„Ich bin so verdammt traurig“
Eine jugendfreie Übersetzung des von Erik Lesser auf Englisch verfassten Beitrags würde sich in etwa so lesen: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin so verdammt traurig über diese Entscheidung. Danke, liebe Welt-Anti-DopingAgentur für diesen Mist.“Der Biathlet, Doppelweltmeister und mehrfacher Olympia-Medaillengewinner, ist ein Mann klarer Worte. Damit hebt er sich angenehm ab von den meisten seiner Sportkollegen, die entweder keine Meinung haben oder diese für sich behalten.
Lesser hat schon häufiger sein Unverständnis über den laxen Umgang von Verbänden und Funktionären mit der Dopingproblematik geäußert. Sein jüngster Facebook-Beitrag thematisiert die Entscheidung der Wada, die Suspendierung der russischen Anti-DopingAgentur Rusada aufzuheben. Die Emotionen sind verständlich und heben sich wohltuend von der weitverbreiteten Gleichgültigkeit ab.
Bei den Olympischen Winterspielen 2014 im russischen Sotschi gewann der 30-Jährige mit der deutschen Staffel Silber. Gold ging an die Gastgeber. Inzwischen steht mit Jewgeni Ustjugow mindestens einer aus dem damals siegreichen russischen Quartett unter Dopingverdacht. Sollte sich dieser bestätigen, was unter Umständen noch ein paar Jahre dauern kann, würde Lesser mit großer Verzögerung Olympiasieger werden. In der Leichtathletik sind derartig verspätete Upgrades so häufig geworden, dass nachträgliche Siegerehrungen im Rahmen großer Meisterschaften fast schon zum Standard gehören.
Das sind gut gemeinte Aktionen, können aber die unmittelbaren Emotionen eines Olympiasieges nicht annähernd ersetzen. Dazu kommt der im Profisport nicht unerhebliche Aspekt, dass sich mit einer Jahre später verliehenen Goldmedaille kein Euro mehr verdienen lässt. Sie dient im Wesentlichen dazu, in einer Vitrine zu verstauben. An ihr wird immer der Makel des Betrugs kleben, begangen von anderen.
Lessers Wut ist ein Ausdruck seiner Ohnmacht. Die Sportler, um die es doch eigentlich geht, fühlen sich als Spielball von Funktionären und Politikern. Deren Interessen haben sich von denen der Athleten weit entfernt. Es geht um Macht und Geld. Daran wird sich nichts ändern. Zu sehr liegt das Streben danach in der Natur des Menschen. Lesser ist klug genug, das zu wissen. Umso bewundernswerter, dass er den Kampf nicht schon längst aufgegeben hat. Er wird noch reichlich Gelegenheit bekommen, seinen Unmut zu äußern.