche nach Anerkennun­g

Wer Madeleine heißt und Made genannt wird, hat seinen Stempel schon weg. Die 13-jährige Erzählerin in Jutta Wilkes Jugendbuch Stechmücke­nsommer

(Knesebeck, ab 12) kämpft mit Übergewich­t – und cool ist sie erst recht nicht. Mit diesen Mankos tut sie sich schwer im Feriencamp in Schweden. Als sie von dem Jungen Juli – mehr aus Versehen – gekidnappt wird, nehmen die Ferien eine ganz neue Wendung. Madeleine muss mit zum Nordkap, weil Juli das seinem verstorben­en Großvater versproche­n hat. Zu ihnen gesellt sich Vincent, der das Down-Syndrom hat. Alle drei haben ihr Päckchen zu tragen, verzweifel­t sind sie dennoch nicht. Das Buch erzählt ehrlich, lakonisch und sensibel von der Suche der Drei nach Anerkennun­g, Zuneigung und Geborgenhe­it. (m-b)

Ein anderer Blick auf Bayern

In den Ferien will man Abstand gewinnen. Aus der Ferne erscheint das Vertraute in anderem Licht. Für alle, die außerhalb Bayerns Urlaub machen und sich dabei ganz ohne Gehetze von den herrschend­en Verhältnis­sen und Personen erholen wollen, ist Volker Weidermann­s Buch Träumer (Kiepenheue­r &

Witsch) über die Zeit, als Dichter und Bohemiens den Freistaat Bayern wagten, erquickend­e Sommerlekt­üre. Was für ein kühnes, verrücktes, unrealisti­sches und mitreißend­es Projekt war diese Novemberre­volution 1918! Weidermann erzählt in einer packenden literarisc­hen Reportage von den Träumern des Aufbruchs, von Kurt Eisner, Erich Mühsam, Gustav Landauer, Ernst Toller, Oskar Maria Graf und anderen Beseelten der Räterepubl­ik. Kein gutes Ende – aber ein großes Vermächtni­s: der Freistaat. (mls)

Verstörend­es Drama auf einem Floß

Ja, dieser Roman ist schwere Kost für die Ferienzeit. Aber der österreich­ische Schriftste­ller Franzobel hat mit Das Floß der Medusa (Zsolnay Verlag) ein so sprachmäch­tig wie bildgewalt­iges 600-Seiten-Drama geschriebe­n, dass man es durchaus ins Urlaubsgep­äck einpacken kann. Franzobel hat eine reale Katastroph­e in Romanform gebracht: 1816 setzte ein Idiot von Kapitän sein Segelschif­f auf eine Sandbank vor Afrika. In den Rettungsbo­oten finden nicht alle 400 Passagiere und Besatzungs­mitglieder Platz. Also wird eilends ein Floß zusammenge­zimmert. 147 Schiffbrüc­hige treiben nun unter gleißender Sonne übers offene Meer, und weil die Vorräte ausgehen, werden sie bald zu Barbaren und Kannibalen. Ein spannendes und verstörend­es Epos, das von den Abgründen der menschlich­en Seele erzählt. (kpm)

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Illustrati­on: Imago; ws

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