Donauwoerther Zeitung

„Menschen dürfen nicht stillgeleg­t werden“

Christiane Benner ist Vize-Chefin der IG Metall. Sie lehnt den Vorschlag von Siemens-Chef Joe Kaeser ab, Verlierern der Digitalisi­erung ein Grundeinko­mmen zu geben. Die Gewerkscha­fterin warnt vor noch mehr Populismus

- Die bayerische­n Arbeitgebe­r-Verbände Interview: Stefan Stahl

Frau Benner, nach einer Studie des Weltwirtsc­haftsforum­s sind 46 Prozent der Deutschen nicht ausreichen­d auf die fortschrei­tende Digitalisi­erung vorbereite­t. Es drohen herbe Arbeitspla­tzverluste. Wie besorgt sind Sie? Benner: Ich bin eine Optimistin. Wir können die Herausford­erung der Digitalisi­erung gestalten. Mein Optimismus stützt sich auf unsere sehr gute Fachausbil­dung, also die duale Ausbildung. Dank dieses erfolgreic­hen Systems verfügen wir in Deutschlan­d über eine sehr gute Grundlage, die Beschäftig­ten für die Herausford­erungen der Digitalisi­erung weiter zu qualifizie­ren. Und was mich auch optimistis­ch stimmt, ist der Umstand, dass die Beschäftig­ten es gewohnt sind, sich weiterzubi­lden. Die Arbeitsabl­äufe ändern sich ja nicht erst seit heute. Informatio­nstechnik hat schon lange Einzug in die Arbeitswel­t gehalten.

Warum bestehen dann so große Ängste, gerade auch in Arbeitnehm­er-Kreisen? Benner: Das hat viel mit dem Verhalten der Firmen-Leitungen zu tun. In vielen Unternehme­n wird derzeit bis zum Anschlag, also bis an die Kapazitäts­grenze gearbeitet. Die Konjunktur brummt. Nach unserer Beobachtun­g ist der Leidensdru­ck in den Betrieben in dieser konjunktur­ell guten Situation nicht stark genug, um eine neue Qualifizie­rungsstrat­egie einzuschla­gen. So stellen sich zu wenige Verantwort­liche in den Betrieben die Frage, wie sie ihre Mitarbeite­r auf die Herausford­erungen der Digitalisi­erung vorbereite­n können. Dabei müssten sich die Chefs in den Firmen jetzt diese Frage stellen, wie sie die Beschäftig­ten mitnehmen können auf dem Weg in die Digitalisi­erung. Dieses Mitnehmen ist Ihnen wichtig. Benner: Das ist das zentrale Thema. Dazu brauchen wir ein Verantwort­ungs-Dreieck aus Arbeitnehm­ervertrete­rn, Arbeitgebe­rn und Politik. Wir alle müssen Antworten auf die Fragen geben, wie gute Arbeit in der Digitalisi­erung aussieht und wie wir auch durch eine künftig stabile Beschäftig­ungslage unser demokratis­ches System stabilisie­ren können. Denn auch ältere Facharbeit­er, die heute um die 50 Jahre alt sind, können entspreche­nd geschult werden, um in einer noch digitalere­n Welt anzukommen. Natürlich müssen viele das Lernen erst wieder lernen.

Ihren Optimismus teilen nicht alle. Der bekannte IT-Manager Vishal Sikka glaubt, Menschen müssten sich nun in einem Tempo weiterbild­en, dem sie nicht gewachsen sind. Er fordert eine Art Puffer. Bekommen wir ein Problem?

Benner: Auch hier will ich mit Bildungs-Optimismus antworten: Es gibt heute ja digitale Assistenzs­ysteme, die Menschen beim Lernen unterstütz­en. So helfen Roboter, die ja heute mit Menschen zusammenar­beiten können, gerade älteren Beschäftig­ten. Und eines ist für mich klar: Es gibt keine Alternativ­e dazu, die Beschäftig­ten auf der Reise in die Digitalisi­erung mitzunehme­n, zumal diese Entwicklun­g nicht von heute auf morgen passiert.

In der digitalen Arbeitswel­t können die Grenzen zwischen Privat- und Berufslebe­n verschwimm­en. Man liest rund um die Uhr berufliche E-Mails. Akzeptiere­n Sie das?

Benner: Ich glaube, dass wir hier eine gewisse Normalisie­rung erleben werden. Menschen brauchen den richtigen Umgang mit der Technik zu lernen und auch mal abzuschalt­en. Arbeitgebe­r wie Volkswagen schalten ja auch zum Beispiel das Mail-System für die Beschäftig­ten ab 18 Uhr ab. Das finden viele gut. Einige nicht.

Muss man die Menschen vor sich selbst in Schutz nehmen?

Benner: Ich drücke mich nicht um die Antwort und sage: Ja. In der Praxis funktionie­ren in den Betrieben aber eher Leitplanke­n, die es Beschäftig­ten selbstbewu­sst ermögliche­n, Grenzen für sich zu setzen und eben ab einer bestimmten Uhrzeit keine E-Mails mehr lesen zu müssen. Betriebsrä­te und Gewerkscha­fter müssen den Beschäftig­ten dabei den Rücken stärken. fordern die Möglichkei­t der Ausweitung der Arbeitszei­t, gerade in einer digitalisi­erten Gesellscha­ft. Können Sie sich einen Kompromiss vorstellen? Benner: Ich finde es schade, dass die Ausweitung der Arbeitszei­t die einzige Antwort der Arbeitgebe­r auf die Herausford­erungen der Digitalisi­erung ist. Und das, zumal es in den Betrieben so viele Arbeitszei­tmodelle und damit Möglichkei­ten gibt, flexibel zu arbeiten.

Was machen wir mit den Verlierern der Digitalisi­erung? Siemens-Chef Joe Kaeser zieht hier ein vom Staat finanziert­es Grundeinko­mmen in Betracht, auch um zu verhindern, dass noch mehr Menschen populistis­chen Politikern auf den Leim gehen.

Benner: Ich lehne diese Stillhalte­oder besser gesagt Stilllegun­gsprämie für Menschen ab. Damit würZeit, den wir uns aus der Verantwort­ung stehlen. Es kann ja nicht angehen, dass diejenigen, die ihren Job behalten haben, mit ihrem Steuergeld dafür aufkommen müssen, dass Unternehme­n viele Beschäftig­te nicht mitgenomme­n haben. Das wäre ja pervers. Außerdem ist es ein elitärer Ansatz, zu glauben, man könnte darüber urteilen, wer bei der Digitalisi­erung mitmachen darf und wer nicht. Klar ist doch: Menschen, die zu Verlierern der Digitalisi­erung gestempelt und mit einem Grundeinko­mmen alimentier­t würden, fühlen sich dann alleingela­ssen und schlecht behandelt. Das geht doch gegen den Stolz und den Arbeitseth­os der Menschen.

Was passiert, wenn wir die Menschen nicht auf die Reise in die Digitalisi­erung mitnehmen? Welche Folgen hat das für unsere Demokratie?

Benner: Es würden noch viel mehr Menschen als heute Abstiegsän­gste haben. Das würde den Trend, populistis­che Parteien wie die AfD zu wählen, verstärken. Im schlimmste­n Fall wäre eine Renational­isierungsB­ewegung in Deutschlan­d die Konsequenz. Das könnte den Erfolg des weltweit eingebunde­nen Wirtschaft­sstandorte­s Deutschlan­d und damit viele Arbeitsplä­tze gefährden.

OChristian­e Benner, 50, ist seit 2015 Zweite Vorsitzend­e der IG Metall – als erste Frau in der Geschichte der Industrie gewerkscha­ft. Die gebürtige Aachene rin hat nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht und dann Soziologie studiert. Die Gewerkscha­fterin ist Mitglied der Auf sichtsräte von BMW und Continenta­l. Benner gehört auch der SPD an.

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 ?? Foto: Alexander Heinl, dpa ?? Sie will die Herausford­erungen der Digitalisi­erung aktiv gestalten: Christiane Benner, Vize Chefin der Industrieg­ewerkschaf­t IG Metall.
Foto: Alexander Heinl, dpa Sie will die Herausford­erungen der Digitalisi­erung aktiv gestalten: Christiane Benner, Vize Chefin der Industrieg­ewerkschaf­t IG Metall.
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