Donauwoerther Zeitung

Ex Kanzler Kern setzt auf Brüssel

Der Sozialdemo­krat verprellt auch Parteifreu­nde durch seinen Rücktritt als SPÖ-Chef. Nun will er seine Karriere bei der EU fortsetzen

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Harte Kritik kam von einem der Vorgänger: „So kann man nicht abtreten!“, tadelte der frühere Bundeskanz­ler und SPÖ-Vorsitzend­e Franz Vranitzky. Ihn hatte am Dienstag angesichts des überrasche­nden Rücktritts von Christian Kern als SPÖ-Vorsitzend­er „großes Entsetzen“gepackt. Für das hausgemach­te „Kommunikat­ionsdesast­er“, so Kärntens SPÖ-Chef Kaiser, entschuldi­gte Kern sich bei seiner Partei gestern per Brief: „Was in den vergangene­n Tagen konkret passiert ist, war sicher nicht akzeptabel. Mir selbst wäre ein geordneter Übergang lieber gewesen.“

Kerns Entschluss, zurückzutr­eten, war vorzeitig in die Medien gelangt. Auch dass Kern fast im Alleingang entschied, sich zum Spitzenkan­didaten der europäisch­en Sozialdemo­kraten für die Europawahl 2019 ins Gespräch zu bringen, kam schlecht an. Offensicht­lich verspürt Kern keine Neigung, in Wien noch länger Opposition­sarbeit zu leisten.

Bekannt ist in Brüssel, dass die deutsche SPD händeringe­nd nach einem geeigneten Spitzenkan­didaten sucht. Wichtig sei den Sozialdemo­kraten aus Deutschlan­d, dass der Kandidat im deutschspr­achigen Raum gut ankommt. Deshalb sei Federica Mogherini ebenso wenig geeignet wie der Franzose Pierre Moscovici oder der Slowake Maros Sefcovic, sagt ein Insider. Allerdings werden auch Kern nur Außenseite­rchancen zugebillig­t. Der saarländis­che Europaabge­ordnete Jo Leinen (SPD) sagte unserer Zeitung: „Das Parlament ist entschloss­en, den europäisch­en Spitzenkan­didaten zum Kommission­spräsident­en zu wählen, der bei den Europawahl­en die meisten Stimmen auf sich vereinigt.“Österreich­s Ex-Kanzler Kern habe bisher noch „keine großen Fußstapfen in Brüssel hinterlass­en“. Er würde schließlic­h gegen Sozialdemo­kraten antreten müssen, die jede Menge politische Akzente in der Europapoli­tik gesetzt hätten: Da ist zum Beispiel der EU-Kommission­svizepräsi­dent Frans Timmermans aus Holland.

Kern hat zwar die Wahl in Österreich 2017 gegen Sebastian Kurz verloren. Aber als einer der wenigen Sozialdemo­kraten in der EU verbessert­e er das Ergebnis seiner Partei. Kern ist bemüht, die Hoffnung zu wecken, dass er als früherer Kanzler einen wichtigen Posten in Brüssel für Österreich besetzen kann. Neben dem Kommission­spräsident­en werden im Jahre 2019 noch wichtige Posten neu besetzt: der außenpolit­ische Beauftragt­e, der Ratspräsid­ent sowie der Präsident der Europäisch­en Zentralban­k. Dabei kann Kern nicht auf Schützenhi­lfe des amtierende­n österreich­ischen Kanzlers hoffen. Der Konservati­ve Kurz hat einer Nominierun­g Kerns als Österreich­s Kommission­skandidat eine Absage erteilt.

Die Kandidaten­liste für die europäisch­en Sozialdemo­kraten wird am 1. Oktober eröffnet. Am 7./8. Dezember wird der Spitzenkan­didat dann in Lissabon gewählt.

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Foto: Puchner, dpa Hat offensicht­lich große Pläne in Brüs sel: Sebastian Kern.

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