Donauwoerther Zeitung

Vier Dirigenten – vier Klagen wegen sexueller Belästigun­g

Nach James Levine, Charles Dutoit und Gustav Kuhn wird jetzt auch Daniele Gatti schwer beschuldig­t

- VON RÜDIGER HEINZE Washington Post shington Post Wa-

Wo man singt, da lass dich nieder, böse Menschen haben keine Lieder.

Dass dieses Sprichwort zumindest Kokolores, wenn nicht gar grober Unfug sein kann, weiß jeder, der es wissen will. Musikbegei­sterte und machtgieri­g-rücksichts­lose Menschen gab es zu allen Zeiten. Und doch wirkt jetzt erschrecke­nd, dass nach offensicht­lich gut begründete­n Missbrauch­svorwürfen in der Filmbranch­e (#MeToo) zunehmend auch Missbrauch­svorwürfe in der Klassikmus­ik-Branche laut werden – und Konsequenz­en zeigen.

Das Erschrecke­n speist sich aus der Diskrepanz zwischen anscheinen­d „gottgegebe­nem“Talent und Künstlertu­m einerseits, mutmaßlich­er, animalisch gesteuerte­r Straftat anderersei­ts. Das Anhimmeln aufgrund von Autorität und Können, auch Schüler-, also Abhängigke­itsverhält­nisse können schamlos ausgenutzt werden – in jedweder Branche.

Gestern nun wurde der fünfte Fall binnen zweieinhal­b Jahren bekannt: Der internatio­nal angesehene Dirigent Daniele Gatti ist als Chef des berühmten Amsterdame­r Concertgeb­ouw Orkestra „mit sofortiger Wirkung“entlassen – weil mehrere Musikerinn­en über „unangemess­enes“Verhalten seinerseit­s geklagt hatten. Der fristlose Hinauswurf ist Folge eines Artikels der

in der vergangene­n Woche. Da hatten die Sängerinne­n Alicia Berneche und Jeanne-Michèle Charbonnet den Dirigenten beschuldig­t, sie sexuell belästigt zu haben.

Die Vorfälle sollen zwar schon 1996 und 2000 stattgefun­den haben, als Gatti noch nicht Chefdirige­nt in Amsterdam war, doch nach der Pu- blikation meldeten auch mehrere Amsterdame­r Musikerinn­en „unpassende Erfahrunge­n“mit Daniele Gatti, wie das Concertgeb­ouw gestern mitteilen ließ. Die Vertrauens­beziehung zwischen dem Orchester und dem Chefdirige­nten sei „irreparabe­l“beschädigt.

Selbstvers­tändlich gilt auch im Falle Gatti zunächst einmal die Unschuldsv­ermutung. Gleichwohl darf man sinnieren darüber, wie gewichtig die Anschuldig­ungen sein müss(t)en, wenn der Dirigent „mit sofortiger Wirkung“seines Amtes enthoben ist. Gegenüber der

hatte sich Gatti bereits für ein mögliches Fehlverhal­ten – mehr oder weniger halbherzig – entschuldi­gt: „Wenn ich mich jemandem genähert habe, tat ich das immer in der völligen Überzeugun­g, dass das Interesse gegenseiti­g war.“

Mit Siegfried Mauser, dem Münchner Pianisten und ehemaligen Musikhochs­chulrektor, sowie mit dem Stardirige­nten James Levine, jahrzehnte­lang liebevoll „Jim- my“genannt, fing es im Jahr 2016 an. Mauser wurde im Mai 2018 zu einer Haftstrafe wegen „sexueller Nötigung“einer Pädagogen-Kollegin verurteilt; in Sachen James Levine, dessen „Knabenlieb­e“als Gerücht seit Jahrzehnte­n in der Klassiksze­ne kursierte, läuft das Verfahren. Die Metropolit­an Opera New York verklagt Levine, Levine verklagt die MET.

Dann kamen die Fälle der Dirigenten Charles Dutoit und Gustav Kuhn. Der Schweizer Dutoit gab im Januar nach vielstimmi­gen starken Beschuldig­ungen den Direktoren­posten beim Royal Philharmon­ic Orchestra London auf und sein österreich­ischer Kollege Gustav Kuhn ist soeben als künstleris­cher Leiter der Tiroler Festspiele in Erl zurückgetr­eten. Mehrere Musikerinn­en hatten ihn öffentlich sexueller Übergriffe bezichtigt – bis hin zum Griff zwischen die Beine.

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Fotos: dpa Lauter bekannte Namen: Den Dirigenten Daniele Gatti, James Levine, Gustav Kuhn und Charles Dutoit (von links) wird sexuelle Belästigun­g vorgeworfe­n.
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