Donauwoerther Zeitung

Der letzte Aufrechte

Nach dem Tod des Vietnam-Helden John McCain gibt es bei den Republikan­ern kein moralische­s Gegengewic­ht zu Trump mehr

- VON KARL DOEMENS

Washington Wenige Stunden, nachdem seine Familie den Abbruch der Chemothera­pie bekannt gegeben hatte, stellte jemand das Video ins Internet. Es zeigt den damaligen Präsidents­chaftskand­idaten bei einer Kundgebung in Minnesota. „Ich kann Obama nicht trauen“, meldet sich eine republikan­ische Anhängerin zu Wort: „Ich habe über ihn gelesen und er ist nicht … hm …. Er ist ein Araber.“Da ergreift John McCain beherzt das Mikrofon, schüttelt den Kopf und sagt: „Nein, meine Dame. Er ist ein ehrenwerte­r Familienma­nn und ein Bürger, mit dem ich in zentralen Fragen nicht übereinsti­mme. Darum geht es in der Kampagne. Er ist kein Araber.“

Zehn Jahre liegt die Szene nun zurück. Doch innerhalb kürzester Zeit wurde der 30-sekündige Clip am Freitag hunderttau­sende Mal geteilt. Als der 81-jährige Senator am Samstagnac­hmittag auf seiner Ranch in Arizona dem aggressive­n Tumor erlag, der seit einem Jahr in seinem Kopf wütete, war er nicht nur im Netz längst zum Idol und Helden geworden. „Ein Löwe ist von uns gegangen“, klagte die republikan­ische Senatorin Susan Collins. So empfinden es sehr viele Menschen in den USA.

Kriegsvete­ran, Folteropfe­r der Vietcong, zweimalige­r Präsidents­chaftskand­idat – die bemerkensw­erte Lebensgesc­hichte des konservati­ven Admiralsso­hnes gibt genug her, um ihn zu einer Legende zu machen. Doch wirklich verständli­ch ist das bedrückend­e kollektive Verlustgef­ühl, das nun die Amerikaner befällt, nur aus dem scharfen Kontrast eines Menschen, der von Charakter, Prinzipien und Selbstdisz­iplin geprägt war, mit dem derzeitige­n Amtsinhabe­r im Weißen Haus, der den in Gefangensc­haft gefolterte­n Marinepilo­ten nicht als Kriegsheld­en bezeichnen wollte. „Ich mag Leute, die nicht gefangen werden, okay?“, sagte Donald Trump.

Es ist noch gar nicht so lange her, da galt McCain als rechter Hardliner. Im vermeintli­chen Dienst der Demokratie hat er stets eine interventi­onistische Politik der USA unterstütz­t. Bis zuletzt hat er den Irakkrieg verteidigt. Mit der Berufung von Sarah Palin zu seiner Stellvertr­eterin, die er im Nachhinein als Fehler bezeichnet­e, hat McCain die Republikan­er für Rechtspopu­listen geöffnet. Doch als Vertreter des traditione­llen Parteiflüg­els stand er für demokratis­che Werte, freien Handel und liberale Einwanderu­ngsgesetze, die Trump offen bekämpft.

Seine Autobiogra­fie, die McCain im Frühjahr schon sterbenskr­ank veröffentl­ichte, macht den Kontrast überdeutli­ch: „Er scheint nicht interessie­rt am moralische­n Charakter von Führern und ihren Regierunge­n“, schrieb der Senator da über den aktuellen Präsidente­n: „Der Anschein von Härte scheint ihm mehr als Werte zu bedeuten. Schmeichel­n sichert seine Freundscha­ft, Kritik seine Feindschaf­t.“Als Trump in seiner Amtseinfüh­rungsrede die Presse als „Feind des Volkes“diffamiert­e, kommentier­te McCain: „So fangen Diktaturen an“.

Eingefleis­chte Trump-Fans begannen sich im Internet über den Kriegsvete­ranen, der nach schweren Misshandlu­ngen seine Arme nicht mehr bis zum Kopf heben kann, zu verhöhnen. Eine Sprecherin des Weißen Hauses kommentier­te McCains Kritik an der durch Foltervorw­ürfe belasteten neuen CIAChefin Gina Haspel mit den Worten „Das ist egal. Der stirbt sowieso.“

Nur eine Beileidsbe­kundung für die Familie, der er seiner Gebete versichert­e, brachte Trump per Twitter heraus. Hingegen erklärte der ehemalige Präsident George W. Bush: „John McCain war ein Mann von tiefer Überzeugun­g und ein Patriot höchsten Ranges“. Und ExPräsiden­t Barack Obama betonte, er habe trotz vieler Unterschie­de gemeinsame Ideale mit McCain gehabt. Mit McCains Tod verlieren die Republikan­er den prominente­sten Kritiker des Präsidente­n.

Der Leichnam von John McCain soll nun im Washington­er Kapitol aufgebahrt werden – eine Ehre, die nur wenigen Senatoren zuteilwird. Die offizielle Trauerfeie­r soll in der National Cathedral stattfinde­n, bevor McCain in Annapolis beigesetzt wird. Der Vietnam-Veteran hat seinen eigenen Abschied genau geplant. Die Trauerrede­n sollen die Ex-Präsidente­n Bush und Obama halten, denen er in den Präsidents­chaftswahl­kämpfen 2000 und 2008 unterlag. Der amtierende Präsident Trump hingegen, hatte der Todkranke erklärt, sei an seinem Grab nicht erwünscht.

Früher galt McCain als rechter Hardliner

 ?? Archivfoto: Robyn Beck, afp ?? Kaum zu trennen: Wo John McCain öffentlich auftrat, war die US amerikanis­che Flagge nicht weit. So auch bei diesem Auftritt im Präsidents­chaftswahl­kampf im Jahr 2008 in Tampa, Florida.
Archivfoto: Robyn Beck, afp Kaum zu trennen: Wo John McCain öffentlich auftrat, war die US amerikanis­che Flagge nicht weit. So auch bei diesem Auftritt im Präsidents­chaftswahl­kampf im Jahr 2008 in Tampa, Florida.

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