Ohne Schleier vor Gericht
Bayern und Nordrhein-Westfalen bringen ein Gesichtsverhüllungsverbot auf den Weg. Warum die beiden Justizminister diesen Schritt für nötig halten und welche Ausnahmen geplant sind
München/Düsseldorf Vor Gericht soll künftig grundsätzlich niemand mehr sein Gesicht verschleiern dürfen. Das geht aus einem Gesetzentwurf hervor, den Bayern und Nordrhein-Westfalen zum Wochenbeginn in den Bundesrat einbringen wollen.
Gesichtsverhüllungen seien mit der Wahrheitsfindung nicht vereinbar und müssten deshalb im Gericht tabu sein, sagte NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Ohne Mimik und Gestik sei eine Aussage kaum etwas wert. „Wenn einem Zeugen der Schweiß auf der Stirn steht oder die Gesichtszüge entgleiten, müssen Richter das bei der Bewertung einer Aussage berücksichtigen können.“
Mit ihrem Antrag setzen beide Länder einen Beschluss der Justizministerkonferenz vom Juni um. Bislang gibt es in Deutschland kein grundsätzliches Verbot, während einer Verhandlung das Gesicht zu verhüllen, sondern lediglich richter- liche Anordnungen im Einzelfall. Mit einer Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes soll jetzt Klarheit geschaffen werden. Das Verhüllungsverbot, das auch Masken, Sturmhauben oder Motorradhelme umfasst, soll demnach für die Verhandlungsparteien, Zeugen und andere Verfahrensbeteiligte gelten. Ausnahmen sind unter anderem für besonders gefährdete Prozessbeteiligte oder Opfer von Säure-Attacken vorgesehen.
Auch Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) betonte: „Auf ein transparentes Gerichtsverfahren kann unsere Gesellschaft nicht verzichten.“Es sei wesentlich für das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. „Jetzt liegt der Ball beim Bundesgesetzgeber.“Der Entwurf soll in der ersten Bundesrats- sitzung nach der Sommerpause am 21. September beraten werden.
Eine Umfrage unter den bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften habe gezeigt, dass die Unsicherheit in der Praxis groß sei, da ein spezielles Gesetz fehle, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs. Gleichzeitig seien steigende Fallzahlen zu erwarten, „angesichts der beachtlichen Zahl von Zuwanderern aus Kulturkreisen, in denen eine solche Verschleierung nicht unüblich ist“.
Seit Juni 2017 verbietet bereits ein Bundesgesetz Gesichtsverhüllungen in der Beamtenschaft und beim Militär. Gleiches gilt unter anderem für Personalausweise. Auch Führer eines Kraftfahrzeugs dürfen ihr Gesicht seit Oktober 2017 nicht mehr verhüllen. Darüber hinaus gibt es verschiedene länderspezifische Regelungen etwa für Schulen und Hochschulen oder Kita-Personal. Anders als in vielen anderen Staaten der Europäischen Union – Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Österreich, Dänemark, Bulgarien und Lettland – gebe es in Deutschland aber kein Gesichtsverhüllungsverbot im gesamten öffentlichen Raum, stellt der Gesetzentwurf fest.
Gegen das nun geplante Verhüllungsverbot vor Gericht haben Bayern und NRW weder europa- noch verfassungsrechtliche Bedenken.
Die Unsicherheit der Gerichte ist groß
Das Kopftuch soll erlaubt bleiben
Die Religionsfreiheit einer üblicherweise verschleierten Frau werde „nicht unverhältnismäßig eingeschränkt“, heißt es in der Vorlage. Schließlich gelte das Verbot nur für einen kurzen Zeitraum während der Verhandlung „vor einer beschränkten Saalöffentlichkeit“. Zudem könnten die betroffenen Frauen noch ihr Haar mit einem Kopftuch bedecken.