Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (115)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch. © Projekt Guttenberg
Also denn gehen wir, Freese. Schönen Dank.“
„Trink doch erst deinen Kognak aus, Brödchen“, sagte Freese. „Komm, Kufalt, trink auch einen. Auf den Schreck.“
Kufalt voran, Brödchen hinterher, gehen sie los. Das Fräulein Utnehmer macht erschrockene, teilnehmende Augen, Herr Kraft aber hat sich in sein Hauptbuch versenkt und antwortet nicht einmal, als Kufalt ziemlich vergnügt ,guten Abend‘ sagt. Ja, er ist ziemlich vergnügt: wenn die Kriminaler diesmal nicht einen Bummel gemacht haben, frißt er einen Besen!
Vor der Tür vom ,Boten‘ bleibt Herr Brödchen überlegend stehen.
„Sie brauchen nicht neben mir zu gehen, Herr Kufalt“, sagt er schließlich. „Freese sagt, Sie haben sich verlobt. Ich gehe hinter Ihnen. Aber wenn Sie Geschichtchen machen!“
„Knallt’s!“bestätigt Kufalt.
„Weiß schon. Ich mach’ keine Geschichten. Wenn Sie mir nur sagen wollten, was los ist mit der Frau Zwietusch, Herr Kriminalassistent.“
„Also ab nach Ihrer Wohnung!“kommandiert er.
„Schön“, sagt Kufalt und marschiert los. Auf der Treppe vereinigen sie sich wieder. Brödchen scheint schlechter Stimmung, daß Kufalt hierher ohne Wippchen marschiert ist.
„Fein wohnen Sie für zwei Mark fünfzig den Tag.“
„Ich hab’ auch schon mehr verdient“, erklärt Kufalt. „Zweihundertvierzig Mark die Woche.“
„Davon hat mir Freese nichts gesagt“, bemerkt Brödchen unzufrieden.
„Dafür gibt’s Zeugen, Herr Assistent. Nach so was müssen Sie Herrn Kraft fragen“, entgegnet Kufalt fröhlich. „Das steht alles in den dicken Büchern. Und Quittungen sind auch da.“Er knipst das Licht im Zimmer an.
„Und nun ist das Geld wieder alle?“fragt der Kriminaler.
„Wieso denn?“wundert sich Kufalt. „Wer hat Ihnen denn den Quatsch erzählt?! Elfhundertdreiundsiebzig Mark habe ich auf der Sparkasse.“
„So“, sagt der andere und wird immer unzufriedener. „Darüber sprechen wir noch. Schließen Sie erst mal den Kleiderschrank auf.“
„Der ist offen, Herr Assistent“, sagt Kufalt höflich.
„Feine Klamotten haben Sie“, bemerkt der Assistent. „Alles vom Werbelohn bezahlt?“
„Die Sachen hat mir mein Schwager geschickt. Auch dafür gibt’s Zeugen, Herr Sekretär.“
„So! Setzen Sie mal diesen Hut auf“, sagt der Beamte triumphierend. „Der sieht entschieden grünlich aus. Das müssen Sie doch wenigstens zugeben, Herr Kufalt.“
„Bläulich-grau finde ich“, entscheidet Kufalt vor dem Spiegel.
„Ach was, grün ist der! Das hat doch gar keinen Zweck, alles zu leugnen. Zeigen Sie mal Ihr Sparkassenbuch.“
Kufalt holt es aus dem verschlossenen Schreibtisch.
„Seit dem 2. Januar haben Sie nichts mehr eingezahlt? Wieviel Bargeld haben Sie noch hier?“
Kufalt sucht es zusammen, es sind sechsundvierzig Mark.
„Und wo sind die dreihundert Mark?“fragt der Beamte. „Welche dreihundert Mark?“„Die Sie der Zwietusch aus der Kommode genommen haben. Tun Sie doch nicht so, Kufalt, es hat gar keinen Zweck. Ich mach’ heut abend noch Haussuchung in Ihrer Bude, und wenn Sie’s beiseite geschafft haben, finde ich es auch.“
Kufalt ist ganz fröhlich. Sein Herz hat einen erleichterten frohen Schlag getan.
„Also der Frau Zwietusch hat einer dreihundert Eier aus der Kommode geklaut? Na, Herr Assistent, dann ist es das einfachste, wir gehen gleich zu ihr. Und dann wird sie Ihnen bestätigen, daß ich es nicht war.“Der Beamte sieht ihn aufmerksam an. „Warum freuen Sie sich denn so?“fragt er.
„Weil ich nun weiß, was es ist, und weil ich nun weiß, es wird sich gleich aufklären. Gehen wir also los.“
Aber Herr Brödchen setzt sich. „Und warum haben Sie vorhin solche Angst gehabt am Ofen?“
Kufalt wird verwirrt. „Gar keine Angst habe ich gehabt“, bestreitet er.
„Natürlich hat er Angst gehabt“, sagt der Beamte wie zu sich. „Freese wird’s bestätigen können. Nein, nein, Kufalt, etwas haben Sie auf dem Kerbholz – wenn Sie es auch bei der Zwietusch nicht gewesen sein sollten… was ich bezweifle…“
„Ich hab keine Angst gehabt“, sagt Kufalt und hat sich wieder gefaßt. „Aber wenn einer vorbestraft ist wie ich, dann ist es ihm ungemütlich, wenn er mit ’nem Kriminaler redet. Man weiß ja nie, kann man seine Unschuld auch beweisen, unsereiner ist doch immer gleich im Verdacht…“
„Nee, nee, Kufalt“, sagte der andere. „Mich reden Sie nicht dumm. Ich kenn’ euch Brüder doch. Irgendwo stinkt’s bei Ihnen.“Er versinkt wieder in Grübeln. „Na, gehen wir also erst einmal zur Zwietusch.“
„Ja, gehen wir“, sagt Kufalt trotzig. „Verdächtigen, das kann jeder… Sehen Sie, Herr Assistent, wo ich so schön Geld verdient habe, und es liegt auf der Kasse und ich will zu Ostern heiraten – ich wär’ doch saudumm, wenn ich wegen dreihundert Mark mir alles vermasseln wollte.“
„Mancher ist dumm und weiß es nicht“, sagt der Assistent melancholisch. „So klauen ist überhaupt dumm.“
„Ja, und darum tu’ ich’s auch nicht. Ich hab’ mal unterschlagen; das wissen Sie doch selbst, Herr Assistent, daß Unterschlagung und Klauen was ganz Verschiedenes ist.“Er macht ein Geständnis: „Ich wär’ viel zu feige, zum Klauen, Herr Assistent.“
„So, so“, sagt der. „Trinken Sie jeden Tag so viel Kognak?“
„Ich hab’ doch nicht viel Kognak getrunken!“
„Jedenfalls mehr, als Ihnen gut ist, und auch mehr, als Ihnen Freese gegeben hat. Haben Sie auch Kognak getrunken, als Sie in der Töpferstraße geworben haben?“
„Nein, ich trinke fast nie Kognak.“
„Aber heute haben Sie getrunken?“
„Ja… ich war schlechter Laune, weil’s Geschäft schlecht ging.“„Wo?“
„Bei Lindemann.“
„Und wieviel?“
„Vier.“
„Und dazu den von Freese. Macht fünf. Mit fünf Kognaks kann ’ne Hand schon mal ausrutschen.“
„Ich hab’ aber nicht getrunken, wie ich in der Töpferstraße werben gegangen bin.“
„Das werden wir sehen.“Der Beamte gähnt. „Gehen wir also zu Frau Zwietusch.“
„Ich glaube, in dem Haus bin ich nicht gewesen“, sagt Kufalt und sieht an dem Mietskasten Töpferstraße 97 hoch, der im ungewissen Licht einer Gaslaterne daliegt.
» 116. Fortsetzung folgt