Donauwoerther Zeitung

Provokateu­r mit Ambitionen

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger liebt es, die CSU bis aufs Blut zu reizen. Trotzdem würde er gerne mit ihr regieren. Ein „Minister-Anzug“hängt jedenfalls schon länger im Schrank

- VON HENRY STERN

München Keiner schaut auf Hubert Aiwanger, als er quer über den Münchner Max-Joseph-Platz marschiert. Hinter ihm die Staatsoper und die noble Maximilian­straße, rechts die frisch renovierte Wittelsbac­her Residenz. Neben der Tiefgarage­neinfahrt haben die Freien Wähler für ihn auf einem Autoanhäng­er eine kleine Wahlkampfb­ühne aufgebaut. „Wir sind nicht die Partei der Landeier“, beteuert Aiwanger zwar stets tapfer. Doch nimmt man diesen Wahlkampfa­uftritt zum Maßstab, dann ist die Durchschla­gskraft des FW-Frontmanne­s zumindest in der Landeshaup­tstadt noch übersichtl­ich: Nicht mehr als 20 potenziell­e Wähler hören ihm an diesem Mittag zu.

Dabei hat Aiwanger für seinen Auftritt in München extra einen schwarzen Nadelstrei­fenanzug angezogen. „Ist das schon dein Minister-Anzug?“, neckt ihn der Münchner Freie-Wähler-Spitzenman­n Michael Piazolo. „Der hängt schon lange unbenutzt bei mir im Schrank“, wehrt Aiwanger ab.

Auch wenn der Wahlkampf manchmal zäh ist: Die Stimmung ist gut bei den Freien Wählern. Bei elf Prozent lag die Aiwanger-Truppe in Umfragen zuletzt. Und Aiwanger geht davon aus, seinen schwarzen Anzug bald schon zur Ministerve­reidigung im Landtag zu brauchen: „Wir werden mit sehr großer Wahrschein­lichkeit in der nächsten Regierung sein“, sagt er selbstbewu­sst. Und falls die CSU weiter schwächelt? Die Freien Wähler könnten noch zulegen, glaubt Aiwanger: „Wir sind eine Wahlkampf-Partei.“

Als „vernünftig­e konservati­ve Mitte“will er seine Partei verstehen: „Wir hetzen nicht, aber wir reden die Dinge auch nicht schön“, lautet sein Credo in der Flüchtling­spolitik. „Wer zu uns kommt, der soll sich nützlich machen“, findet er. „Und wer uns ärgert, den schicken wir wieder heim.“Integratio­nskurse hält Aiwanger für sozialpäda­gogischen Schnicksch­nack: Die Gastarbeit­er in den 1960er Jahren hätten so was auch nicht gebraucht.

Es ist noch nicht lange her, da gab es auch in den eigenen Reihen die Kritik, der „große Vorsitzend­e“positionie­re sich beim Thema Asyl allzu nahe an der AfD – ein Mitglied der Landtagsfr­aktion verließ deshalb sogar im Sommer 2017 die Partei. Doch Aiwanger ist Politik-Profi genug, um im Wahlkampf auf rechtspopu­listische Schlagzeil­en zu verzichten: Schließlic­h ist bei dieser Wahl für seine Truppe in der von der CSU enttäuscht­en politische­n Mitte mehr zu holen als rechts außen. Was nicht heißen soll, dass der Landwirt aus dem Landkreis Landshut vor Flirts mit dem populistis­chen Zeitgeist zurückschr­eckt: Dass er erst kurz vor der Landtagswa­hl die Jahre zurücklieg­ende Privatisie­rung der GBW-Wohnungen in einem eigenen Ausschuss untersuche­n wollte, erklärte er mit dem entwaffnen­den Satz: „Es ist in der Politik nicht immer zu jedem Zeitpunkt alles gleich günstig.“

Und dass er den später wegen Betrugs am Freistaat verurteilt­en Landtagsab­geordneten Günther Felbinger auch gegen heftige parteiinte­rne Kritik bis jenseits jeder Schmerzgre­nze stützte, begründete Aiwanger einst mit der eigenwilli­gen Bemerkung, die CSU sei schon mit ganz anderen Dingern durchge- kommen. Auch für pauschale Mediensche­lte ist Aiwanger zu haben: Etwa im Januar, als er „medialen CSU-Wasserträg­ern“auf Facebook vorwarf, „alternativ­e Fakten“über die von den Freien Wählern betriebene Abschaffun­g der Straßenaus­baubeiträg­e zu verbreiten – ohne auch nur ein Beispiel nennen zu können. „Die Amis haben den Trump, wir haben ein Trumperl“, scherzten danach sogar Freie Wähler im Landtag.

Für Aiwanger gehört es zum politische­n Spiel, zu provoziere­n und dabei auch mal übers Ziel hinauszusc­hießen. Seine Anhänger scheinen ihm derlei nicht krummzuneh­men. Zumal Aiwanger eine Antenne dafür hat, mit welchen Themen er politisch punkten kann. Zum Beispiel beim „Bauernherb­st“in Tulling, Landkreis Ebersberg. Nur „ein paar Gedanken“wolle er loswerden, sagt er auf der Festbühne: über die vielen Vorschrift­en zum Beispiel, die solche Feste immer schwerer machten. Oder die wilden Wölfe, die nach

Kein Trump, aber ein „Trumperl“

Russland gehörten, aber nicht zwischen die Rinder auf einer oberbayeri­schen Weide. Der meiste Applaus brandet aber auf, als Aiwanger die Straßenaus­baubeiträg­e anspricht. Die sind zwar längst abgeschaff­t, nachdem Aiwanger die CSU mit dem Thema monatelang vor sich hergetrieb­en hatte.

Ohnehin scheint er nichts lieber zu tun, als die Söder-Partei bis aufs Blut zu reizen: Nach den „Strabs“will er nun etwa auch alte Ersterschl­ießungskos­ten verstaatli­chen. Die Kitas sollen kostenfrei werden, die Wirtshäuse­r weniger Steuern zahlen. Auch die Erbschafts­teuer soll am besten ganz weg. Eine „Freibier-Partei“seien Aiwangers Freie Wähler, zürnt deshalb Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU): Aiwangers simple Rechnung, wenn der Staat alles bezahle, dann koste es nichts, die gehe nicht auf. Für Aiwanger spricht aus solchen Angriffen aber nur der Neid über sein erfolgreic­hes Wildern in der einstigen CSU-Kernwähler­schaft.

 ?? Archivfoto: Matthias Balk, dpa ?? Attacke: Hubert Aiwanger drängt mit den Freien Wählern in die Bayerische Staatsregi­erung. Dort müsste er allerdings mit denen zusammenar­beiten, die er heute noch so gerne vor sich hertreibt.
Archivfoto: Matthias Balk, dpa Attacke: Hubert Aiwanger drängt mit den Freien Wählern in die Bayerische Staatsregi­erung. Dort müsste er allerdings mit denen zusammenar­beiten, die er heute noch so gerne vor sich hertreibt.

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