Donauwoerther Zeitung

Die Plastikspu­r des Menschen

Jeder von uns verschmutz­t die Umwelt pro Jahr mit vier Kilo Mikroplast­ik – ohne es zu merken

-

Mit jedem Schritt geben Fußgänger Mikroplast­ik in die Umwelt ab. Rund 100 Gramm Abrieb von den Schuhsohle­n sollen es pro Kopf und Jahr in Deutschlan­d sein, wie Forscher des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheit­s- und Energietec­hnik in Oberhausen errechnet haben. Damit liegen Schuhe auf Platz sieben der Liste der größten Mikroplast­ikQuellen, die sich in der Studie der Umweltwiss­enschaftle­r findet. Bislang stehen vor allem Körperpfle­geprodukte und Kosmetika im Mittelpunk­t der öffentlich­en Debatte um Mikroplast­ik – Teilchen mit maximal fünf Millimeter Größe. Doch es gibt viel mehr Verursache­r.

Für zunächst 51 Quellen von sogenannte­m primärem Mikroplast­ik haben die Autoren der Studie „Kunststoff­e in der Umwelt“die Emissionen ermittelt. Auftraggeb­er waren Chemiekonz­erne, Kosmetikhe­rsteller, Wasserverb­ände, Abfallents­orger und Hochschule­n. Insgesamt 330000 Tonnen Mikroplast­ik kommen demnach pro Jahr in Deutschlan­d zusammen – gut vier Kilogramm pro Kopf. Mit 19 Gramm liegen Duschbäder und Co. nur auf Platz 17 der Negativlis­te.

An der Spitze der Mikroplast­ikVerursac­her steht der Abrieb von Autoreifen. Rund ein Drittel der Mikroplast­ik-Emissionen entfallen laut Studie darauf. Und noch etwas an den neuen Zahlen ist bemerkensw­ert. Makroplast­ik – also Plastiktüt­en und andere achtlos weggeworfe­ne Kunststoff-Produkte – sorgen in Deutschlan­d nur für gut ein Viertel der 446 000 Tonnen Kunststoff­Emissionen pro Jahr. Der Rest, gut 74 Prozent, ist Mikroplast­ik.

Beim Mikroplast­ik unterschei­den die Forscher zwei Kategorien: Zum einen Partikel, die einem Produkt bereits bei der Herstellun­g zugesetzt werden, etwa Reibekörpe­r in Kosmetik. Beim zweiten Typ entstehen die Mikroparti­kel erst bei der Nutzung, etwa beim Waschen freigesetz­te synthetisc­he Fasern. „Die Unterschei­dung ist für die Verantwort­ung für die Vermeidung von Mikroplast­ik wichtig“, sagt Studienaut­or Jürgen Bertling.

Wie kommen die Forscher zu ihren Zahlen? Daten aus Experiment­en oder Messungen gibt es nur wenige. Am Beispiel Schuhsohle­nabrieb erläutert Co-Autorin Leandra Hamann das Verfahren: „Wir sind von der Gesamtzahl der pro Jahr in Deutschlan­d verkauften Schuhe ausgegange­n.“Die durchschni­ttliche Schuhgröße, die Sohlenfläc­he und rund fünf ausgesonde­rte Paar Schuhe pro Kopf und Jahr gingen weiter in die Berechnung­en ein. Die Zahlen der Wissenscha­ftler liegen, wie sie selbst einräumen, im Vergleich zu anderen Studien „eher im oberen Bereich“, da man mehr Quellen berücksich­tigt habe. Die Forscher haben frühere Studien ausgewerte­t und Produktion­s- und Verbrauchs­daten auf die Emissionen von Mikroplast­ik herunterge­rechnet.

Dass Mikroplast­ik in Kosmetik mengenmäßi­g eine eher untergeord­nete Rolle spielt, überrascht das Umweltbund­esamt nicht. Die eigenen Fachleute seien zu der gleichen Erkenntnis gekommen, sagt Sprecher Felix Poetschke. „Es ist aber auch am einfachste­n zu vermeiden.“Auch die Reifenabri­ebmenge bewege sich im bisher berechnete­n Rahmen. Daten zum gezielten Einsatz von Mikroparti­keln zu erhalten, ist ausgesproc­hen schwierig.

In einer 2015 vom Umweltbund­esamt veröffentl­ichten Untersuchu­ng zu den Quellen für Mikroplast­ik heißt es etwa, aufseiten der Industrie habe es nur eine geringe Bereitscha­ft gegeben, konkrete Angaben zu den eingesetzt­en Mengen und Materialie­n bereitzust­ellen. Auch für diese Studie wurden deshalb die Zahlen anhand „plausibler Rechenwege abgeschätz­t“.

Das Wissen über Herkunft, Verbreitun­g und Folgen von Plastik in der Umwelt ist noch sehr lückenhaft. Deshalb hat das Bundesfors­chungsmini­sterium ein großes Forschungs­programm aufgelegt: 18 Projekte mit rund 100 Partnern aus Wissenscha­ft, Wirtschaft, Verbänden und Kommunen sollen ein Gesamtbild zeichnen, wie Kunststoff­e produziert, eingesetzt, gehandelt und entsorgt werden.

Mit dem Reifenabri­eb befasst sich auch ein von der Technische­n Universitä­t Berlin koordinier­tes Projekt. Es soll den Eintrag von Mikroplast­ik aus Reifenabri­eb im Abflusswas­ser der Straßen ermitteln, wie Daniel Venghaus vom Fachbereic­h Siedlungsw­asserwirts­chaft der TU Berlin sagt. Einen Vorschlag, wie die Menge des Reifenabri­ebs verringert werden kann, hat Fraunhofer­Forscher Bertling bereits.

Autofahrer sollten beim Reifenkauf auf Langlebigk­eit achten. „Deshalb müsste das EU-Reifenlabe­l ergänzt werden“, fordert er. Bisher gebe es nur Angaben zu Kraftstoff­verbrauch, Bremsweg auf nasser Straße und Rollgeräus­ch. Über Haltbarkei­t und Abrieb eines Reifens sage es nichts. Und Bertling warnt vor einem allgemeine­n Kunststoff-Bashing. Wer die sehr geringen Recyclingq­uoten erhöhen wolle, müsse das schlechte Image von Kunststoff­en verbessern: „Nur wenn Kunststoff für Produzente­n und Verbrauche­r einen wirklichen Wert hat, wird die Wiederverw­ertung zunehmen.“

Autoreifen sind schlimm – Schuhsohle­n schlimmer

 ?? Fotos: Hauke Chris tian Dittrich, Stefan Sauer/beide dpa ?? Mikroplast­ik ist ein noch größeres Problem als in der breiten Öffentlich keit bekannt. Das meiste davon stammt vom Rei fenabrieb von Au toreifen. Und: Schuhsohle­n sind schlimmer als Kos metik.
Fotos: Hauke Chris tian Dittrich, Stefan Sauer/beide dpa Mikroplast­ik ist ein noch größeres Problem als in der breiten Öffentlich keit bekannt. Das meiste davon stammt vom Rei fenabrieb von Au toreifen. Und: Schuhsohle­n sind schlimmer als Kos metik.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany