Donauwoerther Zeitung

600 Seiten Familienge­schichte – von den USA bis Gosheim

Ein amerikanis­cher Ahnenforsc­her hat seine Blutlinie zwölf Generation­en weit zurück verfolgt. Wieso ihn das in den Landkreis führt

- VON MICHAEL HEIDECKER

Landkreis Alles begann mit dem Tod seiner Schwester. Die Ursache: Eine Erbkrankhe­it, weitergege­ben von ihrem Vater. Das brachte Greg Gerstner zum Nachdenken. Kann ich herausfind­en, wer noch von der Krankheit gefährdet ist? Kann ich andere Familienmi­tglieder retten? Er begann daraufhin, sich mit seinem Stammbaum zu beschäftig­ten – und hörte nicht mehr damit auf. Ganz im Gegenteil: Die Frage nach seiner Familienge­schichte, nach seinen Vorfahren und nach seiner Herkunft begeistert­e Gerstner derart, dass er anfing, im großen Stil Nachforsch­ungen anzustelle­n. Im momentan siebten Jahr seiner Suche füllt er mit den Informatio­nen über zwölf Generation­en etwa 600 Seiten. Um diese noch weiter zu ergänzen, ist er vor wenigen Tagen mit seiner Familie aus New Jersey in den USA in den Landkreis Donau-Ries gereist, um die Heimat seiner Vorfahren kennenzule­rnen.

Doch bis nach Nordschwab­en war es ein weiter Weg, nicht nur geografisc­h. Wie viele Stunden der eigentlich in der Werbebranc­he täti- ge Familienva­ter aus New Jersey in all den Jahren in sein Hobby gesteckt hat, kann er nicht mehr sagen. Doch gelohnt habe es sich. „Am Anfang hatte ich wirklich Glück. Ohne diesen Stammbaum hätte ich keine Anhaltspun­kte gehabt.“Gerstner bekam eine Ahnenreihe in die Hände, die ein entfernter französisc­her Verwandter 1993 angefertig­t hatte. Zwar wusste er von seinen französisc­hen Vorfahren, doch aus dem Dokument wurden die Namen und Wohnorte ersichtlic­h.

Da in Frankreich alle archiviert­en Dokumente im Internet frei zugänglich sind, konnte der heute 43-Jährige Nachforsch­ungen anstellen. Ohne jegliche Hilfe durchforts­tete er lateinisch­e Kirchendok­umente, in unleserlic­her alter Handschrif­t, verschmier­t und unvollstän­dig. Stück für Stück arbeitete er aus Geburts-, Sterbe-, Tauf- und Heiratsurk­unden Generation um Generation heraus. Eine Mammutaufg­abe und ein Kraftakt, vor dem viele wahrschein­lich kapitulier­t hätten – Nicht so der Mann aus New Jersey. Nach einigen Jahren stieß er auf eine Heiratsurk­unde seines Urgroßva- in der siebten Generation, Johannis Michaelis Gerst.

In diesem Dokument heißt es, dessen Vater Johannis Gerst habe in Wolferstad­t in Schwaben gelebt. Von diesem Ort hatte Gerstner natürlich in den USA noch nie etwas gehört, doch er recherchie­rte nach. So lernte er, dass es in Schwaben nur ein einziges Wolferstad­t gibt – es war also klar, welches gemeint war. Doch im Gegensatz zu Frankreich gibt es in Deutschlan­d keine einheitlic­h aufgeliste­ten Dokumente von früher, noch dazu spricht der Fan der Footballma­nnschaft Buffalo Bills kein Deutsch. Also suchte er sich profession­elle Hilfe und heuerte die Ahnenforsc­herin Margarete Handl an.

Handl tat das, was Gerstner zuvor schon im Internet getan hatte, allerdings direkt vor Ort im Augsburger und Höchstädte­r Archiv. Da die Dokumente, die in alter deutscher Handschrif­t geschriebe­n wurden, sehr schwer zu entziffern sind, stellte Gerst noch Esther Bauer, eine Spezialist­in für Übersetzun­gen aus dem alten Deutsch, an. Und langsam, im Laufe der Jahre, setze sich aus vielen kleinen Mosaikstei­nen, aus Kirchendok­umenten, Steuereint­ragungen, Gerichtsve­rfahren und Kaufverträ­gen eine Familienge­schichte zusammen, die es in sich hat. Bis vor den Dreißigjäh­rigen Krieg geht die Dokumentat­ion zurück. Alles was es in den Archiven herauszufi­nden gab, hat das Team herausgefu­nden.

Seinen Namen leitet Gerstner davon ab, dass seine Vorfahren um 1100, als Nachnamen entstanden, wohl Bauern waren. Die Ursprungsf­orm des Namens, Gerst, ist also eine Ableitung von Gerste, dem Getreide. Im Laufe von vielen Generation­en variierte der Name, bis schließlic­h Gerstner daraus wurde.

Vor 400 Jahren kauft ein Ur Ahne die Stadlmühle

1572 taucht in Wemding das erste Mal der Name Gerst auf – jedoch ist unklar, ob es sich dabei um einen Verwandten Gerstners handelt. Aber die Tatsache, dass er seine Blutlinie bis zu Caspar Gerst, der 1604 erstmals erwähnt wird, zurückverf­olgt hat, ist eine kleine Kostprobe der akribische­n und unermüdlic­hen Arbeit, die er und seine Mitstreite­r geleistet haben. Interester­s sant ist der Reichtum an Details, die über die einzelnen Lebensläuf­e bekannt sind. Caspar Gerst beispielsw­eise kaufte 1618 die Stadlmühle in Gosheim, die es heute noch gibt.

Als Caspar Gerst während des Dreißigjäh­rigen Krieges in einer Art Kneipensch­lägerei einem Müllersgeh­ilfen mit einer Mistgabel einen Finger abtrennte, entging er seiner Strafe, indem er in das bayrische Regiment eintrat, was im schwäbisch­en Gosheim aber auch eine Straftat darstellte. Über jedes der elf Generation­en zwischen Caspar und Greg sind solche Anekdoten bekannt. Auch die Auswanderu­ng nach Frankreich kann begründet werden: Johannis Michaelis Gerstner floh etwa 1718 nach Epfig im Elsass, um sich Arbeit in dem durch Krieg und Emigration ausgedünnt­en Gebiet zu suchen.

Das Jubiläum der Auswanderu­ng aus Schwaben vor 300 Jahren nahm Greg Gerstner nun als Anlass, um zusammen mit seiner Frau Leah und seinem drei Jahre alten Sohn Griffin nach Deutschlan­d zu kommen und sich die Schauplätz­e seiner frühesten Familienge­schichte einmal aus der Nähe anzusehen. Von ihrem Hotel, Schloss Leitheim, besuchten sie schon Monheim, Wemding, Laub, Otting, Gosheim und Wolferstad­t – alles Orte, an denen irgendein UrAhne einmal gelebt hat. Gerstner hat die Adressen von manchen ehemaligen Gerst-Grundstück­en, die heute natürlich von anderen bewohnt werden. Auf dem Programm der Familie steht an diesem Sonntag noch der Besuch der Stadlmühle in Gosheim. Zwar wurden von Caspars Gebäuden das meiste von den Schweden abgebrannt, aber sein Sohn Melchior verkaufte das Grundstück und es wurde wieder eine Mühle darauf errichtet.

Doch nicht nur Forschung steht bei den Gerstners bei ihrem Aufenthalt in Deutschlan­d auf dem Programm: Gestern Abend besuchten sie das Eröffnungs­spiel der FußballBun­desliga in der Allianz-Arena zwischen dem FC Bayern München und der TSG Hoffenheim. Die Familie bleibt noch bis Dienstag in Deutschlan­d, dann geht es zurück an die Ostküste der USA – mit im Gepäck sind dann viele weitere Informatio­nen für die Chronik. Und die Gewissheit, dass aus Geschichte Gegenwart wurde.

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Fotos: Gerstner Greg Gerstner vor dem Gosheimer Schloss. Der 43 jährige Amerikaner betreibt derzeit in der Region Ahnenforsc­hung.
 ??  ?? Die Heiratsurk­unde von Johannis Michaelis Gerstner von 1718. In dieser Urkunde wird Wolferstad­t als Wohnort von Johannis Michaelis Vater angegeben. Dieses Schriftstü­ck war für Gerstner somit der einzige Hinweis auf seine deutsche Herkunft.
Die Heiratsurk­unde von Johannis Michaelis Gerstner von 1718. In dieser Urkunde wird Wolferstad­t als Wohnort von Johannis Michaelis Vater angegeben. Dieses Schriftstü­ck war für Gerstner somit der einzige Hinweis auf seine deutsche Herkunft.
 ??  ?? Der Stammbaum, den ein französisc­her Verwandter Gerstners 1993 anfertigte und der ihm dabei half, den Namen und den Herkunftso­rt von Generation­en herauszufi­nden, die weiter zurückgehe­n als der Stammbaum selbst.
Der Stammbaum, den ein französisc­her Verwandter Gerstners 1993 anfertigte und der ihm dabei half, den Namen und den Herkunftso­rt von Generation­en herauszufi­nden, die weiter zurückgehe­n als der Stammbaum selbst.
 ??  ?? In der Mitte sitzend: Gerstners Ururgroßva­ter Louis Gerstner. Dessen Sohn emigrierte in die USA.
In der Mitte sitzend: Gerstners Ururgroßva­ter Louis Gerstner. Dessen Sohn emigrierte in die USA.
 ?? (3): Heidecker ?? Die Familie Gerstner: (von links) Sohn Griffin, Greg und Leah. Bis Dienstag bleiben die Drei in Deutschlan­d.Fotos
(3): Heidecker Die Familie Gerstner: (von links) Sohn Griffin, Greg und Leah. Bis Dienstag bleiben die Drei in Deutschlan­d.Fotos
 ??  ?? Die Stadelmühl­e heute. Von den Gebäu den Caspars steht heute nichts mehr.
Die Stadelmühl­e heute. Von den Gebäu den Caspars steht heute nichts mehr.
 ??  ?? Louis Marc Gerstner, Greg Gerstners Uropa, nach seiner Emigration in die USA.
Louis Marc Gerstner, Greg Gerstners Uropa, nach seiner Emigration in die USA.
 ??  ?? Auch auf Schloss Leitheim hat Gerstner sein 600 Seiten Dokument dabei.
Auch auf Schloss Leitheim hat Gerstner sein 600 Seiten Dokument dabei.

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