Moralisches Dilemma
Wir lesen und hören und sehen: Das Insektensterben ist eine Tatsache. Schlagender Beweis, der immer wieder angeführt wird, ist die relativ saubere Windschutzscheibe unserer Autos nach langen Fahrten; den Mückenschwamm braucht man fast nicht mehr. Aber Tatsache ist anscheinend auch, dass die guten unter den Geflügelten wie Bienen und Hummeln weniger Überlebenschancen haben als Mücken und Bremsen. Warum steht auf Biergartentischen statt des Blümleins Autan, Mosquito oder Antibrumm? Warum erscheinen meine abendlichen Gäste verhüllt wie ein Beduinenstamm und statt mit Prosecco mit Citronellakerzen und Nelkenöl? Und wenn das alles die feindlichen Attacken aus der Luft nicht abwehrt, greift jeder zur Fliegenklatsche oder schlägt wild um sich. Aber jetzt kommt’s. Jetzt beginnt das moralische Dilemma. Darfst du ein Wesen, das offensichtlich durch sein Dasein ein Recht auf Leben hat, einfach so abmurksen? Dazu gibt es schon recht klare Standpunkte. Im Radio erklärt ein Befragter, er versuche, durch sein Karma die Mücken und Fliegen in seiner Wohnung aus dem Fenster zu treiben. Ich weiß noch gar nicht, wo mein Karma steckt und ob es auf Mücken wirkt … Dann gibt es noch die Möglichkeit, durch eine Lebendfalle zum Beispiel Fruchtfliegen vom Obst fernzuhalten, und wenn man sie wirklich hat, setze ich sie auf meinem Apfelbaum aus und warte, ob sie die Umsiedlung vertragen, oder wie? Am wirksamsten scheint der Vorschlag der Gruppe Maybepop: „Esst mehr Insekten!“. Der Speiseplan wird mit frittierten Zikaden und abgeschreckten Heuschrecken bereichert. Proteine in Massen, mit Gewürzen wäre auch was zu machen. Ich träume von Fliegenmousse und Mückenparfait. Oder wird man dann freiwillig Vegetarier?