Donauwoerther Zeitung

Der Feminismus ist noch lange nicht tot

Vor einem Jahr hat #MeToo einen Sturm entfacht. Aus gutem Grund hält die Debatte bis heute an. Denn es geht um die Grenzen des Anstands

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Das Requiem war schon angestimmt, das Totenglöck­chen läutete nur noch leise. Der Feminismus, so war in den Grabreden zu hören, sei mausetot. Verendet am eigenen Erfolg. Und irgendwie schwang da auch eine gewisse Erleichter­ung mit. Diese leidigen Geschlecht­erkämpfe waren vielen anstrengen­d geworden. Als zickig galten Frauen, die noch immer über männliche Dominanz lamentiert­en. Ewiggestri­ge Männerhass­erinnen eben. „Emanze“war zum Kampfbegri­ff geworden. Wer sollte schon noch für Gleichbere­chtigung einstehen wollen, wo den jungen Frauen doch die Welt offen zu stehen schien? Welch ein Trugschlus­s! Aus dem lauen Lüftchen, das damals noch wehte, ist innerhalb eines Jahres ein veritabler Sturm geworden. Die Kampagne unter dem Motto #MeToo hat das Verhältnis zwischen Mann und Frau gehörig durcheinan­dergewirbe­lt. Me Too – Ich auch, zwei Wörter, die für etwas Großes stehen. Und das aus gutem Grund. Denn die gesellscha­ftlichen Strukturen sind noch immer von Männern geprägt – für nichts anderes sind sexuelle Übergriffe und Alltagssex­ismus ein Symptom. Nicht der dumme Spruch, der anzügliche Blick, der Griff ans Knie sind das eigentlich­e Problem, sondern das, was dahinterst­eht: Der Mann bestimmt die Regeln, die Frau hat sich zu fügen. Es geht um Macht und Ohnmacht. Und will Frau ganz vorne mitspielen, kratzt sie besser nicht an ungeschrie­benen Gesetzen, sondern fügt sich ein. Die Netzwerke sind dicht gespannt, die Rollenbild­er festgezurr­t. MeToo mag die Welt nicht aus den Angeln gehoben haben, aber die Bewegung hat Probleme sichtbar gemacht. Man mag die #MeToo-Debatte für hysterisch halten. Man mag an der Lust, Männer ohne juristisch­e Grundlage an den Pranger zu stellen, zweifeln. Man mag sich sogar über das jahrelange Schweigen vieler Frauen wundern. Was man nicht darf, ist, der Bewegung ihre Berechtigu­ng absprechen. Ja, der Trommelwir­bel ist laut. Aber endlich hört die Welt hin. Und sie erkennt: Der Feminismus ist weder überflüssi­g noch tot, er wird so dringend gebraucht wie eh und je. Und das nicht nur in Hollywood. Es ist Zeit, dass wir über unser Miteinande­r nachdenken und die Geschlecht­erordnung neu aushandeln. Es mag anstrengen­d sein, es mag bisweilen auch die Schmerzund Nervgrenze überschrei­ten. Aber eine Gesellscha­ft, die sich nicht streiten kann, ist zum Stillstand verdammt. Der Weg ist übrigens ganz leicht: Respekt lautet das Zauberwort. Nicht mehr. Nicht weniger. Damit sind auch jene Fragen beantworte­t, in denen die Sorge vorgetrage­n wurde, dass der Flirt und die Leichtigke­it im Umgang der Geschlecht­er verloren gingen. Nein, meine Herren: Ein Flirt geschieht auf Augenhöhe und hat nicht zum Ziel, das Gegenüber zu erniedrige­n. Der sogenannte Altherrenw­itz aber ist bisweilen eben durchaus ein Mittel, um Frauen klarzumach­en, dass Männer sich ihre Privilegie­n nicht wegschnapp­en lassen werden. Er schmiedet Bündnisse, weil Frauen und Männer in ihm in zwei verschiede­nen Ligen spielen. Er festigt Hierarchie­n. Diesen Alltagssex­ismus kann kein Paragraf dieser Welt für uns unterbinde­n, das müssen wir selbst tun, indem wir einander klarmachen, wo die Grenzen des Hinnehmbar­en liegen. So ist #MeToo im Grunde viel mehr als nur ein feministis­cher Aufschrei. Es geht nicht um Männer und Frauen. Es geht nicht darum, die einen zum Problemfal­l zu stempeln, damit die anderen heller strahlen können. Es geht auch nicht darum, dass Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können. Es geht um Respekt und Anstand.

Es geht nicht um Mann und Frau, es geht um Respekt

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