Ein Tag zwischen Tod und neuem Leben
Über 350 Menschen sterben in Indien. Und dann geschieht ein kleines Wunder
Neu Delhi In Rettungsbooten bringen Menschen ihre wichtigsten Dinge in Sicherheit, viele klammern sich an Dächer, Hunderttausende harren in Notunterkünften aus: Die nach offiziellen Angaben schlimmste Flut seit 100 Jahren hat den südindischen Bundesstaat Kerala schwer getroffen. Mehr als 350 Menschen sind seit Anfang August gestorben. Die Wassermassen schnitten mehr als 100000 Menschen von der Außenwelt ab. Sie alle brauchen sauberes Trinkwasser, Nahrung und Medikamente, deswegen kreisen Transportflugzeuge über der Szenerie.
Auch für die Helfer auf trockenem Land ist die Herausforderung gewaltig: Mehr als 800 000 Menschen waren zwischenzeitlich in untergebracht, sagte Staatsminister Pinarayi Vijayan. Manche kommen bei Verwandten unter, da belegen schon wieder andere ihre Betten.
In der auch bei Touristen beliebten Region sind mehr als 40 Flüsse über die Ufer getreten, 80 Dämme wurden geöffnet. Straßen wurden zu Flüssen, Brücken stürzten ein, vielerorts gibt es keinen Strom und keine Telefonverbindungen mehr, es besteht Seuchengefahr. Es sei schwierig, Kontakt in abgelegene Gebiete zu bekommen, hieß es am Wochenende aus dem Krisenstab. Ein genaueres Bild erwarten die Behörden erst in zwei bis drei Wochen, wenn sich die Wassermassen zurückgezogen haben. Papst Franziskus betete am Sonntag auf dem Pe- tersplatz für die Opfer: „Möge es diesen Brüdern nicht an unserer Solidarität und an konkreter Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft fehlen.“Indiens Regierungschef Narendra Modi versprach Nothilfe über fünf Milliarden Rupien (rund 60 Millionen Euro). Das reiche nicht, beklagt die Regierung des Bundesstaats. Die Schäden lägen schon jetzt bei geschätzt 195 Milliarden (2,4 Milliarden Euro).
Bereits seit dem 8. August kämpfen die Menschen in Kerala gegen die Wassermassen. Die meisten der Opfer ertranken oder kamen bei Erdrutschen um. In vielen Städten und Dörfern stieg das Wasser so hoch, dass zweigeschossige Gebäude überflutet wurden. Dächer bleiben oft der einzige Rückzugsort. ManNotunterkünften che der 1300 Retter liehen sich Boote von Fischern, um nach Opfern zu suchen. Auf Bildern waren alte Frauen zu sehen, die Bündel mit ihrem kostbarsten Besitz festhielten, während sie per Boot in Sicherheit gebracht wurden. Doch in all der Dramatik gibt es auch Geschichten, die den Rettern neue Kraft geben. Zum Beispiel die einer jungen Frau, die eine Hubschrauber-Besatzung in höchster Not von ihrem Hausdach gerettet hatte. „Wir haben sie hochgewunden, das dauerte aber etwas, weil wir erst zwei Helfer zu ihrer Unterstützung herunterlassen mussten“, sagte der Leiter des Rettungseinsatzes. Denn die 25-Jährige war schwanger – und brachte kurz nach ihrer Rettung einen gesunden Sohn zur Welt.