Bittersüße Liebesgeschichte
Autorenbegegnung Johann Enderle las im Harburger Kulturherbst
Harburg Bei der traditionellen Dichterlesung des Harburger Kulturherbsts war heuer Johann Enderle zu Gast. Er lebt in Monheim, hat ein Berufsleben in der Versicherungsbranche hinter sich, zählt zu den Gründern des Donau-Rieser Autorenklubs und verwirklicht jetzt seinen Traum von der Schriftstellerei. Bei der Begrüßung in der Stadtbücherei im Strölinhaus erinnerte Claudia Müller, Kulturreferentin des Stadtrats und Vorsitzende im Arbeitskreis Kulturherbst, daran, dass genau in diesem Raum um die Jahrtausendwende die Idee für die Begründung eines alljährlichen „Kulturherbsts“entstanden sei, bei einem Treffen der Stadterneuerungsinitiative Agenda 2010.
Johann Enderle erzählt in seinem Roman „Durch den Steppensand des Lebens“die bittersüße Liebesgeschichte des Matthias Laufenburg und seiner Braut Dorothea Wegner. Beide sind sog. Donauschwaben, Rumäniendeutsche aus dem Banat an der Donau. Matthias kehrt 1951 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft in seinen Heimatort Lenauheim zurück und verlobt sich. Er wird aber im selben Jahr wie 40000 andere Menschen von der rumänischen Regierung als angeblicher Staatsfeind in den Baragan, eine trostlose, fast menschenleere Steppe am Donaudelta in Rumänien, deportiert. Ursache sind politische Auseinandersetzungen zwischen der stalintreuen rumänischen Regierung und dem Jugoslawien Titos.
Aus den Grenzgebieten zu Jugoslawien werden 40 000 angebliche Staatsfeinde, darunter auch viele Banater Schwaben, in den Baragan umgesiedelt. Matthias Laufenburg muss sich wie die andern unter extremsten Bedingungen eine neue Existenz aufbauen. Er arbeitet als Matrose auf einem kleinen Fährschiff und später auf einem Transportkahn auf der Donau, bevor ihm die Flucht in den Westen gelingt, wo er seine Verlobte wiederfinden will. Der Autor deutete bei der Lesung den sehr spannenden Handlungsverlauf nur an; durch die Episoden, die er vortrug, charakterisierte er die Hauptfiguren und einige ihrer typischen Lebenssituationen, beispielsweise die albtraumhafte Festnahme mitten in der Nacht ohne erkennbaren Anlass. Zum Abschluss trug er die heitere Episode um einen halbzahmen Pelikan auf einem Donaufährschiff vor, dem die Matrosen in nicht mehr nüchternem Zustand den Namen Thomas verleihen, nach dem Kirchenlehrer Thomas von Aquin. Kn seinen Schriften findet sich die berühmte Legende von der Pelikanmutter, die sich für ihre Jungen aufopfert. Und Thomas, der Pelikan, hilft tatsächlich bei der Rettung eines Kindes vor dem Ertrinken in der Donau.
Solche Einzelepisoden, die Lebensumstände und der politische Hintergrund sind authentisch; Enderle hat sie bei Zeitzeugen aus seiner Familie recherchiert und sich so zu seinem Werk inspirieren lassen. Er spricht ein weiches Fränkisch, führte aber in einem eigenen Gedicht das sehr spezielle „Schwäbisch“der Banater Deutschen vor. Weitere Gedichte, die er vortrug, z. B. „Melancholie“, stammten von Nikolaus Lenau, dem berühmten spätromantischen Lyriker aus dem Banat, nach dem später dessen Geburtsort Csatat in Lenauheim umbenannt wurde. Dem Autor fiel es in der intimen Atmosphäre des Strölinhauses nicht schwer, ins Gespräch mit den Zuhörern zu kommen, die ihrerseits mit dem Begriff „Donauschwaben“durchaus vertraut waren. Johann Enderle hat mit seinem Roman ein Stück Zeitgeschichte vor dem Vergessen bewahrt und dem Schicksal der im Banat lebenden Rumäniendeutschen ein literarisches Denkmal gesetzt. Man darf gespannt auf sein bereits entstehendes nächstes Werk sein.