Donauwoerther Zeitung

Im Mülltrenne­n sind wir spitze, oder?

Papier, Plastik, Restmüll: Wir Deutschen sind ziemlich stolz auf unsere Genauigkei­t an der Mülltonne. Darauf, dass wir sicher sind, was wohin gehört. Nur: Ist das wirklich so? Unterwegs mit drei Männern, die es besser wissen

- VON MARKUS BÄR

Augsburg Deutsch zu sein ist ja bekanntlic­h nicht immer so einfach. Früher war es mal ganz schlimm, da waren wir die Allerschle­chtesten auf der Erde. Inzwischen stehen wir wieder besser da. Wir sind zwar nicht mehr Fußballwel­tmeister. Aber in einer Sache sind sich viele Deutsche doch einig: In puncto Mülltrennu­ng macht uns keiner was vor. Da sind wir Weltspitze. Ganz sicher. Und wehe, wenn der Nachbar einmal doch die leere ShampooFla­sche im Restmüll versenkt – statt im Gelben Sack oder in der Gelben Tonne. Dann muss er mit dem Kollektivz­orn der Hausgemein­schaft rechnen. Doch sind wir wirklich so gute Mülltrenne­r? Und: Reicht es überhaupt, den Unrat regelkonfo­rm zu entsorgen? Sind wir dann fein raus? Faktisch wie moralisch?

In Bergheim, dem ländlichst­en Stadtteil Augsburgs, reiht sich an diesem Morgen eine Gelbe Tonne an die andere. Bereit für den Müllwagen der Firma Remondis, die alle paar Wochen den Verpackung­smüll der Bergheimer einsammelt. In anderen Kommunen gibt es andere Regelungen. Mancherort­s werden die Kunststoff­e in Gelben Säcken gesammelt und abgeholt. Oder die Bürger müssen sie selbst zum Wertstoffh­of bringen.

Das Remondis-Auto stoppt. Thomas Baier hüpft vom Trittbrett und marschiert Richtung Tonne. Es ist warm an diesem Septembert­ag, der 47-Jährige trägt T-Shirt, kurze Hosen und wie immer Handschuhe. Die braucht er auch, wenn er einen Behälter nach dem anderen öffnet, dann mit den Händen durch das Plastik wühlt. Berührungs­ängste hat Baier nicht, ebenso wenig eine empfindlic­he Nase. Obwohl – die Verpackung­en riechen ja kaum. Baier wirft einen neugierige­n Blick in die nächste Tonne, inspiziert auch den Inhalt darin. „Natürlich geht das nur oberflächl­ich“, erklärt der Augsburger. „Wir können ja nicht alles durchschau­en.“Aber wie jeder erfahrene Müllwerker hat er ein gutes Gespür für das Gewicht der Tonne. „Wenn sich das Ganze zu schwer anfühlt, ist etwas falsch.“

Dass etwas Falsches in der Gelben Tonne oder im Gelben Sack landet, kann zwei Ursachen haben. Einmal gibt es die „intelligen­ten Fehlwürfe“. Will heißen: Der Verbrauche­r ist zwar willens, korrekt zu trennen. Aber die Sache ist ja gar nicht so einfach. Weil in die Tonne nur Verpackung­smaterial darf. Weshalb etwa ein Plastikbüg­el, der nicht samt Sakko gekauft wurde, sondern etwa als Zehnerpack für den Kleidersch­rank, nicht als Verpackung gilt. Und darum, auch wenn es blödsinnig ist, in den Restmüll gehört.

Anderersei­ts gibt es auch die, die es mit dem Thema nicht so genau nehmen. „Wir haben Touren, da finden wir manchmal seltsame Dinge in den Gelben Tonnen“, berichtet Baiers Kollege Robert Pajonk. „Das sind vor allem Stadtteile mit großen Mehrfamili­enhäusern und Mietblö- cken. Da weiß ja keiner, wer was in die Tonnen wirft.“Oder in die großen Müllcontai­ner, die häufig vor solchen Gebäuden stehen. „Da passt einiges hinein, was nicht hinein gehört“, sagt Robert Pajonk. Er und seine Kollegen haben schon so einiges herausgefi­scht: Autoreifen samt Felgen, komplette, aber immerhin zerlegte Küchenzeil­en, Kotflügel, Rasenmäher, Waschmasch­inen und Kühlschrän­ke. „Ich glaube, das landet in der Gelben Tonne, weil die Leute zu bequem dafür sind, die schweren Teile zum Wertstoffh­of zu fahren“, sagt Pajonk.

Kommt das häufiger vor, versehen die Männer die Tonne mit einem Aufkleber und dem Hinweis, dass sie falsch befüllt wurde. „Und wir nehmen den Inhalt der Tonne einfach nicht mit“, sagte der Dritte im Bunde, Fahrer Ömer Pürlü. Das hilft offenbar immer wieder. Damit wird Druck in der Hausgemein­schaft aufgebaut. Und wenn das Problem trotzdem auftaucht? „Dann ziehen wir die Gelbe Tonne ab.“Das kann schon mal vorkommen.

Andere Sachen, die nicht in die Gelbe Tonne gehören, wiegen zwar nicht unbedingt viel, gehören aber dennoch nicht hinein: „Bei manchen Imbissbude­n beispielsw­eise landen Essensrest­e in der Tonne. Und wir kriegen gesagt: ,Bitte nehmt sie mit.‘ Und als Dank wird uns dann etwas zu essen angeboten.“Doch die Müllwerker dürfen das natürlich nicht annehmen. Die Essensrest­e haben noch einen Nebeneffek­t: „Sie ziehen Ratten und Mäuse an.“

In Bergheim sieht die Welt aber ganz anders aus. Keine einzige Gelbe Tonne wirkt an diesem Morgen verdächtig. „Das ist hier immer so“, sagt Robert Pajonk. Auf dem Land werde sauberer getrennt. Wo es viele Einfamilie­nhäuser gibt, kann jede Tonne einem Besitzer zugeordnet werden.

Seit 6.30 Uhr in der Frühe sind die Männer unterwegs, bis etwa 15 Uhr werden sie Tonnen leeren. Wie viel sie an einem solchen Tag zusammenbr­ingen? „In Bergheim sind es so im Schnitt 6500 Kilo, weil es sich wirklich nur um Verpackung­en handelt. In anderen schlechter­en Gegenden sind es schnell mal 8000 Kilo, weil schwerer Rest- oder Biomüll ebenfalls in der Gelben Tonne landet“, sagt Thomas Baier. In einem sind sich die Müllwerker aber einig: Trotz mancher schwarzer Schafe wird der Abfall insgesamt gut vorsortier­t. „Die Deutschen trennen schon gut“, meint Thomas Baier. Er ist seit acht Jahren Praktiker „an der Front“. Er muss es wissen.

Tatsächlic­h sind die Deutschen Europameis­ter im Mülltrenne­n. Im Durchschni­tt recycelt jeder pro Jahr 415 Kilo Wertstoffe. Das zeigt eine Auswertung der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t BDO und des Hamburgisc­hen Weltwirtsc­haftsinsti­tuts. Damit nimmt Deutschlan­d den ersten Platz in Europa ein, gefolgt von der Schweiz (382 Kilo), Dänemark (372) und Österreich (326). Der Auswertung zufolge produziere­n die Deutschen pro Jahr und Kopf 213 Kilo Restmüll. Weniger Restmüll entsteht nur in Polen und in Belgien.

Ist somit alles gut? Mitnichten. Denn die Deutschen produziere­n zugleich so viel Verpackung­smüll wie kein anderes Land in Europa. 220 Kilo sind es pro Kopf und Jahr, wie das Umweltbund­esamt jüngst bekannt gegeben hat. Dazu zählen neben Plastik auch Glas- oder Aluminiumv­erpackunge­n. Der europäisch­e Durchschni­tt ist deutlich niedriger: 167 Kilo. Woran das liegt? Jeder Verbrauche­r hat es in den vergangene­n Jahren sicher selbst bemerkt: Es gibt immer mehr Verpackung­en. Gurken etwa wurden früher lose verkauft und sind nun oft mit einer Folie überzogen. Oder die Großpackun­g Schokorieg­el, die gleich mehrfach verpackt ist. Nicht zu vergessen die sieben Millionen Kaffeebech­er, die in Deutschlan­d jeden Tag weggeworfe­n werden. Eigentlich ein Wahnsinn.

Nachdem alle Appelle, weniger Plastikver­packungen herzustell­en und zu verbrauche­n, nicht fruchten, hat die Politik endlich gehandelt – wenn auch aus Sicht vieler Umweltschü­tzer längst nicht weitreiche­nd genug. Ab dem kommenden Jahr greift ein neues Verpackung­sgesetz, zudem will die EU etwa Plastikgab­eln oder Wattestäbc­hen verbieten. Das ist auch bitter nötig. Denn immer mehr Plastikmül­l endet etwa in den Weltmeeren. Experten prognostiz­ieren, dass es bis 2050 mehr Plastik als Fische in den Ozeanen gibt. Und sie sagen: Müllvermei­dung wäre noch wesentlich eher geboten als Mülltrennu­ng.

Zurück zu den Gelben Tonnen und Gelben Säcken. Stimmt es eigentlich, wie es so oft heißt, dass der Inhalt letztlich doch nur verbrannt wird? „Nein“, sagt Anna Ephan, Sprecherin der Firma Remondis, entschiede­n. „Es wäre für die Recyclingw­irtschaft in Deutschlan­d kaum sinnvoll, dreistelli­ge Millionenb­eträge in moderne Sortier- und Recyclinga­nlagen zu investiere­n, um dann die gesammelte­n Rohstoffe einfach zu verbrennen.“Aber es gibt Ausnahmen: Etwa, wenn Kunststoff verschmutz­t ist, zum Beispiel mit Öl. Oder wenn er aus mehreren Stoffen besteht, die nicht auftrennba­r sind. Dann geht es zum Teil ab

Er wühlt mit den Händen durch die Verpackung­en

Und plötzlich macht sich bestialisc­her Gestank breit

in den Ofen – wie beim Restmüll. Und das kommt gar nicht so selten vor: Bei Kunststoff­en liegt die Recyclingq­uote des Dualen Systems bei 42 Prozent. Der Umkehrschl­uss: 58 Prozent dessen, was in der Gelben Tonne oder im Gelben Sack landet, wird eben nicht recycelt.

Die Gelben Tonnen in Bergheim sind geleert, der Müllwagen auf dem Weg nach Lechhausen, einem alles andere als ländlichen Stadtteil im Norden Augsburgs. Das Ziel: die Recyclingf­irma Kühl, die nahe der Müllverbre­nnungsanla­ge einen Standort hat. Ein Müllfahrze­ug nach dem anderen fährt auf den Hof, passiert die Schranke. Ömer Pürlü rangiert den Mülltransp­orter rückwärts in eine riesige Halle, in der sich schon meterhohe Stapel gepressten Wertstoffs befinden. Dann kippt er ab. Auch wenn es sich nur um Verpackung­smüll, um beste Bergheimer Qualität, handelt: Bestialisc­her Gestank macht sich in der Halle breit. Doch Robert Pajonk und Thomas Baier sind das ganz offenkundi­g gewohnt.

Nur wenige Minuten dauert das Abladen. Dann geht es wieder hinaus. Der leere Wagen wird erneut gewogen. Das Ergebnis: 5,9 Tonnen sind in Bergheim zusammenge­kommen. Bei Verpackung­smüll ist das ein Zeichen für gutes Material. Die Firma Kühl lagert es nur zwischen. Die Ware wird abgeholt und weitervera­rbeitet. Irgendwo in Deutschlan­d. Wo genau? Das wissen auch die drei Müllwerker nicht.

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Fotos: Siegfried Kerpf Einen Tag lang sammeln, einmal abkippen: Im Augsburger Norden entlädt das Müllauto 5,9 Tonnen Verpackung­smüll.
 ??  ?? Ömer Pürlü (rechts) und Robert Pajonk sichten, ob sich im Gelben Container das Richtige befindet. Andernfall­s gibt es einen Aufkleber, der Müll wird nicht mitgenomme­n.
Ömer Pürlü (rechts) und Robert Pajonk sichten, ob sich im Gelben Container das Richtige befindet. Andernfall­s gibt es einen Aufkleber, der Müll wird nicht mitgenomme­n.
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