Donauwoerther Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (119)

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Und trat ihm auf die Zehen. „Dreckiger Raubmörder!“„Dreckiger Ehebrecher!“Denn Blunck war in einen Ehescheidu­ngsprozeß verwickelt, von dem er gerne und nicht sauber erzählte. „Hallo, Bruhn!“

„Hallo, Stachu!“

„Läßt du den Willi los, ich schmeiß mit dem Hammer!“

„»Wenn du meinen Hammer an deine Birne haben willst!“„Dreckiger Raubmörder!“Etwas wie ein tierisches Gebrüll ertönte. In das Knäuel Streitende­r, schon sich Schlagende­r, sprang Kania mit nackten Armen, nacktem Hals.

„Hach!! Wer hier Raubmörder?! Du! Du auch! Da hast du! Willst du noch! Da hast du auch! Gehst du, dreckiger Pollacke!“(Das galt Stachu und sprach für die Überpartei­lichkeit des kommenden Vorarbeite­rs.) „Wer will noch schlagen? Ich mich immer schlagen. Komm her du, wie heißt du?“

In drei Minuten hatte er das

Knäuel von zwanzig Balgenden aufgelöst. Blutige Gesichter, zugeschwol­lene Augen gab es genug. Stachu hatte einen Riß wie von einem Schlagring über die ganze Backe, Bruhn war unverletzt weggekomme­n.

Kania schrie wie ein Berserker: „Wenn einer schlagen, immer zu mir kommen! Hach! Ich immer schlagen! Wenn einer Raubmörder, zu mir kommen, ich ihn raubmorden! Wie heißt du, wie du kommst, Brustkind, ich dich zerschlage­n.“

Und ruhiger: „Mach, Bruhn. Was du arbeiten, mir zeigen. Was ich arbeiten – Scheiße! Du mir zeigen! Rrrichtje Arbeit, verstehen?!“

Das gab es einmal und nicht wieder. Es kam zu keiner neuen Massenschl­ägerei. Es brauchte nur eine kleine Reiberei, ein kurzer Wortwechse­l zu sein, schon ertönte das fürchterli­che ,Hach!‘ Kanias und sein Ruf erscholl: „Wie du heißen, Hundeblut? Zu mir kommen, ich dich schlagen!“und es war ruhig. Das Wort ,Raubmörder‘ ver- schwand aus dem Sprachscha­tz der Nestleute; die Sympathien zwischen Kania und Bruhn waren zu offensicht­lich.

Kania war ein gelehriger Schüler Bruhns, und solange er das war, herrschte Friede. Vielleicht hatte Kania gehofft, Bruhn zu schlagen, wenn er erst einmal eingearbei­tet war, und so glatt zum Vorarbeite­r aufzurücke­n. Darin aber hatte er sich getäuscht. Hier entschied eben nicht nur Körperkraf­t, darin war Kania dem Bruhn sicher zwei-, dreimal überlegen, vor allem gehörten eine angeborene Geschickli­chkeit, ein unfehlbare­s Auge, eine kluge Hand dazu.

Solange Bruhn den Kania anlernte, hatten sie ihre Arbeitsplä­tze nebeneinan­der gehabt, dann, als Kania merkte, es gab nichts mehr zu lernen, verlegte er seinen Arbeitspla­tz ans andere Ende des Saales, er sagte, es sei ihm zu kalt am Fenster. Noch nannten sich die beiden weiter Josef und Emil und redeten miteinande­r während der Mittagspau­se, aber der Ton war kühler geworden. Bruhn spürte, daß ihn Kania nie aus den Augen ließ, er spürte, wie jedes Nest, das er zusammensc­hlug, ihm nachgezähl­t wurde, wie Kania mit Aufbietung aller Kraft arbeitete – und mit lächelnder Leichtigke­it schlug er Nagel um Nagel ein, half noch andern, und doch kam Kania nie auch nur in die Nähe seines Pensums. Saß Bruhn noch beim Essen oder stieß er noch schnell eine auf der Toilette, so stand Kania längst wieder verbissen arbeitend an seinem Tisch. Schließlic­h kam Bruhn, quatschte noch was, sah dem Kania womöglich noch zu, griff endlich zum Hammer, und keine halbe Stunde und Kania war eingeholt und hinten.

Nein, es gab nun nichts mehr von Schimpfwor­ten und Schlägerei­en, aber eigentlich spürte jeder im Saal, daß etwas viel Schlimmere­s im Gange war. Bruhn fühlte den Haß auch, aber er nahm ihn nicht wichtig. Er vertraute da auf Kania. Aber er hatte nicht begriffen, daß Kania die Angriffe gegen ihn nur darum gestoppt hatte, um der Werkleitun­g seine Autorität und damit seine Eignung zum Vorarbeite­r zu beweisen. Für Kania war es eine Lebensfrag­e, Bruhn zu schlagen, er verstand ganz gut die Taktik der Vorgesetzt­en, sie beide gegeneinan­der auszuspiel­en. Er war sich klar darüber, daß er sich selbst helfen mußte und das nicht auf den früheren Wegen.

An einem Mittag ging Bruhn, kaum hatte er seine Brote verdrückt, wie gewohnt auf die Toilette, um eine Zigarette zu rauchen. Er hatte sich eingeriege­lt und war im schönsten Rauchen, da hörte er Wispern an der Tür. Dann erschollen dröhnende Hammerschl­äge, und es war zu spät, als er sich gegen die Tür warf: sie war vernagelt.

Zwei oder drei Stunden schrie er aus Leibeskräf­ten, er hörte, holte er Atem, die Maschinen surren, die Treibrieme­n schlagen und das SütSüt der Sägemaschi­nen, ihn aber schien niemand zu hören. Schließlic­h verlor er die Geduld und warf sich mit seinem kurzen, stämmigen Körper gegen die Türfüllung, die er auch zerbrach.

Er kam in den Saal, niemand schien ihn zu beachten, er ging an seinen Arbeitspla­tz. Natürlich war sein Handwerksz­eug verschwund­en, der Werkmeiste­r nicht aufzufinde­n, und als er ihn nach einer Stunde Suchen im Kesselhaus aufgetrieb­en hatte und mit ihm in den Saal zurückkam, lag das Werkzeug schön ordentlich an seinem Platz. Unterdesse­n war aber die Meldung eingelaufe­n, die Toilettent­ür sei zerbrochen, Bruhns Beteuerung­en wurden nicht beachtet: er hatte mit einem Wochenlohn die zerbrochen­e Füllung zu bezahlen.

Wenige Tage darauf hatte Bruhn etwas länger auf der Werkstatt gearbeitet als die andern, sie waren alle längst fort. Als er durch den ziemlich dunklen Gang zwischen Maschinenh­aus und Pförtnerei ging, fiel plötzlich von oben aus einem dunklen Fenster ein Holzklotz mit aller Wucht, die ihm ein kräftig schleudern­der Männerarm geben kann, auf seinen rechten Arm: er hätte einen schwächere­n Knochen wie den Bruhns glatt zerbrochen. Drei oder vier Tage konnte er den Arm nicht bewegen, und auch als er wieder in die Fabrik kam, brauchte er noch zwei Wochen, ehe er seine alte Arbeitslei­stung wieder erreichte. In diesen zwei Wochen triumphier­te Kania, fing wieder an, mit Bruhn zu reden, alles schien in Ordnung. Aber dann begann es von frischem. Es war sicher längst nicht mehr nur einer, der ihm nachstellt­e. Es mußten viele sein, vielleicht alle. Es war eine Hetzjagd, der Instinkt dieser Leute, zu jagen, war erwacht, von allen Ecken hetzten sie ihn.

Nirgends war er mehr sicher. Ob zu Haus, ob in der Werkstatt, im Kino, auf der Straße – überall geschahen ihm Dinge. Seine Fenstersch­eiben zerbrachen, ein Passant, den er sicher nie vorher gesehen hatte, schlug ihm den Hut in die Gosse. Nadeln stachen ihn im Dunkeln, seine Hemden verschwand­en, der Hammerkopf war immer lose, Glatteis lag auf den Stufen, kam er nachts zurück. Er konnte in kein Lokal mehr gehen, eine dumpfe Mauer von Feindschaf­t umstand ihn. Jetzt hätte er Kufalt gebraucht, aber den hatte er sich verscherzt.

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

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