Der Regen brachte den Tod
Mindestens zehn Menschen sterben, weil sich Wassermassen über die beliebte Urlauberinsel wälzen. Unterdessen wird Kritik an der Politik laut
Palma de Mallorca Erst am Mittwochmorgen wird das ganze Ausmaß der Regen- und Schlammkatastrophe der vorhergehenden Nacht klar: In dem Ort Sant Llorenç des Cardassar, rund 60 Kilometer östlich von Mallorcas Inselhauptstadt Palma, sieht man in den Straßen umgestürzte Autowracks. Einige sind ineinander verkeilt. Andere liegen zerbeult auf dem Dach oder auf der Seite. Schlamm bedeckt Straßen und Hausfassaden.
Alles begann am Dienstagabend, als ein heftiges Unwetter den Dorf- in Sant Llorenç in kurzer Zeit in einen reißenden Strom verwandelte. Die Wassermassen wälzten sich durch die Straßen des Ortes, in dem rund 8000 Menschen leben. Dutzende Autos wurden von den Fluten mitgerissen. Einige Fahrzeuge wurden von Sant Llorenç bis in den rund zehn Kilometer östlich liegenden Küstenort S’Illot geschwemmt.
Ein Bewohner in Sant Llorenç berichtete, wie er sein Leben rettete, als auch sein Auto von der Flutwelle erfasst wurde: „Ich konnte durch ein Fenster herausklettern.“Sein Auto sei dann flussabwärts getrieben, er selbst habe sich schließlich bis zum Ufer kämpfen können.
Binnen weniger Stunden seien rund 220 Liter Regen pro Quadratmeter über dem Inselosten niedergeprasselt, erklärte das staatliche Wetteramt nach der Katastrophe. Zu viel für den Bach Ses Planes. „Plötzlich stand alles unter Wasser“, berichtete ein Dorfbewohner. „Die Autos wurden wie Spielzeug mitgerissen.“Das Wasser drang durch Türen und Fenster in viele Häuser von Sant Llorenç ein. Viele Bewohner mussten sich in die oberen Stockwerke oder auf Dächer flüchten. Auch auf Bäumen hatten Menschen Zuflucht gesucht. Alles sei so schnell gegangen, sagte Bürgermeister Mateu Puiggrós, dass es nicht möglich gewesen sei, die Bevölkerung zu warnen.
Nach der vorläufigen Bilanz der Behörden wurden mindestens zehn Menschen in Sant Llorenç sowie in den Nachbarorten S’Illot und Artá getötet. Zwei britische Urlauber befinden sich unter den Toten. Zudem gab es zahlreiche Verletzte. Zu deutschen Opfern war noch nichts bekannt. Etliche Menschen werden noch vermisst. Die Behörden schlossen nicht aus, dass sich in mehreren Autos, die ins Meer gespült wurden, weitere Opfer befinden. Einige Menschen starben in ihren Häusern, wo sie offenbar von der schnell ansteigenden Flut überrascht worden waren. Andere wurden in ihren Fahrzeugen gefunden.
Der spanische Wetterdienst gab am Mittwoch die zweithöchste Unwetterwarnung für die Nachbarinseln Ibiza und Formentera und einen Teil von Katalonien aus, darunter auch Barcelona.
Für Mallorca bedeutet das Unwetter die schlimmste derartige Katastrophe in jüngerer Zeit. Im Jahr 2001 waren bei einem Unwetter mit orkanartigem Wind fünf Menschen gestorben und 80000 Bäume entwurzelt worden. 1989 kamen bei Überschwemmungen fünf Menschen auf Mallorca und Ibiza um.
Mehr als 400 Rettungskräfte arbeiteten am Mittwoch in der Region. Sogar Taucher waren im Einsatz. Zudem rückte eine Militäreinheit mit Spürhunden, Hubschraubern und schwerem Räumgerät an, um bei der Suche nach Vermissten zu helfen. Tennisstar Rafael Nadal bot an, die Zimmer seiner Sportzentren auf der Insel allen zur Verfübach gung zu stellen, die kein Dach mehr über dem Kopf haben. Das spanische Königshaus rief „ganz Spanien“zur Solidarität auf. Hunderte Bewohner mussten die Nacht auf Mittwoch in provisorischen Unterkünften verbringen. Einige Hotels nahmen obdachlos Gewordene auf. In Sant Llorenç und in mehreren Nachbarorten fielen zeitweise Strom- und Telefonnetz aus. Der Schaden geht in die Millionen.
Am Tag nach der Katastrophe wuchs bereits die Kritik an den Inselpolitikern, weil diese das Risiko in Sant Llorenç unterschätzt hätten. Der Chef des geografischen Instituts an der Uni in Palma sagte: „Man hat fast den Eindruck, als ob das durch den Ort führende Bachbett von einem Massenmörder gestaltet worden wäre.“In der Umgebung des Bachbettes seien planlos Häuser gebaut worden, obwohl das Überflutungsrisiko bekannt gewesen sei.
Ein Bewohner von Sant Llorenç wird vom deutschen Mallorca Magazin so zitiert: „Ich habe immer gesagt, der Sturzbach muss besser gesichert werden, aber nie ist etwas geschehen. Die Gemeinde hat lieber anderweitig investiert.“Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez, der am Mittwochnachmittag den Katastrophenort besuchte, äußerte sich entsetzt über das Ausmaß der „tragischen Überschwemmungen“und versprach schnelle Hilfe. Die Ministerpräsidentin der Baleareninseln, Francina Armengol, rief eine dreitägige Trauer aus.