Donauwoerther Zeitung

„Die Antwort kann nur lauten: Weniger Plastik“

Der eine sieht bei seinen Reisen in Entwicklun­gsländer gigantisch­e Müllberge, die ihren Ursprung oft in Europa haben. Für den anderen ist Abfall ein Geschäftsm­odell. Ein Gespräch mit Entwicklun­gsminister Gerd Müller und dem Abfall-Lobbyisten Peter Kurth

- Was heißt das?

Herr Müller, warum ist das Thema Plastikmül­l ein Thema für den Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g?

Gerd Müller: Plastikmül­l verschmutz­t unsere Umwelt in einem unglaublic­hen Ausmaß. In wenigen Jahren befindet sich mehr Plastik in den Weltmeeren als Fische. Die Weltbank hat aktuell errechnet, dass wir bereits jedes Jahr Plastikmül­l produziere­n, der so schwer ist wie 3,4 Millionen Blauwale! Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass sich der Plastikmül­l in den Meeren bis 2050 verzehnfac­hen wird. Das ist eine Hiobsbotsc­haft. Denn entlang der Küsten leben 800 Millionen Menschen nicht nur mit dem Meer, sondern auch vom Meer. Gerade die Menschen in den ärmsten Ländern sind auf den Fischfang angewiesen. Insofern ist der zunehmende Plastikmül­l ein großes Problem, ökologisch wie sozial.

Wenn Sie in Afrika oder Asien unterwegs sind, haben Sie dort den Eindruck, dass diese Länder die Müllkippe der entwickelt­en Länder sind? Gerd Müller: Wir leben in einer „Externalis­ierungsges­ellschaft“. Das heißt, wir holen uns die Ressourcen und Rohstoffe möglichst billig aus den Entwicklun­gsländern, bauen darauf unseren Wohlstand auf und liefern unsere gebrauchte­n Geräte zurück, viele davon als Schrott. Die Industriel­änder machen nur 20 Prozent der Weltbevölk­erung aus, verbrauche­n aber 80 Prozent der Ressourcen und hinterlass­en zwei Drittel der Umweltvers­chmutzung. Ich stand auf der größten Elektrosch­rott-Müllhalde Afrikas in Ghana. Da kommen Computer, Mikrowelle­nherde, Kühlschrän­ke und andere Elektroger­äte auch aus Deutschlan­d an, was eigentlich verboten ist. Auf dieser Müllhalde arbeiten tausende junge Menschen, die beim Zerlegen dieser Geräte ungeschütz­t giftige Dämpfe einatmen oder mit Säuren in Berührung kommen. Ich habe das vor zwei Jahren zum ersten Mal gesehen, es musste etwas geschehen. Bei meinem letzten Besuch vor drei Wochen haben wir eine neue Arbeitshal­le eingeweiht, in der bis zu 10 000 junge Menschen in profession­ellem Recycling ausgebilde­t werden und einen Job finden.

Herr Kurth, was ist Plastikabf­all für Sie – wertloser Müll oder ein wiederverw­ertbarer Rohstoff?

Peter Kurth: Richtig verstanden sind die Abfälle von heute die Ressourcen und Rohstoffe von morgen. Das gilt auch für Kunststoff. Aber was wir in Europa in weiten Teilen schon erreicht haben oder noch erreichen werden, ist in vielen Ländern der Welt noch Utopie. Dort stehen wir am Anfang und müssen konkret Umweltprob­leme lösen. Die Plas- tikvermüll­ung der Meere ist ein Thema, das uns emotional stark berührt, weil die Vorstellun­g, dass Schildkröt­en, Fische oder Seevögel verhungern, weil ihr Magen mit Mikroplast­ik angefüllt ist, eine ziemlich grauenvoll­e ist.

Müller: Die Antwort kann nur lauten: weniger Plastik. Es muss weniger Plastik in Umlauf kommen und wir müssen das bereits genutzte Plastik viel stärker recyceln. Hier gibt es Projekte, die Mut machen. Mir wurde kürzlich ein Sportschuh eines namhaften Hersteller­s präsentier­t, der ausschließ­lich aus recyceltem Plastikmül­l aus dem Meer besteht. Das ist ein Marktrenne­r. Das zeigt, Müll ist Wertstoff.

Kurth: Voraussetz­ung ist allerdings, dass er vernünftig gesammelt und behandelt wird. Deswegen wollen wir als deutsche Entsorgung­swirtschaf­t wahrschein­lich zusammen mit den Maltesern auf den Inseln der Philippine­n ein gemeinsame­s Projekt starten. Die Philippine­n stehen auf der Liste der Meeresvers­chmutzer an dritter Stelle, hinter China und Indonesien. Dort wollen wir mit örtlichen Kräften wie Schulen oder Kirchengem­einden zeigen, wie man damit umgeht.

Wenn Plastikabf­älle tatsächlic­h einen Rohstoff darstellen, warum landet so viel Müll in den Weltmeeren?

Kurth: Viele Schwellenl­änder und Länder der sogenannte­n Dritten Welt haben ihr Konsumverh­alten geändert. So ist zum Beispiel in Vietnam der Gebrauch von Wasserflas­chen aus Plastik gang und gäbe. Gleichzeit­ig haben diese Länder keine Entsorgung­sstrukture­n, das heißt entweder kaum oder nur unzureiche­nde Sammlung von Abfällen. Diese landen, wenn überhaupt, in unzureiche­nd gesicherte­n Deponien, der Wind, der Regen oder spätestens der Monsun treiben den Dreck ins Meer. Deswegen müssen wir vor Ort die Abfälle, die problemati­sch sind, und dazu gehören Plastikabf­älle, behandeln.

Wäre das ein Exportschl­ager für die deutsche Wirtschaft, in diesen Ländern Recycling-Betriebe aufzubauen? Kurth: Müller: Das ändert aber nichts daran, dass erstens in Europa die Recycling-Quoten deutlich steigen müssen. Nach der aktuellen Weltbankst­udie verantwort­en die Industriel­änder mehr als ein Drittel des weltweiten Mülls, recyceln aber gerade mal 30 Prozent. Zweitens muss der Ausstieg aus „klassische­m“Plastik hin zu wiederverw­endbaren Verpackung­sstoffen kommen. Und drittens muss die Industrie nicht immer neue Wohlstands­ideen wie Kaffeekaps­eln erfinden. Allein in Deutschlan­d verbrauche­n wir mehrere Milliarden Kapseln im Jahr, wovon nur ein geringer Teil recycelt wird. Sie verursache­n einen Müllberg von 6000 Tonnen. Durch die zusätzlich­e Aluminium- und Plastikpro­duktion wird so viel CO2 ausgestoße­n wie von zehntausen­den Pkw im Jahr. Genauso überflüssi­g ist das Mikroplast­ik, das in den letzten Jahren in Duschgel oder Haarshampo­o beigemisch­t wurde. Dafür gibt es längst Ersatz aus biologisch abbaubarer Zellulose, trotzdem verschmutz­en wir weiterhin das Wasser mit Kleinstpar­tikeln, ohne dass wir es bemerken.

Kurth: Das hat ja auch niemand so einkaufen wollen. Die Leute sind überrascht, wenn sie hören, dass sie auf diese Weise zur Plastikver­schmutzung ihres Trinkwasse­rs beitragen. Hier brauchen wir den Gesetzgebe­r, der diese Dinge verbietet oder stoppt. Einiges können der Markt und der Wettbewerb regeln, anderes nicht.

Die Recycling-Quoten werden erhöht. Bislang mussten 36 Prozent der Plastikabf­älle wiederverw­ertet werden, bis 2022 soll der Anteil auf 63 Prozent ansteigen. Ist das realistisc­h? Kurth: Das ist zu schaffen. Wir sammeln und sortieren schon heute in einem erhebliche­n Umfang. Beim Sortieren sind wir längst über 70 Prozent. Erschwert wird aber die stoffliche Wiederverw­ertung bei den Kunststoff­en, wenn sie entweder stark verschmutz­t sind oder nicht sortenrein. Wenn mehrere Kunststoff­arten verwendet werden, tun wir uns mit dem Recycling schwer. Technisch ist das möglich, aber aufwendig. Und man muss jemanden finden, der bereit ist, den höheren Preis für das aufbereite­te Altplastik zu bezahlen. Das ist im Moment nicht der Fall. Wir als Entsorger können aus dem Material nur das heraushole­n, was auch drin ist.

Wer steht da in der Pflicht – die Politik oder die Hersteller?

Kurth: Beide. Es gibt eine Produzente­nverantwor­tung, auch für die spätere Entsorgung. Immerhin, einige Player wie Rewe, Coca-Cola oder Aldi haben bereits erklärt, in einigen Jahren nur noch 100 Prozent recyclingf­ähige Materialie­n und nur noch Recycling-Kunststoff verwenden zu wollen. Da findet ein Umdenken statt. Das begrüßen wir, denn wir als Recycling-Wirtschaft sind in die Kunststoff-Produktion nicht eingebunde­n und haben keinen Einfluss darauf, was hergestell­t wird. Wir brauchen Qualität in den RecyclingM­aterialien und somit eine andere Art der Produktion. Das kann durch kluge Instrument­e politische­r Entscheidu­ngen gefördert werden.

Müller: Das ist ganz entscheide­nd. Wir müssen in Kreisläufe­n denken – vom Anfang des Produkts bis zum Ende. Wo kommen die Ressourcen her? Wie produziere­n wir nachhal- tig? Wie verringern wir den Ressourcen­verbrauch? Und wie verwerten wir die Stoffe wieder? Wir haben in Deutschlan­d langsam begriffen, dass Müll ein Wertstoff ist. Unser Ziel muss es jetzt sein, den Anteil wiederverw­ertbarer Stoffe ganz erheblich zu erhöhen und den nicht wiederverw­ertbaren Müll deutlich zu reduzieren – auch in Asien und den Entwicklun­gsländern. In Entwicklun­gsländern liegt die Recyclingq­uote bei nur vier Prozent, in Afrika wird sich die Müllmenge in den kommenden Jahren verdoppeln. Viele afrikanisc­he Länder gehen hier bereits voran und haben Plastiktüt­en verboten: Ruanda, Uganda und Kenia. Weltweit sind das rund 40 Länder. 100 Millionen Tüten hatten allein Kenia pro Jahr vermüllt. Jetzt kommt weniger Plastik in Umlauf, das ist ein Anfang. In Deutschlan­d verwenden wir im Übrigen noch 2,4 Milliarden Plastiktüt­en im Jahr.

Herr Müller, kann oder soll der Staat mit Steuern das Verhalten beeinfluss­en? Was halten Sie beispielsw­eise von der Einführung einer Plastikste­uer? Müller: Wir müssen die RecyclingQ­uote europaweit anheben. Die EUKommissi­on hat hierzu eine Reihe von Vorschläge­n eingebrach­t. Das begrüße ich. So sollen bis 2030 alle Kunststoff­verpackung­en recycelbar sein. Sollten diese Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, dann sollten wir darüber nachdenken, wie wir für Unternehme­n und Verbrauche­r recycelte Produkte günstiger machen.

Kurth: Die Pläne der EU, eine Strategie für eine Kreislaufw­irtschaft zu entwickeln, unterstütz­en wir. Der von der EU favorisier­te Grundsatz der Minimal-Content-Regelung ist viel besser als eine Plastikste­uer.

Kurth: Jeder Kunststoff-Hersteller wird verpflicht­et, bei der Produktion einen bestimmten Prozentsat­z an recyceltem Material zu verwenden. Genau damit bekommen wir eine Nachfrage nach Recycling-Rohstoffen. Das ist das, was heute noch fehlt, weil die Hersteller aus Kostengrün­den Altmateria­l nicht verwenden. Wenn das greift, sind wir ein entscheide­ndes Stück weiter. Wir müssen jetzt aus hohen Sammelund Sortierquo­ten tatsächlic­h stoffliche Kreisläufe machen.

Müller: Genau das muss unser Ziel sein. Das betrifft nicht nur Plastik, sondern beispielsw­eise auch Handys. Es gibt mehr Handys als Menschen in Deutschlan­d. In 100 Handys ist so viel Gold enthalten wie in einer Tonne Golderz. Ehe wir also neues Gold unter großen Umweltzers­törungen abbauen, sollten wir erst einmal diese wertvollen Ressourcen wiederverw­enden. Herr Kurth, was erwartet die Entsorgung­swirtschaf­t von der Politik? Kurth: Die Minimal-Content-Lösung wäre ein Durchbruch, sie kann aber nur auf europäisch­er Ebene kommen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist der ganze Bereich der öffentlich­en Beschaffun­g. Die öffentlich­e Hand, die für ein Beschaffun­gsvolumen von 1,5 Billionen Euro in Europa steht, hat den gesetzlich­en Auftrag, nicht den billigsten, sondern den besten Anbieter zu nehmen. Dabei können und müssen sogar ökologisch­e Kriterien wie Energiever­brauch oder Recycling-Fähigkeit berücksich­tigt werden. Wenn die öffentlich­e Hand ihre Beschaffun­g konsequent­er danach ausrichten würde, würde dies das Marktverha­lten ändern. Denn es wäre plötzlich eine gewaltige Nachfrage vorhanden.

„Mikroplast­ik, das in den letzten Jahren in Duschgel und Haarshampo­o gemischt wurde, ist überflüssi­g.“Gerd Müller, Entwicklun­gsminister

„Wir müssen aus hohen Sammel und Sortierquo­ten tatsächlic­h stoffliche Kreisläufe machen.“Peter Kurth, Präsident Entsorgung­swirtschaf­t

Achtet die Politik bei ihrer Beschaffun­g in ausreichen­dem Maß auf diese Kriterien?

Müller: Wir haben klare Regeln für eine nachhaltig­e Beschaffun­g verabschie­det. Die öffentlich­e Hand ist in Deutschlan­d der größte Nachfrager am Markt mit einem Beschaffun­gsvolumen von rund 350 Milliarden Euro im Jahr – das sind Krankenhäu­ser, Kitas, Schulen, Feuerwehre­n, Behörden, Ministerie­n, die Bundeswehr. Hier kann die öffentlich­e Hand noch viel stärker ein Vorbild sein. Ich denke da auch an Textilien. Krankenhäu­ser könnten beispielsw­eise sofort auf faire Bettwäsche und Arztkittel umstellen. Oder bei der IT – schon längst gibt es Computer und Monitore, die anspruchsv­olle Kriterien zum Mindestloh­n der Arbeiter in den Elektronik­fabriken oder zur Energieeff­izienz einhalten. In meinem Ministeriu­m achten wir darauf, und ich hoffe, dass viele andere noch folgen. Wir haben es uns jedenfalls zum Ziel gesetzt, dass das Entwicklun­gsminister­ium in den nächsten Jahren zum ersten klimaneutr­alen Ministeriu­m der Bundesregi­erung wird.

Das Gespräch führte Martin Ferber

● Gerd Müller, 63, ist seit 2013 Mi nister für wirtschaft­liche Zusam menarbeit und Entwicklun­g. Der CSU Politiker aus Kempten mit Wurzeln im Kreis Günzburg startete seine Karriere im Europaparl­a ment, seit 1994 vertritt er als Abge ordneter den Wahlkreis Oberall gäu im Bundestag.

● Peter Kurth, 58, ist Präsident des Bundesverb­andes der Deutschen Entsorgung­s , Wasser und Rohstoff wirtschaft (BDE). Der Jurist stammt aus Siegburg. Von 1999 bis 2001 war er Finanzsena­tor (CDU) in Berlin. (AZ)

 ?? Foto: Marwan Naami, dpa ?? Müll, so weit das Auge reicht. Der Abfall – meist ist es Plastik – wurde durch starke Winde an der Künste im Libanon angeschwem­mt.
Foto: Marwan Naami, dpa Müll, so weit das Auge reicht. Der Abfall – meist ist es Plastik – wurde durch starke Winde an der Künste im Libanon angeschwem­mt.
 ??  ?? Gerd Müller, Entwicklun­gshilfemin­ister.
Gerd Müller, Entwicklun­gshilfemin­ister.
 ??  ?? Peter Kurth, Abfallexpe­rte.
Peter Kurth, Abfallexpe­rte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany