Donauwoerther Zeitung

Streit weckt den Affen im Kopf

Pur-Sänger Hartmut Engler ist Buddhist und erklärt, warum er süchtig ist nach Harmonie – und Menschen bedauert, die hassen müssen

- Interview: Olaf Neumann

In „Alles was noch kommt“halten Sie Rückschau auf Ihr Leben. Was gelingt Ihnen heute besser? Hartmut Engler: Das Lampenfieb­er ist erträglich­er geworden. Meditation hilft mir da sehr. Ich lese viel über buddhistis­che Philosophi­e. Der spirituell­e Geist, der sich in mir breitMacht, ist in die Texte mit eingefloss­en. Zudem habe ich mir als Klangfarbe eine Sitar gewünscht. Als junger Mensch bin ich aus der katholisch­en Kirche ausgetrete­n, weil ich mich mit dieser Institutio­n nicht voll identifizi­eren konnte. Mir hat dann aber eine gewisse Spirituali­tät gefehlt. Über das Buch „Das weise Herz“von Jack Kornfield habe ich eine andere Denkweise entdeckt, die mir das Leben leichter macht. Wir sitzen jetzt gerade hier, reden ganz entspannt und ich muss nicht an übermorgen denken. Die Achtsamkei­t für das, wo wir gerade sind und was uns umgibt, geht uns Menschen verloren durch unsere permanente Planerei.

Sie vermieten Ihr Elternhaus an syrische Flüchtling­e. Wollen Sie damit ein Zeichen setzen? Engler: Ich fand das richtig, weil meine Eltern auch Heimatvert­riebene waren. Der Gedanke, ein Haus, das Flüchtling­e gebaut haben, an andere Flüchtling­e zu vermieten, ist sehr tröstlich. Zu Hause gab es ein altes Bild, das ich meiner Mutter mitgebrach­t hatte. Darauf stand: „Erst wenn du in der Fremde bist, weißt du, wie schön die Heimat ist.“Irgendwann fragten die Syrer meine Schwester, die sich um unser Elternhaus kümmert, per WhatsApp, ob die Miete bei ihr eingegange­n sei. Und als Profil hatten sie das Bild mit dem Spruch genommen. Da kamen meiner Schwester und mir die Tränen.

Welche Leidensges­chichte haben diese Syrer?

Engler: Sie kommen aus einem kleinen Dorf, das komplett zerbombt wurde. Da steht kein Haus mehr. Ein Bruder ist Arzt, einer Apotheker und einer Student. Das sind ganz feine Leute. Zuerst dachte ich, in solch einem konservati­ven Dorf gibt es vielleicht Anfeindung­en, aber die Nachbarsch­aft hilft ihnen sogar. So kann es auch gehen. Kippt die Stimmung der Bevölkerun­g gegenüber Flüchtling­en gerade? Engler: Das Perverse ist, da, wo kaum Flüchtling­e sind, wo der Ausländera­nteil am geringsten ist, da wächst die Fremdenfei­ndlichkeit. In anderen Teilen des Landes, wo Toleranz und Offenheit herrscht, werden sie eigentlich gut integriert. In meinem Heimatort Bietigheim-Bissingen gibt es natürlich auch Flüchtling­e. Ich habe noch nicht gehört, dass das Leben in Bietigheim unsicherer geworden wäre.

Muss man als Künstler Stellung beziehen in einer unruhigen Zeit?

Engler: Ich beziehe als Mensch Stellung. Weil mir viele zuhören, überlege ich mir genau, wie ich mich äußere. Und ich muss es aushalten, dass ich etwas zurückkrie­ge. Ich kann auf einem Album zwölf Liebeslied­er singen, dann entziehe ich mich jeder Diskussion und nehme auch nicht an der sozialen Veränderun­g teil. Oder ich bin – wie bei Pur üblich – offen für alle möglichen Themen.

Legen Sie heute mehr Wert auf Texte? Engler: Ich war schon immer sehr sorgfältig, das sind ja keine Schnellsch­üsse. Als ich um meinen Vater getrauert habe, schrieb ich „Walzer für dich“, um mir noch einmal klar zu machen, was da passiert ist. Beim letzten Album habe ich mir das Leben meiner Mutter, die damals 90 wurde, noch einmal angeschaut. Als sie dann starb, war ich mit mir im Reinen. Und in „Winter 59“fragte ich mich, warum ich so bin, wie ich bin. Ich habe festgestel­lt, wenn mein Bruder nicht nach fünf Monaten abgegangen wäre, weil meine Mama beim Hausbau zu kräftig zupackte, wäre die Familienpl­anung 1959 abgeschlos­sen gewesen. Stattdesse­n bin ich auf die Welt gekommen. In welche Lebenssitu­ation wurden Sie hineingebo­ren?

Engler: Als Nachzügler wurde ich verhätsche­lt, aber ich musste wirklich alle happy machen. Meine Eltern haben sich viel gestritten, und ich war der Schlichter, weil ich ein lieber kleiner Kerl war. Man hat mir die Last auferlegt, für Harmonie zu sorgen. Das hat mich zu einem harmoniesü­chtigen Menschen gemacht. Ich gehe keiner Konfrontat­ion aus dem Weg, aber ich ertrage es bis heute ganz schwer, mich von jemandem zu trennen, mit dem ich nicht im Reinen bin. Das verursacht bei mir wiederum Affen im Kopf, die mich nicht einschlafe­n lassen. Das ist ein Bild aus der buddhistis­chen Philosophi­e. Ich muss mich mit dem eigenen Atem und Herzschlag befassen, um die Affen ruhig zu kriegen.

Warum gehen Menschen Hetzern und Populisten so leicht auf den Leim? Engler: In meinem Umfeld kann ich es nicht nachvollzi­ehen. Ich lebe recht idyllisch in der 40 000-Einwohner-Stadt Bietigheim-Bissingen. Auch wir haben AfD-Wähler, was ich nicht begreifen kann. Wir haben quasi Vollbeschä­ftigung und die Flüchtling­e bereiten wenig Probleme. Ich bin übrigens auch ein Flüchtling­skind. Ich habe durchaus Sorge, dass es noch mehr werden, die so verquer denken, weil sie falsch informiert sind. Das eigentlich Schlimme an der AfD sind nicht deren Inhalte, sondern sie macht den Menschen Angst vor Dingen, vor denen man überhaupt keine Angst haben muss. Ich hoffe immer noch, dass es sich irgendwann verläuft.

Woher kommt Ihr Optimismus? Engler: Ich bin grundsätzl­ich in allen Lebenslage­n pessimisti­sch, weil ich mich richtig darüber freuen will, wenn es dann doch nicht so schlimm kommt, wie ich es befürchtet habe. Es ist ein Zweckpessi­mismus. Wenn bei Bandsitzun­gen beschlosse­n wird, wie groß die Hallen bei einer Tournee sein sollen, bin ich immer derjenige, der sagt: „Ob wir das noch hinkriegen?“Und über ein „Ausverkauf­t“freue ich mich immer am meisten. Fazit: Ich bin zwar ein Pessimist, aber ein hoffnungsf­roher.

„Zu Ende träumen“erzählt von der Kraft von Träumen. Wird es je eine Welt ohne Hass geben?

Engler: Nein. Buddhistis­ch betrachtet gehört das Leid zum Leben. Und ich betrachte den Hass als einen Teil des Leides. Aber man kann zumindest sich selbst so weit bringen, dass man an diesem Gefühl nicht teilnimmt. Ich empfinde sehr wenig Hass in meinem Leben. Wenn ich eine Zeit lang Wut habe, dann ist das dem gesunden Selbsterha­ltungstrie­b geschuldet. Etwa, weil mich jemand betrogen hat oder ich verlassen worden bin. Leute, die hassen oder hassen müssen, haben ein ganz schweres Los.

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 ?? Fotos: Sebastian Gollnow, dpa ?? Seine Karriere Hartmus Engler (*1961 in Großingers­heim) wur de in den 90ern mit der Band Pur zu einem der größten deutschen Rock stars. Die Band polari siert bis heute: Kritiker werfen ihr biedere Texte und konvention­elle Me lodien vor, aber kaum je mand verkaufte in den vergangene­n 30 Jahren so viele CDs. Nun ist das neue Album „Zwischen den Welten“erschienen.
Fotos: Sebastian Gollnow, dpa Seine Karriere Hartmus Engler (*1961 in Großingers­heim) wur de in den 90ern mit der Band Pur zu einem der größten deutschen Rock stars. Die Band polari siert bis heute: Kritiker werfen ihr biedere Texte und konvention­elle Me lodien vor, aber kaum je mand verkaufte in den vergangene­n 30 Jahren so viele CDs. Nun ist das neue Album „Zwischen den Welten“erschienen.

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