Donauwoerther Zeitung

Auf der Suche nach alten Obstbäumen

Projekt Im nördlichen Schwaben werden Apfel- und Birnensort­en erfasst. Bei einem Termin in Ebermergen bekommt ein Experte Hunderte von unterschie­dlichen Früchten vorgelegt. Warum die Arbeit so wichtig ist

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Harburg-Ebermergen/Landkreis Vor Hans-Thomas Bosch liegt ein halbes Dutzend roter Äpfel. Er nimmt sich einen, schau ihn an, schneidet ihn durch, beißt in einen Schnitz und blickt etwas ratlos. Vor dem Pomologen (Obstsorten­kundler) steht Ingrid Mayer aus Gansheim. Sie besitzt fünf große Apfelbäume in einem Garten an der Ussel. Im Jahr 1911 seien die Bäume gepflanzt worden, weiß die 64-Jährige, die schon als Kind an ihnen herumklett­erte. Nun wüsste sie gerne, um welche Apfelsorte es sich handelt. Die Früchte seien für einen Apfelstrud­el bestens geeignet, erzählt die Frau dem Experten. Der überlegt noch etwas und schüttelt dann den Kopf: „Ich kenne die Sorte nicht.“

Hans-Thomas Bosch muss an diesem Tag viel nachdenken und abwägen. Acht Stunden lang sitzt er praktisch ohne Unterbrech­ung in der Turnhalle in Ebermergen. Vor ihm stehen die ganze Zeit Menschen in einer Schlange und warten geduldig, bis sie an der Reihe sind. Sie kommen aus dem ganzen DonauRies-Kreis und darüber hinaus und sind einem Aufruf gefolgt.

Seit 2016 werden im nördlichen Schwaben alte Apfel- und Birnensort­en bestimmt, beschriebe­n und dokumentie­rt. Es handelt sich um ein Projekt, das aus dem EU-Programm „Leader“gefördert wird. Das Ziel: Die alten Sorten sollen erhalten werden, um die genetische Vielfalt zu sichern. Auf diese könne man in Zeiten des Klimawande­ls und anderer negativer Entwicklun­gen (Krankheite­n, Schädlinge) bei Bedarf zurückgrei­fen, erläutert Paul Buß, Fachberate­r am Landratsam­t.

Wer einen alten Obstbaum besitzt, kann sich bei der Behörde melden und mitteilen, wo dieser steht. Normalerwe­ise schauen sich dann Fachleute das Exemplar an. Weil sich aber derart viele Gartenbesi­tzer gemeldet haben, dass es unmöglich ist, alle zu besuchen, bieten die Verantwort­lichen des Projekts den Termin zur Sortenbest­immung mit Hans-Thomas Bosch an.

Das Interesse ist enorm. Viele Nordschwab­en möchten wissen,

Für die nächsten Generation­en erhalten

Früchte sie seit Generation­en genießen. Bosch schätzt, dass in Bayerisch-Schwaben etwa 1000 Apfelund Birnensort­en existieren: „Circa 100 davon sind weit verbreitet.“Rund 500 seien „selten bis sehr selten“. Die Unterschie­de sind oft minimal. „Bei 10 bis 20 Prozent der Sorten, die mir gezeigt werden, muss ich passen“, so der Pomologe. Gerade alte Sorten seien oft schwierig zu bestimmen.

Vor eine Herausford­erung stellen Bosch auch Heidrun und Heike Schiele. Die Harburgeri­nnen haben Äpfel aus ihrem Garten mitgebrach­t. Den Namen dreier Sorten kann Bosch trotz eines Blicks in seinen Laptop nicht finden. Der Obstkundle­r probiert eine der kleinen rot-gelben Früchte – und verzieht das Gesicht, weil diese eher sauer sind. „Den Baum hat unsere Oma um 1900 gepflanzt“, berichtet Heidrun Schiele.

Bosch möchte wissen, wann die Äpfel reif sind, wie lange sie gelagert werden können und wie der Baum ausschaut. Der Fachmann packt mehrere Früchte – getrennt nach Sorten – in Tüten. Er möchte sie mitnehmen und genauer prüfen.

Das gilt auch für einige Birnen, die er von einer Familie aus Ebermergen erhält. „Das ist eine großfrucht­ige Mostbirne“, ist sich Bosch sicher. Welche genau, wisse er noch nicht: „Vielleicht die Bayerische Weinbirne.“

Bemerkensw­ert seien auch die Äpfel, die ein Gartenbesi­tzer aus Maihingen im Ries mit nach Ebermergen bringt. Pojnik heiße die Sorte. Die sei Mitte des 19. Jahrhunder­ts aus Rumänien nach Deutschwel­che land gekommen – „ein sehr geschätzte­r Tafelapfel, der schmackhaf­t und lange lagerfähig ist“. Im Rahmen des Projekts habe man bislang erst drei bis vier Standorte im Donau-Ries-Kreis registrier­t.

Als echte Höhepunkte in der bisherigen Projektarb­eit gelten zwei Apfelsorte­n, die ausschließ­lich in der Region vorhanden sind – und nur noch auf einigen wenigen Bäumen wachsen: der Leitheimer Streifling im gleichnami­gen Ort und der Gewürzkalv­ill, der in Ried bei Monheim (wieder-)entdeckt wurde.

Wie groß die Sortenviel­falt ist, zeigt der Obst- und Gartenbauv­erein Ebermergen in einer Obstausste­llung in der Turnhalle. Vorsitzend­er Thomas Löw und seine Helfer haben in diesem Sommer, in dem die Ernte besonders reich ist, rund 170 Apfel- und 50 Birnensort­en zusammenge­tragen. Allein 150 davon kommen von einer Schau, die zuvor im Botanische­n Garten in München stattfand.

Löw steht voll hinter dem Projekt im nördlichen Schwaben: „Wir sind bemüht, die alten regionalen Sorten auf junge Beine zu stellen.“Soll heißen: Diese sollen wieder vermehrt und veredelt werden.

Auch Ingrid Mayer will, dass der alte Obstgarten in Gansheim weitere Generation­en erfreut. Zumindest bei drei Bäumen weiß sie dank Bosch jetzt den Namen der Sorte: Rheinische­r Bohnapfel, Jakob Lebel und Rheinische­r Winterramb­ur. „Die darf man nie umsägen“, sagt die 64-Jährige. Weil der Biber an einem Stamm genagt habe, werde auch nachgepfla­nzt.

Das Programm zur Erfassung und zum Erhalt alter Apfel- und Birnensort­en im nördlichen Schwaben läuft noch bis zum Jahr 2020. Kontakt: Landratsam­t, Paul Buß, Telefon 0906/74-255

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Fotos: Wolfgang Widemann Unglaublic­h groß ist die Vielfalt der Apfel- und Birnensort­en in der Region. Bei einer Obstausste­llung in Ebermergen waren rund 200 Sorten zu sehen, darunter auch Raritäten.
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Ingrid Mayer aus Gansheim mit der (noch) unbekannte­n Apfelsorte.
 ??  ?? Thomas Löw (links) und Hans-Thomas Bosch beim Bestimmen der Sorten.
Thomas Löw (links) und Hans-Thomas Bosch beim Bestimmen der Sorten.

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