Donauwoerther Zeitung

CSU Wahlkämpfe­r – ein harter Job

43 Prozent, 38, 36, zuletzt 35 – die Umfragewer­te für die Christsozi­alen sind ausgerechn­et in der heißen Phase abgestürzt. Warum so viele Wähler sauer sind, erleben die Parteimitg­lieder jeden Tag auf ihrer Werbetour. Vor allem: Auf wen sie sauer sind

- VON DAVID SPECHT UND STEPHANIE LORENZ

„Herrschaft­szeiten, wie kommt das?“, rätselt einer Eins ist klar: Diesmal geht es ums große Ganze

Lindenberg/München „Ich habe ja immer CSU gewählt“, sagt die Frau mit der roten Jacke, „aber dieses Jahr… – es ist eine Katastroph­e.“Sie schüttelt den Kopf. Es seien die Personen, mit denen sie Probleme hat. „Wie kann man sich denn so benehmen?“, fragt sie. Gernot Zahn nickt verständni­svoll. Diesen Vorwurf hört er nicht zum ersten Mal. Die Art und Weise sei vielleicht nicht immer richtig gewesen, versucht er zu erklären. „Aber Horst Seehofer hat in Berlin auch viel bewirkt.“Die Frau schüttelt energisch den Kopf: „Aber so nicht!“Zahn gibt noch nicht auf. Er nimmt einen Flyer vom Tisch und zeigt auf das Foto von Hannelore Windhaber. Das ist die CSUKandida­tin für die Landtagswa­hl auf dem schwäbisch­en Listenplat­z acht und hier in Lindenberg im Westallgäu zuhause. „Ja, die Hanni würde ich wählen“, sagt die Frau. Gernot Zahn nickt. Das reicht ihm. Lächelnd schlägt er vor: Mit der Erststimme soll sie einen Kandidaten ihrer Wahl nehmen und mit der Zweitstimm­e Hannelore Windhaber auf der CSU-Liste ankreuzen. Nun lächelt auch die Frau. Sie sind sich ganz offensicht­lich einig.

Es ist ein harter Kampf um jede Stimme. Das gilt grundsätzl­ich vor Wahlen, bei dieser aber ganz speziell für die CSU. 43 Prozent, 38, 36, zuletzt 35 – die Umfragewer­te sind ausgerechn­et in der heißen Phase immer weiter gefallen. Sie haben entspreche­nd hektische Betriebsam­keit in der Partei ausgelöst. Generalsek­retär Markus Blume kündigte „so viel Online-Wahlkampf wie noch nie“an, „so viel Haustür wie noch nie“und „so viel Mobilisier­ung wie noch nie mit unseren 140 000 Mitglieder­n“. Die Gernot Zahns der CSU sollen das Ruder herumreiße­n. Es gibt dankbarere Jobs derzeit im Freistaat.

In Lindenberg mit seinen knapp 12000 Einwohnern, wo vor fünf Jahren 45,2 Prozent der Wähler für die CSU stimmten, schaut Zahn der Frau mit der roten Jacke noch eine Weile hinterher. „Diese Differenze­n bekommt man öfter mit“, sagt der 33-Jährige dann. Es ist kühl an diesem Morgen, ein frischer Wind zieht durch die Straßen. Gernot Zahn hat sich einen Schal um den Hals gebunden. Er ist Mitglied im CSU-Ortsverban­d und hat zusammen mit vier Parteikoll­egen schon vor acht den Infostand auf dem Marktplatz aufgebaut. Auf Biertische­n haben sie Flyer, Hefte und Kugelschre­iber ausgelegt. Es gibt Wasserbäll­e, Aufkleber und Notizblöck­e mit weiß-blauem CSU-Logo.

Eine Frau läuft zielstrebi­g auf den Stand zu. „Wenn ich euch schon wähle, muss ich auch was mitnehmen“, sagt sie und schnappt sich eine Packung Gummibärch­en. Aufmuntern­d schaut sie die Männer an. „Kämpft ordentlich. Es ist nicht leicht dieses Jahr.“Gernot Zahn nickt gequält. Ja, sagt er, leicht sei es dieses Jahr wirklich nicht. „Die Meinungen gehen komplett auseinande­r“, sagt er. Da kommen Menschen zu ihm, die sauer auf die Parteispit­ze seien, vor allem auf Bundesinne­nminister Seehofer, nach all dem Hickhack in den vergangene­n Monaten. Aber er hört auch Sprüche wie „Angela Merkel gehört für ihre Flüchtling­spolitik eingesperr­t“.

Ein Mann in Birkenstoc­k-Schuhen und mit zwei vollen Einkaufstü­ten in den Händen meint, der Söder sei doch gar nicht schlecht. Und: „Wenn ein Flüchtling straffälli­g geworden ist, dann gehört er abgeschobe­n.“Zahn fügt schnell hinzu: „Wir haben aber auch eine soziale Verantwort­ung.“So geht das weiter auf dem Marktplatz von Lindenberg, auf vielen anderen Plätzen und vor vielen Haustüren in Bayern. Mal heißt es, die CSU sei zu weich, mal zu hart, der ständige Streit – gar nicht gut, und dann die Sache mit Seehofer … Die Wahlkämpfe­r bekommen einiges zu hören, die einfachen Mitglieder in den Ortsverbän­den genauso wie die Kandidaten.

Ein Rundruf bei Landtagsab­geordneten. Wolfgang Fackler, 43, Stimmkreis Donau-Ries. Er sagt: „Dieses Jahr ist es anspruchsv­oller, die Themen unter einen Hut zu bekommen.“Es gebe mentale Unterschie­de in den Regionen. „Manche drückt Asyl, anderen ist Pflege oder Energie wichtiger.“Aber auch bei einzelnen Themen gingen die Meinungen auseinande­r. „Die einen reden von Abschottun­g, andere von Weltoffenh­eit und christlich­en Werten“, sagt Fackler.

Oder Eberhard Rotter. Der 64-Jährige kommt aus Lindenberg­s Nachbarort Weiler und sitzt seit fast 30 Jahren im Landtag. Jetzt tritt er nicht mehr an. „Diese große Bandbreite gab es schon immer“, sagt Rotter. Doch nun habe er die Sorge, dass der Partei durch den aktuellen Kurs viele treue Stammwähle­r wegbrechen. „Denen müssen wir klarmachen, dass die CSU sich nicht so sehr verändert hat.“

Oder Karl Freller aus Nürnberg, Petra Guttenberg­er aus Fürth. Die Stimmung draußen sei doch positiv, sagen sie, die Menschen fragten interessie­rter, offener und konkreter nach als früher, und Ministerpr­äsident Markus Söder käme auch gut an. Aber sie verstehen die Umfragewer­te nicht. Der Augsburger Kandidat Johannes Hintersber­ger ebenso wenig. „Herrschaft­szeiten, wie kommt das?“, rätselt er. Und fragt: „Was machst du mit solchen Wasserstan­dsmeldunge­n?“

In diesem Spannungsf­eld arbeiten Wahlkämpfe­r wie Gernot Zahn. Sie hören Beschwerde­n und Lob, müssen besänftige­n und überzeugen. „Viele haben die Hoffnung, dass wir ihnen die große Politik erklären, aber da tun wir uns teilweise schwer“, sagt Zahn. Einzelne Punkte im Wahlprogra­mm stoßen auch bei ihm auf Unverständ­nis. Das betreffe aber eher die große Politik. Im Lokalen seien viele zufrieden mit der CSU, glaubt er. „Da ist bei uns noch heile Welt. Das sieht in den Großstädte­n anders aus.“Wirklich?

Stimmkreis 108, MünchenSch­wabing. „Guten Abend, wir sind vom CSU-Wahlkampft­eam“, sagen Peter van Rensen und Inge Linder und lächeln, sobald sich eine Wohnungstü­r öffnet. Ihren Beutel mit Infomateri­al präsentier­en sie dabei wie ein Geschenk. Ist die Tür einmal offen, machen wenige sie gleich wieder zu, das ist das Positive an diesem Abend. Auch wenn manche dann doch nicht reden wollen. Andere greifen beim Anblick des Beutels gerne zu. Der junge Familienva­ter, der verspricht, ihn sich anzuschaue­n. Die Friseurin, die sich über die Höflichkei­t freut. Die alte Dame, die immer CSU wählt. Doch es gibt auch andere Reaktionen, wie sich zeigen wird.

Der 19-jährige Student Peter van Rensen ist zum ersten Mal dabei. Er bildet ein Team mit Inge Linder, Jahrgang 1957, Bezirksrät­in. Am 14. Oktober wird ja nicht nur der Landtag gewählt, sondern auch das Personal für die Bezirkspar­lamente. Van Rensen und Linder eint: kurze Haare, Brille, Lächeln, Motivation. Sie haben jeweils zehn blaue Plastiktur­nbeutel mit weißen Rauten und der Aufschrift „Das Beste für Bayern“geschulter­t. Darin: Flyer über Linder und Münchens CSU-Chef Ludwig Spaenle, dazu das Söder’sche Regierungs­programm.

Die Kaulbachst­raße 72-100 und die Gedonstraß­e 2-99 sind ihr Gebiet. Pro Tür seien eineinhalb bis zwei Minuten eingeplant, sagt Inge Linder. Sie drückt ein paar Klingeln am Eisentor einer Wohnanlage. „Grüß Gott, wir haben ein Päckchen abzugeben.“Surren, die Tür geht auf. Zügig marschiert Linder die alten Holztreppe­n hinauf, van Rensen hinterher, der Boden knarzt bei jedem Schritt. Fast alle Bewohner reagieren freundlich. Das heißt nicht, dass fast alle CSU wählen. „Soso, das Regierungs­programm“, sagt ein Mann. „Dafür hatten sie lange genug Zeit. Da sollte man mal anderen die Chance geben.“Auf dem Weg zur nächsten Klingel erzählt Inge Linder ihrem jungen Kollegen von der Smartphone-App für Straßenwah­lkämpfer. Wer mag, gibt ein, wie oft er geklingelt und wie viele Taschen er verteilt hat. 30 Punkte gibt es pro Tasche, zehn für jedes Bimmeln. Am Ende des Wahlkampfs gebe es eine Siegerehru­ng.

Sie treffen auf den nächsten Skeptiker. „Seehofer liegt mir nicht so sehr“, sagt der schlanke Herr im blauen Pullover mit Knopfleist­e, kleiner Brille und Bücherrega­l im Hintergrun­d. „Die CSU wähle ich nicht.“– „Keine Chance?“, fragt Inge Linder. Nein, denn Herr Seehofer sage, die Migration sei die Mutter aller Probleme. „Da drüben“, sagt der Mann, zeigt auf die Wand und meint die Straße gegenüber, „werden Wohnungen vermietet für 4000 Euro.“Und die CSU interessie­re das nicht.

Inge Linder reißt die Augen auf. „Nein“, ruft sie entsetzt, das sei genau ihr Thema. „Wir hier in der Stadt wollen etwas anderes, wir setzen andere Themen.“Der Mann schüttelt trotzdem den Kopf, lächelt und wünscht einen schönen Tag. Das passiere oft, sagt Linder und seufzt. Dass den Leuten Seehofer oder die Bundespoli­tik nicht passe. Für Lokales sei da kaum Platz.

Per App haben sich die insgesamt zehn Haustürwah­lkämpfer verabredet, um in Zweiergrup­pen loszuziehe­n. Start ist in der Luitpoldst­raße. München ist ja traditione­ll SPDLand. Aber: „Wir gehen davon aus, dass es CSU-affine Straßenzüg­e gibt“, hat Thomas Schmid gesagt, CSU-Chef in Schwabing, dem Stimmkreis von Landtagska­ndidat Spaenle. Das könne man etwa an Daten aus Wahllokale­n ablesen. So lassen sich Affinitäte­n auf Wahlkreise herunterbr­echen und im besten Fall Anhänger und Unentschlo­ssene motivieren.

Im Erdgeschos­s öffnet eine Frau mittleren Alters. Ein Wahlkampft­eam habe die CSU bitter nötig, bemerkt sie. Linder erzählt vom CSUInfosta­nd. „Dann stellen Sie doch mal den Seehofer hin, der hat bestimmt großen Zulauf“, antwortet die Frau und verschränk­t die Arme. Ein Nachbar sagt, die CSU liege ihm nahe, „aber nicht die CDU“.

Der Unionsstre­it – ein Problem für die Münchner CSU. Es gibt noch andere. Die Grünen etwa, die die SPD als Hauptgegne­r abgelöst haben, sagen die Wahlkämpfe­r. Und dass den Menschen grundsätzl­ich der Ton nicht gefalle. Sascha Sedlmaier, auch ein Mann der CSUBasis, sagt: „Die einen meinen, wir können uns nicht gegen Frau Merkel durchsetze­n und brauchen einen Denkzettel.“Die anderen fänden, die Partei schieße im Umgang mit Frau Merkel über das Ziel hinaus. „Also was tun?“, fragt er.

Bei dieser Wahl, so viel scheint klar, geht es kaum um Personen, die zur Wahl stehen, um lokale Themen. Es geht ums große Ganze. „Und du als Münchner CSU, als liberale Großstadtp­artei, stehst dann da“, klagen sie hier. „Wir sind nicht alle Seehofer- und Dobrindt-Groupies“, sagt Thomas Schmid. „Wir haben unsere eigene Auffassung von den Dingen.“

Was die Reaktionen der Wähler betrifft, reichen die Erfahrunge­n an diesem Abend von „super“bis „zäh“. Manch einen beschäftig­t nach zwei Stunden Türklingel­n aber erst mal die App. Wie viele Punkte habe ich gesammelt? Bin ich noch beim Status „Einsteiger“oder schon „Gipfelstür­mer“oder sogar „Wahlkampfl­egende“? Der Führende hat 56000 Punkte. Inge Linder ist das egal. Seit 2003 sitzt sie im Bezirkstag, und da will sie wieder hinein.

170 Kilometer entfernt in Lindenberg zählt auch Anton Wiedemann zu den erfahrenen CSUlern. Der Stadtrat hat etliche Kommunal-, Landtags- und Bundestags­wahlen hinter sich. Was diesmal anders ist? Am Infostand schielt Wiedemann über den Rand seiner Sonnenbril­le. „Die Unzufriede­nheit mit der Politik ist auch innerhalb der CSU groß“, sagt er. Vor allem Seehofer werde kritisiert. „Bei der Maaßen-Sache hat er sich unnötig weit aus dem Fenster gelehnt.“Früher, zu Zeiten von Edmund Stoiber, sei Wahlkampf noch einfacher gewesen. Den habe man den Leuten besser vermitteln können. „Ich habe das Gefühl, Stoiber ist weniger als Machtpolit­iker rübergekom­men als Söder“, sagt Wiedemann.

Während er erzählt, hält ein größerer Wagen an. Am Steuer sitzt Eduard Leifert, SPD-Politiker, einst Bürgermeis­ter in Lindenberg und Landrat von Lindau. Er kurbelt das Fenster herunter und ruft grinsend: „Wiedemann, das hat keinen Sinn mehr, das kannst du lassen.“Der wiegt langsam seine Hand hin und her. Soll heißen: abwarten.

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Foto: Stephanie Lorenz „Und du als Münchner CSU, als liberale Großstadtp­artei, stehst dann da“: Inge Linder und Peter van Rensen in der Landeshaup­tstadt.
 ?? Foto: Ralf Lienert ?? „Leicht ist es dieses Jahr wirklich nicht“: Wahlkämpfe­r Gernot Zahn (links) mit einem Passanten am CSU Stand in Lindenberg.
Foto: Ralf Lienert „Leicht ist es dieses Jahr wirklich nicht“: Wahlkämpfe­r Gernot Zahn (links) mit einem Passanten am CSU Stand in Lindenberg.

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