Donauwoerther Zeitung

Reha bedeutet mehr als Sportverle­tzungen

Heute ist der Deutsche Reha-Tag. Dabei geht es um weit mehr als einen Kreuzbandr­iss

- VON CHRISTIAN MÜHLHAUSE

Unter „Reha“versteht man meist die Genesung nach Verletzung­en. Es kann aber auch um die Heilung von Süchten gehen.

Landkreis Vor knapp einem Jahr hat Frank (Name von der Redaktion geändert) seine Reha begonnen und jetzt fast abgeschlos­sen. Er hat sich aber nicht etwa bei einem Unfall schwer verletzt – er war alkoholabh­ängig und zog die Reißleine, bevor er alles verlor und seinem Leben ein Ende setzte.

„Bei dem Wort Rehabilita­tion denkt jeder an die Bandscheib­e oder das Kreuzband, aber das Spektrum ist viel größer. Es geht auch um psychische Probleme und Abhängigke­it von Alkohol, Drogen und anderen Versuchung­en“, sagt Simone Mayer von der Suchtfacha­mbulanz Donauwörth. Darauf wollen sie und ihre Kollegin Sabine Schmidt aus Dillingen am heutigen Deutschen RehaTag hinweisen. Sie kümmern sich auch um Spielsücht­ige. Die beiden arbeiten für den Caritasver­band der Diözese Augsburg und betreuen Klienten in den Landkreise­n Donau-Ries und Dillingen.

Frank ist dankbar für ihre Hilfe. „Ich hatte Depression­en und dann kamen noch Beziehungs­probleme hinzu. Die Last im Leben ist für mich einfach zu groß gewesen. Alles müssen, nichts dürfen.“Da sei der Alkohol eine gute Ausflucht gewesen. Wenn es ihm psychisch schlecht ging, griff er abends zur Flasche. Er schaffte es aber noch, arbeiten zu gehen. Der Alkohol sei für ihn „ein Medikament“gewesen, das Linderung verschafft habe, zumindest kurzfristi­g. „Danach ging die Spirale immer noch weiter nach unten.“Fast fünf Jahre habe er gebraucht, bevor er sich Hilfe gesucht hat, sagt er.

Frank hat es immerhin geschafft, sich aus eigenem Antrieb Hilfe zu holen, als er mental mal wieder ganz unten war. Er ist selber zu den Bezirkskli­niken nach Günzburg gefahren und hat sich dort aufnehmen lassen. „Die meisten kommen zu uns, weil es um ihren Führersche­in geht, sie Auflagen von der Justiz haben oder das Umfeld Druck macht. Aus eigenem Antrieb passiert das seltener“, sagt Beraterin Mayer. Von ihren Klienten kommen 70 Prozent wegen Alkohols zu ihnen und davon wiederum seien 80 Prozent Männer. Das Spektrum der Hilfesuche­nden reicht vom Jugendlich­en bis zum Rentner. Einige brauchen auch länger, bis sie wirklich eine ambulante Therapie bei der Caritas beginnen. Schmidt erinnert sich an einen Fall, in dem sich die Vorgespräc­he über zwei Jahre hinzogen, bevor der Mann bereit war, sich darauf einzulasse­n.

Auffallend viele Schichtarb­eiter und Menschen, die ihrer Arbeit alles unterordne­ten, seien unter den Hilfesuche­nden, sagt Schmidt. Eine Rolle spiele häufig auch die Angst vor dem Verlust des Arbeitspla­tzes. Der Druck, nicht krank sein zu dürfen, führe dazu, dass die Betroffene­n den Alkohol nutzen, um aus dieser belastende­n Situation herauszuko­mmen. Mayer berichtet, dass es schwierig sei, Schichtarb­eitern zu helfen. „Die bekommen ihren Dienstplan für das ganze Jahr und können nicht eben mal mehrere Schichten tauschen, um zu unseren Sitzungen zu kommen.“

Die Gruppen bei der Caritas sind zwischen acht bis 15 Personen groß. Sitzen auch Drogenabhä­ngige mit darin, wird die Anzahl verringert. Bei diesen Klienten sei mehr zu regeln als bei Alkoholike­rn, begründet Schmidt. Freie Kapazitäte­n gibt es in der Regel erst, wenn ein Teilnehmer die einjährige ambulante Therapie abschließt. Das System hat aus Sicht von Frank mehrere Vorteile. „Wir sitzen alle im gleichen Boot. Dadurch fällt die Scheu weg, über die eigenen Probleme zu reden oder etwas zu fragen. Zudem kann man sich an den Erfolgsges­chichten derjenigen selber aufbauen, die schon länger dabei sind.“

Doch führen Wartezeite­n nicht dazu, dass ein Therapiewi­lliger seine Motivation verliert? Schmidt verneint das. „Es braucht eine längerfris­tige Motivation, um eine ambulante oder stationäre Behandlung durchzuhal­ten. Die Rehas müssen vernünftig vorbereite­t werden.“Dazu gehöre auch, dass ein Antrag gestellt werde, damit die Krankenkas­se oder die Deutsche Rentenvers­icherung die Kosten übernehmen. Die Berater der Caritas müssen dafür einen mehrseitig­en Bericht verfassen, in dem sie die Motivation und Chancen des Betroffene­n einschätze­n. Wenigstens einmal treffen sich die Berater auch mit den Familienan­gehörigen, um sich ein Bild von der Gesamtsitu­ation zu machen. Für Kinder von Alkoholkra­nken zwischen sechs und zwölf Jahren hat die Caritas in Dillingen zudem ein Angebot geschaffen, in dem diese über ihre Erfahrunge­n reden können und das Erlebte eingeordne­t wird.

„Die Kinder fühlen sich oft mitverantw­ortlich für die Situation“, so Schmidt. Gehe es nach ihr und ihren Kollegen, sollte es ein solches Angebot auch für zwölf bis 16-Jährige geben. Es gebe dazu entspreche­nde

Wie Rückfälle vermieden werden können

Bemühungen. In den Kursen und individuel­len Modulen für die Abhängigen vermitteln die Berater Wissen darüber, was Alkohol und Drogen mit dem Körper machen, wie sie Konflikte ohne den Griff zur Flasche oder dem Rauschgift lösen und wie Rückfälle vermieden werden können. Begleitet wird der Prozess von einer Rehaärztin, einer Psychiater­in.

Laut Schmidt sei die Abbrecherq­uote sehr gering. Das hänge auch damit zusammen, dass die Teilnehmer an der ambulanten Reha bereits vergleichs­weise gefestigt seien. Im Zweifel werde eine stationäre Behandlung vorgeschal­tet, verweist sie.

Frank geht inzwischen offen mit seinen Problemen um. „Ich binde es keinem auf die Nase, aber wenn Leute fragen, warum ich bei Feiern nichts trinke, dann erkläre ich es ihnen. Sonst hören die Fragen ja ohnehin nicht auf.“

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Foto: Christian Mühlhause Simone Mayer (links) von der Caritas Suchtfacha­mbulanz Donauwörth und ihre Kollegin Sabine Schmidt aus Dillingen im Gespräch mit Frank (Name von der Redaktion ge ändert).

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