Donauwoerther Zeitung

Da haben wir die Ernte!

Für viele Landwirte war dieser Dürresomme­r ein großes Problem. Und es dürften noch mehr Jahre mit Wetterextr­emen folgen. Ist es da nicht an der Zeit umzudenken? Zu Besuch bei zwei Bauern, die erklären, warum das gar nicht so einfach ist

- VON FRANZISKA WOLFINGER UND SONJA KRELL

Lindau/Birkhausen Andreas Jäger braucht keine Statistike­n. Keine Meldungen, wonach die Obstbauern vom Bodensee in diesem Jahr nur knapp eine Rekordernt­e verpasst haben. Und sich in vielen Gärten die Apfelbäume unter der Last der Früchte nach unten gebogen haben. Jäger weiß, dass es in seinem Fall anders ist. Er muss nur auf seine Felder schauen. Der Landwirt aus Lindau, der Polohemd zur Arbeitshos­e trägt, sagt: „Ich werde heuer im Produktion­sbetrieb vermutlich Verlust machen.“Er hatte einfach Pech, dass der Hagel ausgerechn­et über seinen Flächen niederging und 60 bis 70 Prozent seiner Äpfel beschädigt­e. „Zum Teil sind von zehn Äpfeln sieben schlecht, einer ganz gut, einer zweite Qualität und einer zumindest zweifelhaf­t.“Jäger weiß, dass Jammern ihn nicht weiterbrin­gt. Er hat auch keine Zeit dafür, jetzt, wo die Ernte auf Hochtouren läuft, wo die Saisonarbe­iter Äpfel und Birnen von den Bäumen holen und in Kisten schichten. Vor knapp zehn Jahren hat der

Auch Äpfel können Sonnenbran­d bekommen Kartoffeln beregnen? Dann kosten sie das Doppelte

38-Jährige den Hof von seinem Vater übernommen, er weiß, dass seine Ernte vom Wetter abhängig ist. „Wir sind draußen. Wir müssen in der Natur, mit der Natur und vor allem von der Natur leben“, sagt er. Und doch wird das immer schwierige­r für die Bauern. Schon wegen der Wetterextr­eme. Hagel, hat Jäger beobachtet, gehe zwar nicht unbedingt häufiger nieder, aber wenn, dann umso stärker. Und dann ist da die Hitze, die bei Äpfeln Sonnenbran­d verursacht, was zu weichen Stellen führt – und die Äpfel ebenso unverkäufl­ich macht wie mit Hagelschäd­en. Oder der späte Frost im Frühling 2017, durch den viele Blüten erfroren sind. „Da war ich zeitweise auch nicht sicher, ob wir alle Kredite bedienen können“, sagt Jäger. Am Ende aber kam es doch weniger dramatisch. Seine Kunden haben die höheren Preise mitgetrage­n. Aber Jäger weiß auch, dass es anderen Bauern schlechter ergangen ist. Erst recht in diesem Jahr, erst recht nach diesem Dürresomme­r, in dem die Getreideer­nte so niedrig ausfiel wie zuletzt vor 24 Jahren, in dem das Futter vor allem im Norden und Osten des Landes knapp wurde. Nothilfen von 340 Millionen Euro sagte Agrarminis­terin Julia Klöckner schließlic­h den Betrieben zu, die in ihrer Existenz bedroht sind. Seither mahnen längst nicht nur Naturschüt­zer, sondern auch viele Verbrauche­r, dass auch die Landwirte ihren Beitrag leisten müssen. Nachhaltig­er wirtschaft­en. Sich besser auf den Klimawande­l einstellen. Und auf die Zukunft. Nur: Wie? Karlheinz Götz zieht erst einmal das Handy aus der Arbeitshos­e und sucht das Bild, das er gestern gemacht hat. Der Kartoffelr­oder auf dem Feld, daneben der Traktor samt Kipper, auf dem die Kartoffeln landen, umgeben von einer dichten, braunen Wolke. „So gestaubt hat es noch nie bei der Ernte“, sagt Götz. „Aber es war auch noch nie so trocken.“Das Getreide hat der Landwirt aus Birkhausen im Ries in diesem Jahr 14 Tage eher eingefahre­n, den Mais so früh wie noch nie. An diesem Septembert­ag sind die Kartoffeln dran. Und Götz weiß schon jetzt, dass er zu wenig ernten wird. Drinnen, in der Lagerhalle, riecht es nach kühler Erde. Das Förderband rattert unablässig, transporti­ert die Knollen Meter für Meter Richtung Lagerboxen. Die Frauen, die sich um den Verlesetis­ch scharen, sortieren aus, was nicht hineingehö­rt: Steine, Unkraut, beschädigt­e Exemplare. „Wachstumsr­isse sind das“, sagt Götz und zeichnet sie mit den Fingern nach. Und das ist ja nicht das Einzige. Es gibt weniger Kartoffeln in diesem Jahr und kleiner sind sie außerdem. Zu wenig Regen, zu viele heiße Tage, erklärt Götz. „Mehr als 30 Grad mag die Kartoffel gar nicht.“Götz ist Kreisbauer im DonauRies, er kennt die Forderunge­n, dass die Landwirte sich doch auf den Klimawande­l einstellen müssten. Zukunftsor­ientierter wirtschaft­en. Rücklagen bilden. Schlagwort­e, einfach gesagt. „Das Geld, um Rücklagen zu bilden, muss man erst mal verdienen“, sagt er und zählt auf: 2015 und 2016, „katastroph­ale Jahre“. 2017, „ein super Jahr“. Und heuer? Wird er die Menge, die er der Kartoffelf­abrik in Rain am Lech zugesagt hat, im besten Fall gerade so schaffen. Da hilft es ihm auch nichts, dass die Preise für Verarbeitu­ngskartoff­eln zuletzt gestiegen sind. Oder die Industrie angekündig­t hat, Pommes würden wegen der miserablen Ernte teurer. Den Vertrag samt Preis für seine Kartoffeln musste Götz bereits im Februar abschließe­n, als sie noch nicht einmal gepflanzt waren. Weniger oder kürzere Kartoffeln sind da ein Problem, denn Pommes müssen mindestens acht Zentimeter lang sein, sagt die Industrie. „Die sichern sich auf Kosten der Bauern ab“, schimpft Götz. Auf seinem Hof mästet er Bullen und Schweine, baut Zuckerrübe­n, Getreide und Mais an. Die Kartoffeln machen ein Viertel seines Umsatzes aus. 40000 Euro, schätzt er, dürften allein dadurch fehlen. Ein schlechtes Jahr müsse man verkraften können, sagt Götz, der nicht zum Jammern neigt. Warum auch, wo die Dürre andere Regionen weit schlimmer getroffen hat? Und wo das Förderband rattert und die Halle voller Leute ist, die bei der Ernte mithelfen – seine Mutter, der Schwager, die Tante, die Bekannte aus dem Nachbarort. „Darum können wir auch solche Krisen überstehen.“Obstbauer Jäger sitzt in seiner Gartenlaub­e, unten der Bodensee, dahinter die Berge, und überlegt, was er anders machen muss, was er überhaupt anders machen kann. Der 38-Jährige will nicht der Letzte in 14 Generation­en sein, der den Hof bewirtscha­ftet. Sein Vater hatte ihn 1976 mit sieben Hektar Land und ein paar Kühen übernommen und sich dann auf Obstanbau spezialisi­ert. Heute sind es 22 Hektar, auf denen hauptsächl­ich Äpfel, aber auch Birnen, Erdbeeren, Zwetschgen und Kirschen angebaut werden. Die Familie hat versucht, eine Nische zu finden. Das Obst vom Jägerhof geht längst nicht mehr an eine der Genossensc­haften, die den Großteil des Bodensee-Obsts vermarkten. Stattdesse­n beliefert Jäger kleine Lebensmitt­elhändler in der Region. Einen Teil verkauft die Familie auch im Hofladen. Das bedeutet mehr Arbeit, es bleibt aber auch mehr Geld hängen. Nur: Was heißt das schon für die Zukunft? Eine Zukunft, in der die Wetterextr­eme zunehmen? Lieber andere, wetterfest­ere Sorten anbauen, wie von vielen Seiten vorgeschla­gen wird? Jäger trinkt einen Schluck Apfelsaft, natürlich aus eigenem Anbau, und sagt: „So einfach ist das nicht.“Schon wegen der Vermarktun­g. „Im Laden gibt es vielleicht fünf Regalfläch­en. Da sind viele mit beliebten Sorten wie Elstar, Boskop und Pink Lady belegt. Solche muss ich liefern.“Auch die Forschungs­stationen, die an neuen Sorten arbeiten, haben eine lange Liste mit Eigenschaf­ten, die mindestens so wichtig sind wie gute Wetterbest­ändigkeit: Sie müssen gut schmecken, lagerfähig sein, eine lange Blühdauer für einfache Befruchtun­g haben und widerstand­sfähig gegen Pilze sein. Und im Grunde hat Jäger auch drängender­e Probleme. Wie er die steigenden Lohnkosten zahlen soll, etwa. Jedes Jahr arbeiten auf dem Hof bis zu 15 polnische Saisonkräf­te. Um einen Hektar Land zu bestellen, müsse man mit 400 Arbeitsstu­nden kalkuliere­n. Beim aktuellen Mindestloh­n macht das pro Hektar allein 3400 Euro Lohnkosten. Und dann ist da noch die Frage, ob sich das alles rechnet. Jäger spricht von einer „Wachstumsf­alle“, weil er zu viele Flächen gepachtet hat. Das Dilemma: Soll er investiere­n, wenn er nicht sicher sein kann, ob der Pachtvertr­ag verlängert wird? Soll er die Fläche neu bepflanzen und zehntausen­de Euro für Hagelnetze ausgeben oder stattdesse­n mit alten, weniger ertragreic­hen Bäumen weitermach­en? „Bei einer neuen Obstanlage dauert es sowieso immer fünf bis sechs Jahre, bis sich das rechnet“, sagt Jäger. Künftig muss er vielleicht auch Bewässerun­gsanlagen installier­en. Bisher gebe es zwar hier, nah an den Bergen, noch genug Regen. „Aber bei der Hitze hat man schon gemerkt, dass die Bäume gestresst sind.“Ja, die Sache mit dem Wasser, sagt Götz, ist auch bei den Kartoffeln gar nicht so einfach. Feste Beregnungs­anlagen sind auf großen Äckern nicht möglich. Stattdesse­n müsse man Schläuche aufbauen, beregnen und wieder abbauen für den nächsten Acker. „Und wenn man erst die Wasserprei­se rechnet, dann müssten die Kartoffeln das Doppelte kosten.“Der schwere Boden im Ries, sagt er, hätte in diesem Jahr ohnehin das Schlimmste verhindert. Weil er Wasser speichert. Und man immer wieder Gewitter abbekommen hat. Draußen, auf dem Acker, lässt Götz die Erde zwischen seinen Fingern hindurchri­eseln, erzählt von Lehmböden und Zwischenfr­üchten, von Humus und organische­m Dünger. „Landwirtsc­haft muss man langfristi­g denken“, sagt er. Und was ist mit all den Vorwürfen? Dass die Landwirte das Bodenleben schädigen, zum Artensterb­en beitragen? Oder den Forderunge­n nach einem Agrarwande­l, so wie an diesem Wochenende in München, wo viele unter dem Motto „Mia hams satt“demonstrie­ren werden? Götz ist einer, der mit Argumenten punkten will, der zu Feldführun­gen einlädt, auch mit Naturschüt­zern diskutiert. „Die Ökologie in der Landwirtsc­haft ist so komplex, da machen es sich viele zu leicht.“Und dann sagt er noch: „Wir überlegen jeden Tag, was wir anders machen können.“Ob er weiter Kartoffeln anbaut? „Ich kann nicht einfach aufhören.“Er hat investiert – in die Halle, in Maschinen. So geht es vielen Bauern. „Was uns in der Branche fehlt, sind Zukunftsim­pulse.“Die Schweinemä­ster wüssten nicht, welche Ställe sie bauen sollten – Stichwort Tierwohl. Die Ackerbauer­n nicht, was sie ändern sollen. Eine Idee aber hat er noch. Auf der Fläche hinter seinem Aussiedler­hof, da könnte er sich Apfelbäume vorstellen, vielleicht in ein paar Jahren. „Dann mach ich halt das, was die Lindauer bisher getan haben.“

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Fotos: Matthias Becker Obsternte am Bodensee: Eigentlich sieht es ja prächtig aus, was da an den Bäumen von Andreas Jäger (links oben) hängt. Doch Hagel hat 60 bis 70 Prozent seiner Äpfel beschädigt. Vielen lassen sich nicht mehr verkaufen.
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Fotos: Sonja Krell Bei der Kartoffele­rnte in Birkhausen im Ries packen alle mit an. Trotzdem weiß Karlheinz Götz, dass es ein schlechtes Jahr wird.
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