Die Frage der Woche Strategisch wählen?
Politik ist im Kern die Frage, was unter den gegebenen Umständen das Beste für die Welt, das Land, die Gesellschaft ist. Wer darauf immer antworten kann: Na möglichst viel von dieser einen Partei – der kann sich selbstverständlich von jeder strategischen Überlegung verabschieden. Obwohl: Es soll ja bei der letzten Bundestagswahl treuste SPD-Anhänger gegeben haben, die anders ihr Kreuz setzten, weil sie den Genossen lieber einen Neuanfang in der Opposition wünschten.
Genauso könnte es nun bei der Landtagswahl Menschen geben, die keine SPD-Anhänger sind, ihr die Stimme aber trotzdem geben, weil sie eine weitere Verzwergung und das Ende des zweipoligen Parteiensystems nicht gut fänden. Oder, im Gegenteil: Man kann sich überlegen, FDP oder die Linke zu wählen, damit auch diese es über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen und somit ein Dreier-Bündnis zur Regierung nötig wäre – etwas völlig Neues in Bayern! Und so weiter. Letztlich sind es ja auch genau diese Richtungsentscheidungen, die praktisch alle am Wahlabend elektrisieren – darum sollten sie in der Frage des eigenen Kreuzchens auch eine Rolle spielen.
Das Fiese am strategischen Wählen ist höchstens, dass die Stimmverhältnisse ja eigentlich gewertet werden als Zustimmungsrate zum jeweiligen Programm und Personal der Parteien. Diese 1:1-Rechnung der demokratischen Repräsentation geht so natürlich nicht mehr auf. Aber die hat sich ohnehin in ein Missverständnis verwandelt. Jenes nämlich, dass „die Politiker“denken, sie müssten etwas für „die Wähler“tun, und dass „die Wähler“denken, sie verteilten ihr Kreuz nach Eigeninteresse und nähmen „die Politiker“durch ihr Kreuz dafür in die Pflicht. Nein, Politik ist die Frage, was unter den gegebenen Umständen … (siehe oben)
Wohl selten war eine Landtagswahl in Deutschland so überfrachtet mit Erwartungen wie die Bayernwahl an diesem Sonntag. Kein Mangel an großsprecherischen Prädikaten: „Historisch“, „erdrutschartig“, „einschneidend“, so heißt es, werde dieser Urnengang – noch bevor etwas passiert ist. Kann so werden. Oder eben nicht. Denn Mangel herrscht eben auch an Entschlossenheit: Über die Hälfte aller Stimmberechtigten soll bis vor kurzem noch unentschlossen gewesen sein, wem sie ihre Stimme denn geben sollen. Auf diese wabernde Mehrheit setzt darum auch die CSU, will so alle Auguren und Orakeln ein Schnippchen schlagen und aus vorhergesagten 33 Prozent doch noch eine absolute Mehrheit zaubern.
Und damit sind wir beim Problem: Es scheint zwar sehr wahrscheinlich, dass wir künftig von einer Koalition regiert werden. Aber von welcher?
Inzwischen glauben ja manche, es sei sogar eine bayerische Landesregierung ohne Beteiligung der CSU denkbar. Aber auch sonst sind so viele Farbspiele möglich, dass sich die Frage mit dem strategisch Wählen von selbst erledigt. Stichwort: ungewollte Nebenwirkungen. Wer eigentlich Partei A gut findet, aber Partei B wählt, kann ziemlich auf die Nase fallen, wenn ganz viele andere genauso denken. Denn das ist ja die Krux: Man weiß nie, wie die anderen rund neuneinhalb Millionen wirklich so abstimmen. Werfen sich am Stammtisch und bei der statistischen Umfrage ordentlich für die eine Partei ins Zeug – und machen ihr Kreuz dann heimlich doch dort, wo sie es schon immer gemacht haben. Wahlen sind auch Gewissensentscheidungen. Und da kann man sich auf Dauer nicht verbiegen. Weil für das Ergebnis, das dann rauskommt, ist man ja auch mit verantwortlich.