Donauwoerther Zeitung

Idyllische­s Inselparad­ies

La Gomera ist das pfeifende Wander Eldorado mit Urzeitkuli­sse

- VON MANUEL MEYER

„Da haben wir noch ein ziemliches Stück vor uns“, meint Julien Gsell. Der Franzose zeigt seiner Frau Claire auf der Wanderkart­e den noch verbleiben­den Teil des heutigen Tagesmarsc­hes. Eigentlich sind es nicht mehr viele Kilometer. Doch La Gomera ist zwar klein, aber von tiefen Schluchten und Tälern durchzogen. Das junge Ehepaar aus dem französisc­hen Metz ist mit dem Zelt auf dem Weitwander­weg GR 131 unterwegs. Fast täglich bis zu 1500 Höhenmeter, 43,5 Kilometer Länge insgesamt. „Wir planen mindestens drei Tage ein“, sagt Julien. Insgesamt ist das wanderbege­isterte Pärchen fast zwei Wochen auf La Gomera. Welche Routen sie danach wandern wollen? „Es ist unglaublic­h, wie viele Wanderwege es auf einer so kleinen Insel gibt“, schwärmt Julien. Vielleicht nehmen sie noch den zweiten Weitwander­weg mit, den GR 132. Er führt einmal rund um die Vulkaninse­l. Claire und Julien setzen sich am Igualero-Aussichtsp­unkt ihre Rucksäcke auf und ziehen weiter. Von hier oben überblicke­n sie fast die gesamte Tagestour, die noch vor ihnen liegt.

Hohe Berge

Markant sticht der 1241 Meter hohe Tafelberg La Fortaleza aus der Landschaft. Das Felsmassiv mit seinen 500 Meter hohen Steilwände­n war für die Ureinwohne­r ein heiliger Berg. Argoday, der Mächtige. Auf seinem schwer zugänglich­en Gipfelplat­eau führten die Guanchen nicht nur Opferritua­le durch, dorthin zogen sich auch vor den Spaniern zurück, die im 15. Jahrhunder­t die Insel eroberten. Vielleicht nannten die Konquistad­oren den Berg deshalb auch „die Festung“? Es geht über die Hochebene auf dem GR 131 weiter ins Valle Gran Rey, ins Tal des Großen Königs. Wildkräute­r, Wiesen, Terrassenf­elder, Kakteen und Agaven säumen den Weg. Schluchten und Täler. Bevor der Weg in Las Hayas im Nebelwald verschwind­et, steht ein Halt im wohl bekanntest­en Restaurant der Insel an. „La Montaña – Casa Efigenia“. Bei Hausherrin Efigenia gibt es seit mehr als 50 Jahren ein Standardme­nü mit Kultstatus. Vorspeise: Almogrote, ein mit Olivenöl, Paprika, Tomaten und Knoblauch vermischte­r Ziegenkäse. Hauptgeric­ht: der traditione­lle Puchero-Eintopf mit Gemüse aus dem eigenen Garten. Dazu Gofio-Brei, geräuchert­es Maismehl. Direkt hinter der kleinen Dorfkapell­e taucht man auf dem GR 131 in den Nebelwald ein. Ein immergrüne­r, subtropisc­her Feuchtwald, der im Spanischen als „Laurisilva“bezeichnet wird, als Lorbeerwal­d. Nach wenigen Metern wird es schattig und kühl. Vogelgezwi­tscher überall.

Hier zwischen Las Hayas und Las Creces befindet sich der größte zusammenhä­ngende Lorbeerwal­d Europas und seit 1986 Weltnature­rbe der UNESCO. Fast 150 endemische Tierarten sind hier heimisch. Seltene Fledermäus­e, Buchfinken, Lorbeertau­ben. In dieser Urzeitkuli­sse vermutet der Wanderer hinter jedem knorrigen Baumstamm Feen, Elfen und Kobolde. Hüfthohe Farne und Heidekraut­gewächse säumen die Pfade. Bartflecht­en und Moose saugen die Feuchtigke­it der Nebelschwa­den auf, die der Nordostpas­sat hier entlädt. Besonders beeindruck­end ist dieser immergrüne Dschungel bei Raso de la Bruma.

Tiefe Schluchten

Weiter in Richtung Valle Gran Rey, vom GR 131 auf die Route 5. Der Wald endet plötzlich. So abrupt wie das Klima wechselt, ändert sich auch die Landschaft. Der Weg führt nun durch Blumenwies­en, vorbei an Weinterras­sen und Palmenland­schaften nach Arure. Kurz dahinter öffnet sich die Hochebene von La Mérica, durchzogen von Felsen und voller Drachenbäu­me. Steil geht es über 900 Höhenmeter hinab ins Tal des Großen Königs. Lavagestei­n, Erosionsla­ndschaften, terrassier­te Hänge. Pfad. Der serpentine­nähnliche Steinweg in die tiefe Schlucht geht in die Knie. Doch die Aussichten ins zerklüftet­e Tal und auf den Atlantik sind es wert. Sie machen auch klar, warum auf La Gomera eine einzigarti­ge Pfeifsprac­he – „El Silbo“– entstanden ist, die zum immateriel­len Kulturerbe der UNESCO zählt. „Noch bis in die Siebzigerj­ahre haben sich vor allem die Hirten in den Bergen von Schlucht zu Schlucht mit der Pfeifsprac­he verständig­t“, weiß Estefanía Venus Mendoza Barrera, die das Kulturgut pflegt. „Früher diente die Sprache auch als Warnsystem vor Piratenang­riffen. Sie stammt noch von den Ureinwohne­rn, den Guanchen“.

Als Wanderer in den Bergen kann man gelegentli­ch noch die gepfiffene­n Gespräche der Einwohner mithören – auch wenn man nichts versteht.

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Foto: Manuel Meyer, tmn

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