Donauwoerther Zeitung

Ein Dorf ganz nahe an der Katastroph­e

Bei Warching stürzte am 18. August 1998 ein Kampfjet ab. Dass es keine Verletzten und Toten gab, ist angesichts der Umstände auch heute noch kaum zu fassen. Der Unfall ist in den Köpfen der Betroffene­n weiter präsent

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Monheim Warching Es ist ein schöner Sommertag mitten in den großen Ferien in Warching. Ein kurzer Regenschau­er sorgt am Nachmittag dafür, dass die Menschen, die im Garten beschäftig­t sind, und die Kinder, die im Freien spielen, in die Häuser gehen. Das ist auch bei der Familie Rebele so. Doris und Walter Rebele sitzen mit ihren drei kleinen Kindern am Kaffeetisc­h in der Küche – „und plötzlich gab es einen Riesenknal­l“. Es ist exakt 15.32 Uhr. Die gekippten Fenster werden durch eine Druckluftw­elle zu- und aufgeschla­gen. Im nächsten Moment züngeln Flammen an dem Gebäude hoch. Die Idylle in dem rund 150 Einwohner zählenden Juradorf ist mit einem Schlag dahin. Schätzungs­weise 400 Meter nördlich der Siedlung ist ein Flugzeug abgestürzt. Es handelt sich um einen Tornado der Bundeswehr. Wohl Hunderte oder noch mehr Trümmertei­le schießen in den Ort, richteten Schaden an, verletzten aber weder Mensch noch Tier – was beim Betrachten der Szenerie an ein Wunder grenzt. Genau 20 Jahre ist das her. In den Köpfen der Warchinger ist das Ereignis noch immer präsent.

„Wenn ich nachmittag­s heimkomme und meinen Kaffee trinke, kann es schon sein, dass ich daran denke“, erzählt Walter Rebele. Er erinnert sich noch genau an die ersten Minuten nach dem Knall am 18. August 1998. Er schickt seine Kinder in den Keller, eilt vor die Haustür und sieht, dass die ganze nördliche Hauswand brennt. Der Grund: Ein etwa sieben Zentner schweres Teil des Tornados – es handelte sich um einen mit Kerosin gefüllten Zu- – ist bis zum Haus der Familie Rebele geflogen. Zuvor hat es direkt oberhalb des Gebäudes in eine Scheune eingeschla­gen und den Firstbalke­n geknickt. Vor dem Aufschlag direkt vor dem Wohnhaus bremste zudem eine dicke Mauer das Metallstüc­k. Die fast zehn Zentimeter tiefe Kerbe im Beton ist noch immer zu sehen.

Das Kerosin verteilt sich über die Fassade. Rebele nimmt geistesgeg­enwärtig einen zufällig vor der Tür liegenden Gartenschl­auch und löscht die Flammen. Damit habe er das Haus retten können, sagt der 58-Jährige. Nur wenige Sekunden später hätte das Feuer wohl auf die Dachversch­alung übergegrif­fen.

Aber auch so ist der Schaden hoch. Der Schreck wird noch viel größer, als den Rebeles das ganze Ausmaß bewusst wird. Ein massiver Metallquad­er hat das Dach glatt durchschla­gen und ist in ein damals nicht ausgebaute­s Zimmer eingedrung­en. Die Wucht ist so groß, dass das Teil ein Loch in die gegenüberl­iegende Wand schlägt, von dort zurückpral­lt und einen Heizkörper zertrümmer­t. Nicht auszudenke­n, was passiert wäre, hätte sich jemand in dem Raum aufgehalte­n.

Betrachtet man die näheren Umstände des Unglücks, ist das Glück der Warchinger kaum noch in Worte zu fassen. Drei Tornados, die zum Jagdbomber­geschwader 32 in Lagerlechf­eld gehören, starten vom Flugplatz bei Manching zu einem Übungsflug über die Region. In einer Maschine – so teilt die Bundeswehr später mit – bekommt die zweiköpfig­e Besatzung eine Störungsan­zeige. Alle Versuche, das Problem zu beheben, scheitern. In dem Kampfjet breitet sich Feuer aus. Viele Menschen sehen, wie die Flammen aus dem Flugzeug schlagen. Ursache ist ein bis dahin an diesem Modell noch nicht aufgetrete­ner technische­r Defekt am Trieb- werk. Nach etwa 20 Minuten haben die Piloten keine andere Wahl mehr: Sie müssen sich mit dem Schleuders­itz retten. Die Maschine droht zu explodiere­n. Die Männer führen den Flieger noch an Wittesheim und Liederberg vorbei, wollen verhindern, dass er auf bewohntes Gebiet niedergeht. Als sie Piloten vor sich nur noch Wald sehen, steigen sie aus. An ihren Fallschirm­en schweben sie vom Himmel herab. Beide landen im Raum Wittesheim. Einer von ihnen bleibt in einem Baum in einem Wäldchen hängen. Die Soldasatzt­ank ten verletzen sich dem Vernehmen nach nur leicht.

Jedoch rast der rund 17 Tonnen schwere Tornado, in dem sich keine Munition, dafür aber etwa 1500 Liter Flugbenzin befinden, über die bewaldete Anhöhe hinweg genau auf Warching zu.

Vielleicht zwei, drei Sekunden, bevor der Jagdbomber das Dorf erreicht, bohrt er sich in spitzem Winkel in eine Wiese. Der Bomber bleibt mehrere Meter tief im Boden stecken, reißt in diesen auch einen Krater. Viele Trümmertei­le des Düsenjäger­s schießen aber auch hinab in den Ort.

Die kleinen und größeren Metallstüc­ke oder mit Kabeln besetzten Elektronik­teile schlagen die Wipfel von Nadelbäume­n ab, treffen elf Gebäude, darunter den Kirchturm und sieben Wohnhäuser. Löcher in den Fassaden, in Fenstern und in gepflaster­ten Hofeinfahr­ten sind die Folge. Die Bordkanone­n, so erzählen Warchinger, bleiben an der Kirchentre­ppe liegen. Unfassbar: Selbst einige Pferde, die auf der Weide am Dorfrand stehen, bleiben unverletzt.

Es läuft ein riesiger Einsatz an. Polizei, Rettungskr­äfte, Feuerwehre­n und Einheiten der Bundeswehr eilen nach Warching. Dort herrscht auch in den folgenden Tagen der Ausnahmezu­stand.

Die Truppe schafft die Wrackteile des Tornados nach Lagerlechf­eld in eine Halle. Dorthin werden die Warchinger im Oktober 1998 eingeladen. Eine Art „Wiedergutm­achung“, mit der sich die Truppe nach eigenen Angaben für die „Unannehmli­chkeiten revanchier­en möchte“, welche die Bürger durch den Absturz erlitten haben. Über 100 Warchinger sowie eine Reihe von Rettungskr­äften werden nochmals über das Unglück informiert und zu einem Essen eingeladen. Geschwader-Chef Hans-Georg Schmidt zeigt sich beeindruck­t, mit welcher Besonnenhe­it und Zurückhalt­ung die Betroffene­n das Ereignis ertragen haben.

Bei diesen Worten muss wohl so mancher Warchinger schlucken. Der Absturz hat bei ihnen doch Spuren hinterlass­en. Das bestätigt Thomas Rebele, der 1998 erst vier Jahre alt war: „Man schaut heute noch, wenn ein Flugzeug am Himmel zu hören ist.“Berta Sprater, Wirtin in Warching, geht es genauso: „Das ist einfach drin in den Leuten.“In der Gaststätte sei der Tornado-Unfall „immer wieder Thema“.

In dem Lokal befindet sich ein Luftbild, das kurz nach dem Absturz aufgenomme­n wurde und eindrucksv­oll vor Augen führt, wie knapp an einer Katastroph­e die Bewohner waren. Im Nebenraum steht

Das Kerosin verteilt sich über die Fassade und brennt

Noch immer tauchen Trümmertei­le auf

eine Vitrine mit einem TornadoMod­ell. „Zur Erinnerung an Ihren Besuch beim Jagdbomber­geschwader 32 im Oktober 1998. Der Kommodore“, steht auf einer gold-glänzenden Metallplat­te. Um seine Verbundenh­eit mit den Warchinger­n zu demonstrie­ren, sei Oberst Schmidt einige Jahre lang sogar zur Kirchweih ins Dorf gekommen, berichtet Berta Sprater.

Unvermitte­lt werden die Warchinger von Zeit zu Zeit auch bei der Gartenarbe­it an den Absturz erinnert. Walter Rebele hat vor ein paar Wochen Unkraut aus dem Boden gerissen. Mit heraus kam eine abgerissen­e Schraube, die auch nach so vielen Jahren frei von jeglichem Rost ist. Solche Funde macht er fast regelmäßig. Rebele sammelt die Metallstüc­ke in einem Plastikeim­er. Seine Frau Doris verweist nach 20 Jahren auf folgende Tatsache: „Das Wichtigste ist, dass niemandem etwas passiert ist.“

 ?? Fotos: Wolfgang Widemann (3), Stefan Sisulak (2), Familie Rebele (1) ?? Einen mehrere Meter tiefen Krater riss das Kampfflugz­eug am 18. August 1998 bei seinem Aufprall in eine Wiese nördlich von Warching. Die Feuerwehr löschte die Flammen.
Fotos: Wolfgang Widemann (3), Stefan Sisulak (2), Familie Rebele (1) Einen mehrere Meter tiefen Krater riss das Kampfflugz­eug am 18. August 1998 bei seinem Aufprall in eine Wiese nördlich von Warching. Die Feuerwehr löschte die Flammen.
 ??  ?? Berta Sprater hat in ihrer Gaststätte ein Bild hängen, das verdeutlic­ht, wie nahe die Absturzste­lle am Dorf war. Noch heute reden die Bewohner über das Ereignis.
Berta Sprater hat in ihrer Gaststätte ein Bild hängen, das verdeutlic­ht, wie nahe die Absturzste­lle am Dorf war. Noch heute reden die Bewohner über das Ereignis.
 ??  ?? Auf Einladung der Bundeswehr besuchten über 100 Warchinger im Oktober 1998 das Jagdbomber­geschwader in Lagerlechf­eld und besichtigt­en die Reste des Flugzeugs.
Auf Einladung der Bundeswehr besuchten über 100 Warchinger im Oktober 1998 das Jagdbomber­geschwader in Lagerlechf­eld und besichtigt­en die Reste des Flugzeugs.
 ??  ?? Das Haus der Familie Rebele kurz nach dem Absturz: Links neben der Tür liegt ein sieben Zentner schweres Flugzeugte­il.
Das Haus der Familie Rebele kurz nach dem Absturz: Links neben der Tür liegt ein sieben Zentner schweres Flugzeugte­il.
 ??  ?? Noch immer findet Walter Rebele in seinem Garten fast regelmäßig Trümmertei­le des Tornados.
Noch immer findet Walter Rebele in seinem Garten fast regelmäßig Trümmertei­le des Tornados.
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Ein Geschenk der Bundeswehr an die Warchinger: ein Tornado Modell.

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