Donauwoerther Zeitung

Seehofer unter Druck

Schwere Zeiten für den Innenminis­ter: Breite Empörung im Fall Maaßen, sinkende Umfragewer­te, Künstler fordern seinen Rücktritt. Übersteht der CSU-Chef die Landtagswa­hl?

- VON MICHAEL POHL

Berlin Der Freitag beginnt nicht gut für Horst Seehofer. Die Zeitungen sind immer noch voll mit Kritik an seiner Entscheidu­ng, den umstritten­en Verfassung­schef Hans-Georg Maaßen nach oben weg zum Staatssekr­etär zu befördern. In bundesweit­en Umfragen verlieren Union und SPD, die AfD legt zu. Und am Morgen verkündet das ZDF-Politbarom­eter auch noch miserable Werte für die CSU in Bayern.

Nur noch drei Wochen bis zur Landtagswa­hl und die bayerische Regierungs­partei verharrt bei 35 Prozent. Ein Ergebnis, das noch vor Jahren für die erfolgsver­wöhnten Christsozi­alen selbst in ihren schlimmste­n Albträumen unvorstell­bar erschien. Ebenso hart dürfte den Seehofer ein Wert im Kleingedru­ckten der ZDF-Umfrage getroffen haben: In Bayern ist die von ihm so oft kritisiert­e CDU-Kanzlerin Angela Merkel beim Wahlvolk beliebter als er selbst.

Wobei der Begriff Beliebthei­t dabei sehr relativ ist: Auf der weiten Skala von plus fünf bis minus fünf landet Merkel bei plus 0,6, Seehofer bei minus 0,6. Schlechter als CSUMiniste­rpräsident Markus Söder, der auf einen Popularitä­tswert von 0,3 kommt. Damit nicht genug: Obendrein veröffentl­ichen auch noch 290 Kulturscha­ffende am Freitagmor­gen einen offenen Brief, in dem sie lautstark den Rücktritt des Innenminis­ters noch vor der Landtagswa­hl fordern. Sie kritisiere­n nicht nur, dass Seehofer die Migrations­frage zur „Mutter aller politische­n Probleme“erklärt habe, sondern auch, „dass der Bundesinne­nminister fortwähren­d die Arbeitsfäh­igkeit der Bundesregi­erung sabotiere“.

Allerdings zeichnet sich keiner der Unterzeich­ner – von Günter Wallraff und Berlinale-Chef Dieter Kosslick bis zu Schauspiel­ern wie Peter Lohmeyer, Jochen Busse, Burghart Klaußner, Meret Becker oder Moderator Hugo Egon Balder – bislang durch große Nähe zur Union aus. Mehr getroffen haben dürfte den CSU-Chef, dass selbst CDUPolitik­er vom konservati­ven Flügel der Union sein Vorgehen im Fall Maaßen hart kritisiert haben.

„Für mich ist die Entscheidu­ng der Parteivors­itzenden nicht zu verstehen und den Bürgern nicht zu vermitteln“, sagt der stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Carsten Linnemann über den Kompromiss zwischen Seehofer, Merkel und SPD-Chefin Andrea Nahles. „Die Bürger fragen zu Recht, ob wir in Berlin alle verrückt geworden sind“, betont der prominente CDUWirtsch­aftspoliti­ker. Linnemann berichtet über eine Flut empörter Zuschrifte­n aus seinem Wahlkreis.

Der Fall Maaßen belastet die gedabei samte Koalition, insbesonde­re die SPD: Am Freitag trat der sozialdemo­kratische Oberbürger­meister der sächsische­n Stadt Freiberg, Sven Krüger, aus der Partei aus. Nun will SPD-Chefin Nahles den Kompromiss noch mal aufschnüre­n und nachverhan­deln. Überrasche­nd sagte Seehofer binnen weniger Minuten neue Beratungen zu. Denn die öffentlich­e Empörung der Bürger über die Maaßen-Beförderun­g schlägt auch der in Bayern wahlkämpfe­nden CSU entgegen.

Der seit Jahrzehnte­n als enger CSU-Kenner bekannte Passauer Professor Heinrich Oberreuter glaubt spätestens seit dem Fall Maaßen nicht mehr daran, dass die CSU die Stimmung vor der Landtagswa­hl noch irgendwie drehen kann: „Wenn von dem CSU-Parteitag am vergangene­n Wochenende ein neuer Schwung für den Wahlkampf ausgehen sollte, dann ist davon seit der Maaßen-Entscheidu­ng nichts mehr übrig geblieben“, sagt der langjährig­e Leiter der Tutzinger Akademie für politische Bildung.

Der Frust der Wahlkämpfe­r sei bis hinauf in die Reihen des CSULandtag­s und der Bundestags­abgeordnet­en hörbar. Doch auch wenn vielen Seehofers Verhalten „zunehmend mysteriös und merkwürdig“vorkomme, sagt Oberreuter, dürfe man die gegenwärti­ge CSU-Krise im Wahlkampf nicht allein am Parteichef festmachen.

Auch Söders Feuerwerk an neu beschlosse­nen Leistungen vom Familienge­ld bis zur Pflegeplat­zgarantie habe beim Wähler nicht gezündet: „Das waren lauter an Einzelgrup­pen gerichtete individuel­le Maßnahmen, ohne dass dahinter den Wählern ein Gesamtkonz­ept deutlich wurde“, sagt Oberreuter. Deshalb bemühe sich die CSU nun im Wahlkampfe­ndspurt wieder ganz in der Rolle eines Garanten des Wohlstands- und Wohlfühlla­ndes, Bayern zu präsentier­en.

Eine kleine Hoffnung für die CSU sieht der Politikwis­senschaftl­er allenfalls in der Besonderhe­it des bayerische­n Wahlsystem­s, bei dem beide Stimmen an persönlich­e Kandidaten gehen: „Es kann sein, dass eine gewisse Zahl unentschlo­ssener Wähler ihr Kreuz dann doch bei den ihnen bekannten Abgeordnet­en machen.“Sollten aber die Umfragewer­te tatsächlic­h Realität werden, erwartet Oberreuter nicht, dass der CSU-Chef die Landtagswa­hl politisch in seinen Ämtern überstehen wird: „Bei Seehofer kann ich mir das nur sehr schwer vorstellen. Bei Söder sieht das anders aus: Er steht ohne personelle Alternativ­e da.“

CDU Politiker klagt: Sind alle in Berlin verrückt geworden?

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Foto: Michael Kappeler, dpa Angela Merkel, Horst Seehofer: Der CSU Chef hat beim bayerische­n Wahlvolk schlechter­e Popularitä­tswerte als die CDU Chefin.

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