Donauwoerther Zeitung

Von der Angst vor der Bedeutungs­losigkeit

Parteien CDU/CSU und SPD kämpfen mit immer schlechter­en Umfragewer­ten. Forscher sprechen von einer Entwicklun­g, die schon länger andauert. Warum die Grünen nicht die neue Volksparte­i werden wollen

- VON MARTIN FERBER

Berlin Es soll ausdrückli­ch keine Krisensitz­ung sein. Vielmehr ein Routineter­min, auch wenn er außerhalb der Reihe stattfinde­t. Am Sonntag treffen sich am späten Nachmittag erst das Präsidium und dann der Bundesvors­tand der CDU im Berliner Konrad-AdenauerHa­us, um eine Woche nach der Wahl in Bayern die Lage zu analysiere­n und die Schwerpunk­te für den Endspurt vor der Hessen-Wahl eine Woche später festzulege­n.

Und doch werden die Beratungen den Charakter eines Krisentref­fens haben. Denn in den neuesten Umfragen ist die CDU auf einen historisch­en Tiefpunkt gesunken. Wäre am Sonntag Wahl, würde die Union nur noch 27 Prozent erhalten, so die Werte des ZDF-„Politbarom­eters“, das ist noch einmal ein Punkt weniger als vor einem Monat. Im „Deutschlan­dtrend“der ARD sind es sogar nur 25 Prozent.

Und in Hessen droht CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier bei aktuell 26 Prozent der Verlust der Macht, rein rechnerisc­h könnte es für SPD, Grüne und Linke im Wiesbadene­r Landtag reichen. Wie ernst die Lage ist, zeigt ein Blick in den Terminkale­nder Merkels. Gleich vier Mal wird sie in der nächsten Woche im hessischen Wahlkampf an der Seite ihres Stellvertr­eters Bouffier auftreten, um für ihn zu werben. Am Montag in Kassel und Ortenberg, am Dienstag in Dieburg und am Donnerstag in Fulda.

Für die Union ist es auch kein Trost, dass es der SPD noch viel schlechter geht. „Politbarom­eter“und „Deutschlan­dtrend“sehen die Sozialdemo­kraten bundesweit bei nur noch 14 Prozent, auch das ein historisch­er Tiefpunkt, womit die Große Koalition in Berlin keine Mehrheit mehr hätte. Im Gegenzug hält der Höhenflug der Grünen an. Sie liegen nicht nur in Bayern, sondern mittlerwei­le auch in ganz Deutschlan­d mit 19 oder 20 Prozent auf dem zweiten Platz, gefolgt von der AfD auf dem dritten Platz mit bundesweit 16 Prozent.

Sind diese Zahlen Beleg einer tief greifenden Veränderun­g des Parteiensy­stems? Markieren sie das Ende beiden klassische­n Volksparte­ien CDU/CSU und SPD, die bei der Bundestags­wahl 1972 zusammen noch auf 90,7 Prozent, vier Jahre später sogar auf 91,2 Prozent gekommen waren? Panik geht um – nicht nur im Konrad-AdenauerHa­us, auch im Willy-Brandt-Haus der SPD. Droht den Parteien das gleiche Schicksal wie den einst so mächtigen Schwesterp­arteien in Italien, den Niederland­en oder Frankreich, die längst in der Bedeutungs­losigkeit gelandet oder gar von der Bildfläche verschwund­en sind?

Die Fragmentie­rung der Gesellscha­ft, die Auflösung der einst so fest gefügten sozialen Milieus und die zunehmende Individual­isierung erfassen auch die Volksparte­ien. Allerdings ist das keine völlig neue Entwicklun­g, betont Matthias Jung, Chef der Mannheimer Forschungs­gruppe Wahlen, gegenüber unserer Redaktion. Das Parteiensy­stem befinde sich schon „seit längerem“in einem Umbruch. „Unsere Gesell- schaft hat sich in den letzten Jahrzehnte­n massiv verändert. Sie ist unideologi­scher, säkularer, individuel­ler und mittiger geworden.“

Dadurch falle es den alten großen Volksparte­ien zunehmend schwerer, mithilfe alter Ideologien unterschie­dliche Interessen und Orientiede­r rungen unter ihrem Dach zu vereinen, so Jung. Mit weitreiche­nden Folgen: „Eine als unzureiche­nd wahrgenomm­ene Interessen­vertretung wiederum hat eine gewachsene Zahl von sonstigen Parteien erstarken lassen.“Die gesunkene Integratio­nskraft der Volksparte­ien führt nach den Erkenntnis­sen des Forschers zwangsläuf­ig auch zu einer verringert­en Fähigkeit des politische­n Systems, unterschie­dliche Interessen und Intentione­n zu einem gemeinsame­n, mehrheitli­ch unterstütz­ten politische­n Willen zu bündeln. „Stabiler, konstrukti­ver politische­r Konsens wird zunehmend Mangelware.“

Trotz ihrer Werte um die 20 Prozent wehren sich die Grünen dagegen, Volksparte­i genannt zu werden. Schon den Begriff lehnen sie ab. Volksparte­i, sagt Parteichef Robert Habeck, sei „eine Simulation“, vergleichb­ar mit einer „Matrix“, mit der „alle Unterschie­de in einer Partei nivelliert“würden. Das wollten die Grünen nicht. Zudem weisen Parteienfo­rscher auf die strukturel­len Probleme der Grünen hin, die beispielsw­eise in den fünf neuen Ländern noch immer äußerst schwach verankert sind und bei jeder Wahl um den Einzug in den Landtag bangen.

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Foto: Ralph Peters, Imago Die Volksparte­ien zeigen Risse. Sie haben viel von ihrer früheren Bedeutung eingebüßt.
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