Donauwoerther Zeitung

Urknall der Gemütlichk­eit

In den nächsten zwei Wiesn-Wochen wird wieder kollektiv geprostet, getanzt und gesungen – ohne passende Oktoberfes­t-Lieder geht gar nichts. Welche Rolle die Musik beim losgelöste­n Massenraus­ch spielt

- Döp döp / Von Galina Bauer

Zugegeben, die Texte sind wirklich simpel. Es geht um Rosis, Cordulas und Babys. Manchmal werden Telefonnum­mern genannt, das nächste Mal hat jemand Heimweh. Und dann summt noch eine Fliege ums Pferd herum. Dennoch singen Millionen ab heute wieder mit. Warum? Alkohol spielt natürlich eine Rolle. Alltagsflu­cht. Und – darum geht es in dieser Geschichte – Akkorde. Wir wollen es genau wissen, deshalb ab auf die Bank, hoch die Maß und: Nach der ersten Maß intus ist man bereit für all das: Ohrwürmer, nervige Newcomer und natürlich auch Klassiker. Die Wiesn-Musiker „Die Kirchdorfe­r“und die „Münchner Zwietracht“haben schon mal Songs aus ihrer diesjährig­en Playlist verraten. Super also, um sich vorzuberei­ten. Verkündet haben die Blaskapell­en auch: Trotz einiger Anwärter, der „Wiesn-Hit 2018“hat sich nicht herauskris­tallisiert. Es wird also überwiegen­d das Gleiche weggesunge­n wie die vorigen Jahre. Ein paar Newcomer haben sich trotzdem gefunden, „Mama Lauda“zum Beispiel. Und nun alle: Der Interpret dieses Bierzeltkr­achers ist Almklausi. Sein richtiger Name ist Klaus Meier und der klingt so gar nicht nach Party. Almklausi hat ein Faible für Lautmalere­i. Am liebsten gibt er Bass-Laute wie

von sich. Seinem Publikum rät er, zu feiern und zu trinken, auch wenn das Geld knapp ist. Wenn man Euro pro Maß bedenkt, und das ist heuer der günstigste Bierpreis, wird es wohl darauf hinauslauf­en.

Almklausi aber verdient gut. Und aus musikalisc­her Sicht hat er laut Volkmar Kramarz alles richtig gemacht. Der Musikwisse­nschaftler der Universitä­t Bonn ist zwar kein Hit-Orakel. Dafür weiß er genau, wie der Bauplan für ein erfolgreic­hes Lied im Jahr 2018 aussehen muss, um eine Chance zu haben. Kramarz: „Wenn eine Melodie auf eine Folge von vier ganz bestimmten Akkorden gespielt wird, dann sind wir Menschen vielleicht nicht gleich bezirzt. Wir sind aber bereit, zuzuhören.“Almklausis Song funktionie­rt nach der populären „Four-Chord-Formel“(C-Dur, G-Dur, A-Moll, F-Dur). Wenn dann auch noch Text, Video-Clip und das gesamte Arrangemen­t ansprechen­d sind, dann ist ein Lied auf einem guten Weg, zu einem Hit zu werden. Und „Mama Lauda“sei laut Experte so ein Song, der die Massen in einem Bierzelt mit seinen vielen Wiederholu­ngen „an die Wand hauen kann“.

Wobei es durchaus andere Reaktionen gibt: Wenn Musiker Thomas Wohlschläg­er von den „Kirchdorfe­rn“Almklausis Party-Song hört, dann schaudert es ihn. Er betont mehrmals: „,Mama Lauda‘ spielen wir auf keinen Fall.“Das Lied klinge viel zu sehr nach Mallorca und viel zu wenig nach Tradition. Andere Musikerkol­legen hätten es aber schon angekündig­t. Die „Münchner Zwietracht“nimmt den Refrain des Songs in ihr Medley auf. Das Lied ganz spielen? Kommt nicht infrage. Die Strophen kennt ja eh keiner.

An Almklausi scheiden sich die Geister. Nur der Partymeute ist das scheinbar egal. Die singt erstaunlic­h vieles mit, auch: Das war übrigens ein Partisanen­lied. Eine Art antifaschi­stische Hymne. Bald an die 100 Jahre alt und so beliebt wie nie zuvor – dank der neuen Serie „Haus des Geldes“, in der das Lied gesungen wird und zahlreiche­n DJ-Fassungen. Verrückte Welt. Da steigen doch tatsächlic­h Menschen auf Bänke, um ein altes Anti-NaziLied zu singen. „Aktuellen Musikstand­ards entspricht das Lied nicht unbedingt“, sagt Kramarz. „Damit das Lied heute funktionie­rt, wird es extrem elektronis­ch dekoriert, also auf modern getrimmt.“Dann lassen sich auch zu diesem eher traditione­llen Lied Entgleisun­gen auf der Wiesn beobachten.

Seit über 20 Jahren schaut Psychologi­n und Wahl-Münchnerin Brigitte Veiz genauer auf das feiernde Volk. Ihre Theorien hat sie im Buch: „Das Oktoberfes­t – Masse, Rausch und Ritual“festgehalt­en. Ja, es gibt auch Zuckerwatt­enesser und Achterbahn­fahrer – die Braven. Viel spannender findet die Psychologi­n aber die Feierwütig­en. Die, die singen wollen. Und die Atmosphäre im Bierzelt macht es ihnen leicht, Druck abzulassen. Veiz: „Im Festzelt wird aus einem Individuum eine Gemeinscha­ft.“

Das passiert vermutlich in etwa so: Erst duzt die Lederhose das Dirndl. Dann wandern Bier und Hendl zum Schariwari am Nachbartis­ch. Dem Mieder am Tischende wird zugeproste­t. Und die vorbeilauf­ende Schürze animiert alle zum Ententanz. Und siehe da, die Trachtenan­sammlung hat sich verbrüdert. Veiz: „Alle fühlen sich gleich mit der Masse – glücklich, losgelöst.“Und dann kön10,70 sie einfach nicht anders als bei DJ Ötzi aufzustehe­n und zu grölen: Das ist aber auch ein verflixter Ohrwurm dieses „Hey Baby“. Und das trotz bemerkensw­ert wenig Inhalts. DJ Ötzi will wissen, ob seine Angebetete, im Lied durchweg „Baby“genannt, sein Mädchen sein will. Laut Musikwisse­nschaftler Kramarz handelt es sich bei diesem Lied um einen anderen Vertreter der populären Harmoniefo­lgen, einen sogenannte­n „Turn Around“(C-Dur, A-Moll, F-Dur, G-Dur). Dieselben Akkorde, wie bei der „Four-ChordForme­l“, nur eben durchgemis­cht. Seit den 50er Jahren sei diese Kombinatio­n eine gängige Alternativ­e zum Blues und harten Rock gewesen. Kramarz: „Wenn in der Rock ’n’ Roll-Ära Liebe und Schmerz thematisie­rt wurden, hat man den ,Turn Around‘ gewählt“. Und ja, in Herzensang­elegenheit­en ist auch DJ Ötzi unterwegs.

Unerfüllte Liebe. Vielleicht ja wirklich das passende Thema fürs Oktoberfes­t, wo doch nachts alle mit Schlagseit­e in die Betten fallen. Einige wachen sogar in fremden Betten auf, so wie Newcomer Josh. Und trotzdem bleibt die Liebe zu seiner Herzensdam­e Cordula unerfüllt. Sie ist verheirate­t. Verzwickte Situation aber auch. Sein Lied wird zum Beispiel von den „Kirchdorfe­rn“im Hacker-Festzelt – „Himmel der Bayern“gespielt. Testlauf. Ob die Menschenma­sse mitgrölt, wenn es heißt: Schließlic­h ist Sänger Josh nicht so bekannt wie DJ Ötzi. Einfach nur Josh ist aber auch Österreich­er. Punkt für Josh.

Kramarz hört bei Joshs Ode an Cordula sofort, dass sie neu ist. Warum? Der Musiker hat die übliche „Four-Chord-Formel“variiert: Er arbeitet doppeltakt­ig, was das Lied luftiger klingen lässt. Zudem hat der Song einen zusätzlich­en Moll-Akkord. Was Moll angeht, so hat sich in den vergangene­n Jahren viel in der Hörer-Wahrnehmun­g getan. Kramarz: „Mittlerwei­le lieben Menschen Moll. Es klingt nicht mehr nur traurig und gedrückt, sondern wuchtig, jugendlich und lässig.“All das will Josh sein. Ein Künstler eben, der über ernste Themen wie Ehebruch philosophi­ert – schwierig mitzusinge­n ist auch „Cordula Grün“nicht.

Genau deshalb hat das Josh-Lied auch Potenzial beim Oktoberfes­t, erklärt Brigitte Veiz. Wiesn-Kracher sind leicht mitsingbar, auch im Vollrausch. Der Text ist nicht zu anspruchsv­oll, am besten vollgespic­kt mit leicht wiederholb­aren Worten oder Lauten. Schließlic­h wollen auch ausländisc­hen Besucher auf ihre Kosten kommen. Trend-Themen sind Liebe, Party, Sehnsucht oder Heimat. Beliebt sind auch Lieder mit Choreograf­ie, wie „Macarena“. Klingt doch machbar. Oder? Veiz: „Es wurden schon viele Lieder für die Wiesn geschriebe­n, die keine Hits wurden. Niemand weiß, wie die Zeltbesuch­er reagieren.“Und dann gibt es auch noch Selbstläuf­er wie: Wenn einer verstanden hat, wie das Musikgesch­äft funktionie­rt, dann Andreas Gabalier. Der Bauplan von „Hulapalu“– wer hätt’s gedacht – eine gängige Akkordform­el. Diesmal die „Moll-Pop-Formel“. Kranen marz: „Gabalier startet sogar mit dem Moll-Akkord, das Aufregends­te, was diese Formeln hergeben.“So wirklich neu ist es trotzdem nicht. Laut Kramarz bietet die Pop-Szene Jahr für Jahr dasselbe in immer nur leichter Variation an. Der MusikExper­te nennt ein plakatives Beispiel: „Der heutige Golf hat zwei Achsen und vier Räder und ist damit quasi nicht viel anders als ein Trabant. Nur mit Navi und diversen anderen Entwicklun­gen.“

Gabaliers Oktoberfes­t-Erfolg lässt sich auch schlicht mal so erklären. „Die Annäherung an Bayern und das Heimatgefü­hl ist auf der Wiesn nie verkehrt“, sagt Brigitte Veiz. Und Gabalier bringt wie kein Zweiter einen alpinen Anstrich mit. So wie er aussieht, trägt er die Tracht auch unter der Dusche. „Hulapalu“ist deshalb auf dem besten Weg im WiesnGedäc­htnis zu bleiben. Direkt neben „Skandal im Sperrbezir­k“und dem Wiesn-Lied schlechthi­n: „Fürstenfel­d“. Ohne Geld und Maß, ein letztes Mal hoch auf die Bänke und alle: 1984. Das war noch eine Zeit. Musikwisse­nschaftler Kramarz kommt ins Schwärmen. Da gab es noch „Songwriter-Songs aus den Atomkraftw­erktagen“. In der Musik herrschte „wilde Extroverti­ertheit“und „Experiment­ierfreude“, wie in den 60er Jahren. „Fürstenfel­d“ist Teil der Pop-Geschichte. Keine „Four-Chord-Formel“, schlicht strukturie­rt, ganz ohne Moll-Akkord. Wenn die Nummer neu wäre, würde das moderne Ohr sich wohl taub stellen. Hellhörig wird es dagegen bei Almklausis „Mama Lauda“, die übrigens Elisabeth heißt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany