Was trägt der moderne Wiesn-Besucher von heute?
Tradition In München beginnt das Oktoberfest, zu dem wieder mehrere Millionen Gäste erwartet werden. Viele davon kommen in Dirndl oder Lederhose. Die Experten der Firma Lechtaler in Genderkingen erklären die aktuellen Trends – und den Aufschwung, den die
Pünktlich um 12 Uhr wird am heutigen Samstag Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter – übrigens ein gebürtiger Rainer – das größte Volksfest der Welt eröffnen. „O’zapft is“, so lautet der traditionelle Ruf nach dem erfolgreichen Anzapfen, das wieder im Schottenhammel-Festzelt stattfindet. Etwas mehr als sechs Millionen Besucher strömten im vergangenen Jahr zum Oktoberfest, viel weniger dürften es auch heuer nicht werden. Und die meisten von ihnen sind in Dirndl oder Lederhosen unterwegs.
Die Tracht hat in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung erfahren. Das bestätigt Petra Veh von der Firma Lechtaler in Genderkingen. Das Geschäft hat sich vor über 40 Jahren auf den Verkauf von Trachtenmode spezialisiert. „Es ist wieder absolut salonfähig, Tracht zu tragen. Das finde ich auch gut, wir leben ja schließlich in Bayern“, sagt Veh, die an Dirndl und Lederhose besonders die Kombination aus „lässig und doch elegant“schätzt.
Diesen regelrechten TrachtenBoom gebe es seit etwa zehn Jahren. Vor allem junge Leute würden kaum mehr in anderer Kleidung in ein Bierzelt gehen. Das liegt laut Veh aber auch daran, dass sich die Feste an sich gewandelt hätten. Im Gegensatz zu den einstigen Blasund Volksmusikzeiten werden dort heute moderne Lieder gespielt, bei denen viele Gäste mitsingen können. Dass Künstler wie Andreas Gabalier oder Voxxclub in Lederhosen auf der Bühne stehen, trage zusätzlich zur Beliebtheit der Traditionsmode bei.
Wer als Mann in den kommenden zwei Wochen aufs Oktoberfest geht, sollte auf eine kurze Lederhose zurückgreifen, sagt Veh. „Mit Gürtel statt Träger“, das sei der Trend. Praktisch „ein Muss“sei dazu eine Weste. Von den Farben sei vieles möglich, wobei Grau- und Blautöne gerade sehr angesagt seien. Bei den Hemden gehe man weg von größeren Karos. Veh weiß: „Alles wird feiner, wieder in Richtung edel. Das gilt auch für die Schnitte, die stärker tailliert sind.“
Bei den Frauen gehe der Trend zurück zum Traditionellen, zum Ursprünglichen. „In ist der RetroStil: hochgeschlossene Dirndl mit Spitzblusen. Man kann sie aber auch ohne Bluse tragen.“Die Knie seien oft wieder bedeckt. Auch Röcke mit Bluse oder Mieder seien im Kommen – das Ganze in gedeckten Farben und Mustern. „Diese extremen Mini-Dirndl sind nicht mehr so gefragt. Da hat man es phasenweise vielleicht etwas übertrieben, wes- halb es nun wieder eine Rückbesinnung gibt“, sagt die Expertin.
Immer wichtiger werde auch die persönliche Beratung. „Die Individualität nimmt zu. Dass man mal schnell ein Dirndl für 100 Euro kauft, das gibt es fast nicht mehr“, berichtet Lechtaler-Chef Jens Mair. Die Kunden verbringen oft mehrere Stunden in seinem Geschäft, das auf rund 800 Quadratmetern mehr als 50000 Einzelteile bietet. Im Lagerverkauf gibt es weitere 10000. Auswählen kann man unter 40 verschiedenen Herstellern. An Samstagen sind bis zu 25 Mitarbeiter im Laden unterwegs, um den Ansturm bewältigen zu können. Die Kunden kämen bis aus dem Raum Aalen/Bopfingen, aus Heidenheim oder Ulm und auch aus Augsburg und München. „In Stoßzeiten reichen unsere 120 Parkplätze nicht aus“, sagt Mair. Seine klare Meinung: „Tracht muss passen. Dazu muss manchmal eben viel anprobiert werden, das braucht seine Zeit. Und trotzdem wird bei uns jedes zweite Dirndl noch geändert.“Das übernimmt die hauseigene Schneiderei.
Jetzt, zum Oktoberfest, gehe es neben den Neukäufen bei vielen Kunden darum, das bestehende Outfit zu perfektionieren. „Da sucht man die i-Tüpfelchen. Man kauft sich ja nicht jedes Jahr eine neue Lederhose. Aber mit einem neuen Hemd oder einer Weste hat man einen ganz anderen Look“, betont der Inhaber. Er selbst geht übrigens nicht auf die Wiesn. Er sei zwar früher einige Mal dort gewesen, „aber heute tue ich mir den Stress nicht mehr an“.
Viele der Lechtaler-Kunden dürften dagegen das Oktoberfest besuchen. „Wir reden ja mit den Leuten, für welchen Anlass sie einkaufen“, verrät Petra Veh. Die Wiesn ist aber längst nicht die einzige Veranstaltung, vor der die Kunden in Scharen nach Genderkingen kommen. Plärrer, Barthelmarkt, Brauereifest in Baar, Festwoche in Thierhaupten, die Starkbierfeste in der Region – „vor diesen Terminen herrscht bei uns ebenfalls Hochbetrieb. Da machen wir sogar mehr Umsatz als im September“, sagt Mair.
Vom Oktoberfestgeschäft alleine lebe man bei Lechtaler längst nicht mehr. Dennoch gehen an einem Wiesn-Wochenende bis zu 2500 Teile über die Ladentheke in Genderkingen. Auch bei Lechtaler spürt man die Konkurrenz durch das Internet. Die verkauften Stückzahlen würden weniger, sagt Mair. Dafür setzten seine Kunden mittlerweile eindeutig mehr auf hochwertige Ware.
„Viele junge Männer, der einmal mit einem Set aus Hose, Hemd und Schuhen für 219 Euro angefangen haben, kaufen heute eine Lederhose allein für 300 Euro“, bestätigt Veh. Als Material dafür werde Leder von der Ziege oder vom Wildbock verwendet. Wer ein handbesticktes Exemplar aus Hirschleder möchte, ist mit rund 1700 Euro dabei. „So eine kauft man sich dann aber wohl nur einmal im Leben.“
Abseits von Großveranstaltungen wie dem Münchner Oktoberfest haben sich auch Hochzeiten zu einem wichtigen Faktor entwickelt. „Das hat sehr stark zugenommen“, weiß Petra Veh. Dabei sei neben den Eheleuten manchmal auch die komplette Gesellschaft in Tracht unterwegs. Auch bei anderen Familienfeiern wie runden Geburtstagen, Kommunionen, Firmungen oder goldenen Hochzeiten sehe man vermehrt Gäste in Dirndl oder Lederhose.
Letztere werde mittlerweile auch gerne mit einem T-Shirt kombiniert. „So kann man zum Beispiel wunderbar in den Biergarten gehen“, sagt Veh. Ihre Devise bei der Beratung ist Ehrlichkeit: „Ich sage den Kunden schon klar, was ich über ihre Auswahl denke. Die Tracht muss ja schließlich auch zum jeweiligen Typ passen.“