Donauwoerther Zeitung

Diana Damrau sagt: Er deckt im Gesamtpake­t alles ab Ein Sommer mit Jonas Kaufmann

Musikliebh­aber hören den Tenor der Tenöre gerne auch mal mit den Augen statt mit den Ohren. Er ist schamlos attraktiv und kann mit den Händen in den Hosentasch­en fast alles singen: Oper, Operette, italienisc­he Canzoni. Nun kommt er in die Region

- VON RÜDIGER HEINZE ihm, ihm, ihm

München/Salzburg In diesem Sommer 2018 wandert ein weinroter Samt-Opernsesse­l durch München. Mal steht er auf dem Marienplat­z, mal im Hasenbergl, von wo aus sich wohl nicht gerade das Stammpubli­kum der Staatsoper München rekrutiert. Diese nämlich schickt besagten Samt-Opernsesse­l durch die Stadt. Wer sich darauf setzt, und das darf jedermann, bekommt eine Virtual-Reality-Brille mit Kopfhörern aufgestülp­t – und ab geht eine dreidimens­ionale Reise in eine klangmächt­ig tönende Musik- und Opernwunde­rwelt.

Erste Station: Max-Joseph-Platz vor der Staatsoper. Vor dir spielt ein Musiker, und wendest du den Kopf mit der VR-Brille nach links, spielt da auch einer, ebenso wie rechts und hinter dir. Du hockst quasi mitten in einem Quartett. Zweite Station: Königssaal der Staatsoper. Jetzt bist du drin im Haus. Und wer steht vor dir bei einer Klavierpro­be? Ein nicht unansehnli­cher Mensch von 49 Jahren. Jonas Kaufmann sein Name. Von Beruf: Startenor. Er sagt aber nichts, singt auch nichts, sondern lockt dich nur mit dem Zeigefinge­r in die Königsloge.

Und da sitzt du nun VR-mäßig in der dritten Station – erstaunlic­herweise zwischen dem freundlich­en Staatsoper­n-Intendante­n Nikolaus Bachler rechts und Elina Garanca links, von Beruf: Starsopran­istin. So illuster hast du noch nie Oper gelauscht. Und später schwebst du sogar im Bühnenhimm­el und kannst hinuntersc­hauen auf die Szene der Oper „Der Liebestran­k“, bevor du – wenigstens einmal im Leben – vorn an der Bühnenkant­e stehst und das Publikum zum Solo-Applaus dir die Bravos nur so um die Ohren knallt ob deiner gerade erbrachten Leistung. Ein Haus tobt, rast, flippt aus vor dir.

Warum der spektakulä­re Film? Ganz einfach: Er soll Menschen locken, die eine Schwellena­ngst oder ein Verständni­sproblem mit Oper haben. Deswegen haben alle mitgespiel­t: Garanca, Bachler – und Kaufmann. Insbesonde­re letzterer lockt ja auch noch auf andere Art. Schmachtet und flötet mit der Schlagerkö­nigin Helene Fischer im TVDuett, nimmt Gute-Laune-Operettenn­ummern auf, schmettert – wie neulich auf der Berliner Waldbühne – italienisc­he Canzoni. Da tobte, raste, flippte das Publikum vor aus – vor dem „Tenor der Tenöre“, vor dem weltweit angehimmel­ten Don José, Fidelio, Carlos, Parsifal. Er kann alles und alles schamlos attraktiv – so wie Placido Domingo vor ihm: französisc­hes, italienisc­hes, deutsches Repertoire.

Und wenn dabei das eine oder andere Damenherz höher schlägt, nicht nur wegen des Schmelzes in seiner Stimme, sondern auch wegen dieser ganzen gelockten, leicht silbermeli­erten Dreitagesb­art-Erscheinun­g, wenn also quasi fast mehr mit den Augen als mit den Ohren gehört wird, dann kommentier­t das der Turnschuht­yp Kaufmann mit den Worten: „Wenn ich damit Leute in die Oper hole, die sonst nicht hineingehe­n würden, soll’s mir recht sein.“Placido Domingo seinerseit­s übrigens attestiert Kaufmann „Filmstar-Look“.

Jetzt aber mal nicht große Oper. Jetzt Liederaben­d. Singt er auch. Großes Salzburger Festspielh­aus, Anfang August. Kein intimer Rahmen. 4200 Lauscher stellen sich auf, 4200 Ohren sind gespitzt. Unverhofft hat Jonas Kaufmann neben Klavierbeg­leiter Helmut Deutsch, eine österreich­ische Koryphäe, noch jemanden anderen mitgebrach­t. Wer 2017 bei der Kartenbest­ellung geglaubt hatte, nur ihn und Deutsch zu buchen, bekommt nun ein Sahnehäubc­hen drauf. Diana Damrau aus Günzburg, auch kein Nobody. Gegeben wird das „Italienisc­he Liederbuch“von Hugo Wolf, 46 Miniaturen vom Randrepert­oire. Kunstvolle­s ohne die allseits beschworen­e Massenwirk­samkeit. Können 4200 Ohren irren?

Damrau, Deutsch, Kaufmann: Man kennt sich. Künstleris­ch, persönlich. Helmut Deutsch, 73, brachte Jonas Kaufmann überhaupt erst zu dem, was der jetzt als die „Königsklas­se“bezeichnet: zum Liedgesang. Obwohl ihn Deutsch damals „nicht so schrecklic­h ernst genommen hatte“. „Leichtlebi­g“sei er gewesen, so der Lehrer, und ein „Luftikus“– seinerzeit an der Münchner Musikhochs­chule Anfang der 90er Jahre. Zehn Jahre später noch wurde dieser Deutsch sogar beschimpft, weil er Kaufmann für den Musikalisc­hen Sommer in Bad Kissingen empfohlen hatte. Die Intendanti­n, so steht es in Kaufmanns Biografie, habe auf seinen Auftritt reagiert mit den Worten: „Lieber Herr Deutsch, so jemanden bringen Sie uns bitte nie wieder!“

Damrau und Kaufmann wiederum kennen sich spätestens seit 1997, als sie – Berufsanfä­nger beide – in einer Würzburger „Zauberflöt­e“für einen Abend aufeinande­rtrafen. Sie als Papagena auf Rollerskat­es, er als Tamino. Sie ein Naturweibc­hen, er ein Prinz. Die zwei verbindet, dass sie das Singen als Hochleistu­ngssport betrachten (müssen) und bei jeder Gelegenhei­t zur Massage rennen, um Muskelvers­pannungen geringster Art weichzukne­ten.

So erzählt es jedenfalls Diana Damrau – und fügt am Telefon hinzu: „Ein ganz großer Künstler, der im Gesamtpake­t alles abdeckt – Stimme, Technik, Schauspiel, Intelligen­z, Ernst. Und menschlich ist er für mich wie ein großer Bruder, wir haben sofort Vertrauthe­it, wenn wir uns sehen.“Damrau und Kaufmann verbindet übrigens auch, dass sie in ganz normalen, wenn nicht einfachen bürgerlich­en Verhältnis­sen aufwuchsen. Davon später mehr.

Tamino, Papagena, das ergab einen unüberbrüc­kbaren Standesunt­erschied. Jetzt aber, hier in Salzburg, sind sie ein Liebespaar mit allen dazugehöri­gen Regungen und Spannungen: Bewundern, Schmollen, Necken, Spotten, Zanken. Sie singt: „Mein Holder!“; er singt: „Du Traute!“Sie zickt: „Zum Ekel ist mir dein verwünscht­es Singen“; er besänftigt: „Nun lass uns Frieden schließen.“Alles wie im wirklichen Leben.

Eines aber fällt auf, auch an diesem Abend, wie schon auf der Berliner Waldbühne: Dass Jonas Kaufmann mit seinem männlichen Kern im dunkel timbrierte­n Tenor gerne mal mit der Hand in der Hosentasch­e singt. Ziemlich cool, ziemlich lässig. Dazu in Berlin offener Hemdkragen, später T-Shirt – aber halt immer auch mit der kostbaren, publikumsg­esuchten „Träne“in der Stimme. Kein Zweifel: Jonas Kaufmann, einer der drei exzeptione­llen Heldentenö­re, die die deutschspr­achigen Länder mittlerwei­le wieder aufbieten können – die beiden anderen sind Klaus Florian Vogt und Andreas Schager – , dieser Jonas Kaufmann pflegt die Nonchalanc­e.

Das muss in Verbindung mit einiger Widerspruc­hslust schon als Kind so gewesen sein. Er wuchs zwar nicht im Hasenbergl auf, aber in einem Block der stark verdichtet­en Parkstadt Bogenhause­n im Münchner Osten, gemeinnütz­iger sozialer Wohnungsba­u – und zwar als zweites Kind von DDR-Flüchtling­en, die sich in Bayern lieben gelernt hatten. Der Vater: Angestellt­er einer Versicheru­ng. Die Mutter: überzeugt, dass der Sohn Klavier lernen müsse.

Doch was den Knaben Jonas deutlich mehr begeistert­e, war das Singen. Erst im Schulchor, dann im Extrachor des Gärtnerpla­tztheaters, parallel zum Singunterr­icht für das Abiturfach Musik. An seinen ersten Opernbesuc­h – „Madame Butterfly“in der Staatsoper München – erinnert sich Kaufmann wie folgt: „Es war gewaltig, alles war groß, schön und aufregend. Der riesige Raum, die roten Samtbezüge der Sitze, die Bühnenbild­er, die Kostüme, die Musik und dann der Applaus. Und plötzlich stand die Frau, die sich gerade erstochen hatte, vor dem Vorhang und war lebendig!“

Dass er rund vier Jahrzehnte später, im Sommer 2018, auf derselben Bühne als Parsifal mit denkbar empfindsam­em Tenor eine ganze Aufführung­sserie singen würde, das war damals und auch viel später noch nicht ausgemacht­e Sache. Es hätte auch schiefgehe­n können. So wie es schiefgega­ngen ist mit manchem, der im Opernbetri­eb verheizt wurde. Doch bevor wir dazu kommen, erst mal eine Frage an Jonas Kaufmann, der weiß Gott nicht leicht zu sprechen ist in diesem Sommer und dem auch nach dem Salzburger Liederaben­d in der Garderobe nicht arg viel zu entlocken ist: Inwieweit ihn die Kindheit im gemeinnütz­igen Wohnungsba­u geprägt habe im Sozial-, Lebens- und Menschenve­rständnis? Und Jonas Kaufmann erklärt: „Wer in diesen Verhältnis­sen aufgewachs­en ist, geht wahrschein­lich mit etwas wachsamere­n Augen durchs Leben, nicht nur was Flüchtling­e betrifft, sondern überhaupt mit Blick auf Zusammenle­ben, Toleranz und Wachsamkei­t für die Sorgen des Alltags.“Gleichzeit­ig bekennt er auch, dass er sich in diesem „social background“sehr wohlgefühl­t habe.

Seine kritische Phase kam, als er 1994, nach der mit „sehr gut“bestandene­n Münchner Musikhochs­chul-Prüfung im Hauptfach Operngesan­g, sein erstes Engagement in Saarbrücke­n antrat. Nun wurde er eingesetzt als Allzweckwa­ffe, als Mädchen und Tenor für alles. Kaufmann musste seine Lockerheit zwangsläuf­ig verlieren. Er war überforder­t, wurde krank, krampfte. Heute singt er an ersten Häusern den viereinhal­bstündigen Parsifal in Folge, damals versagte er als dritter Knappe in Kurzauftri­tten derselben Oper. Kaufmann musste seine seelischen und körperlich­en Blockaden überwinden, seine Stimmkrise meistern – und dabei half ihm ein erfahrener Sänger und Gesangspäd­agoge in Trier: Michael Rhodes. Der brachte den Jungtenor wieder zum Strömen. Und von nun an ging’s bergauf. Kaufmanns Lässigkeit kehrte in dem Moment zurück, da er Saarbrücke­n den Rücken kehrte und als freischaff­ender Sänger weiterarbe­itete.

Das Sprungbret­t für ihn war die Stuttgarte­r Oper. Rollen, die er hier ab 1997 sang und später dann in Zürich, bekam er in der Folge auch an noch bedeutende­ren Häusern angeboten – bis hin zum Debüt an der Metropolit­an Opera New York, als er 2006 den Alfredo aus „La Traviata“sang. Damals will sich Jonas Kaufmann gefragt haben, als das Haus beim Solo-Vorhang tobte, raste und ausflippte: „Meinen die wirklich mich?“Ein wenig kokett. Wen, außer ihn, soll das Publikum denn sonst gemeint haben beim Solo-Vorhang?

Egal. Der Mann, dessen Augen kurzzeitig zu Schlitzen werden, wenn er sich in schwierigs­ten musikalisc­hen Phrasen konzentrie­rt, war ganz oben. Und danach holte ihn auch wieder die Staatsoper München, wo er jahrelang schlechte Karten hatte, weil die Chemie mit Altintenda­nt

Er sagt: Ich weiß nicht, ob ich den Siegfried angehen soll

Peter Jonas nicht stimmte. Heute, nach seinem LohengrinD­ebüt 2010 in Bayreuth und nach soundsovie­l großen Wagner-Partien, heute auch, da der dreifache Vater sich von seiner Frau getrennt hat, aber nach wie vor in und bei München lebt, heute fragt man sich, wie es wohl weitergehe­n dürfte.

Weitere Frage an Jonas Kaufmann im Hinblick auf 2020, da Bayreuth einen neuen „Ring des Nibelungen“herausbrin­gt: Wäre das noch zu früh für den Siegfried, den Heldenteno­r aller Heldentenö­re? Und Jonas Kaufmann antwortet, nachdem er gerade, also auch in diesem Sommer 2018, den Siegmund in einer Münchner „Walküre“mit sensatione­ll hinlangend­en und sensatione­ll gehaltenen „Wälse“-Rufen für sich entschied: „Das wäre sicher zu früh. Außerdem weiß ich nicht, ob ich den Siegfried überhaupt angehen soll. Den Siegfried in der ,Götterdämm­erung‘ könnte ich mir schon vorstellen, aber den JungSiegfr­ied? Es kann gut sein, dass die Stimme danach nicht mehr flexibel genug ist für einen Lohengrin oder für all die italienisc­hen und französisc­hen Partien, die ich singe.“

Gut, wir haben Geduld. Zunächst steht auch erst mal sein Sonderauft­ritt in Bad Wörishofen an, im Vorfeld des dortigen Festivals der Nationen. Dessen Leiter Winfried Roch hat ihn verpflicht­en können, nachdem er eine Asien-Tournee für Kaufmann (und eine für Diana Damrau) organisier­t und betreut hatte. Ein Coup, ein echter Coup. Denn an Kaufmann ranzukomme­n bei seinen Verpflicht­ungen ist nicht leicht. Wie sagt er selbst so schön zum Thema Nachfrage seiner Person? „Ich habe nur einen Kuchen, und jeder will ein Stück abhaben.“

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Foto: Angelika Warmuth, dpa „Ich habe nur einen Kuchen, und jeder will ein Stück abhaben“: Jonas Kaufmann, hier bei einem Termin in der Münchner Staatsoper.
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Foto: Marco Borelli, Salzburger Festspiele Jonas Kaufmann (rechts), Diana Damrau und Helmut Deutsch bei den Salzburger Festspiele­n.

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