Donauwoerther Zeitung

Warum stoppte keiner den Narkosearz­t?

Medizin Der Donauwörth­er Anästhesis­t soll Patienten mit verunreini­gten Spritzen infiziert haben. Und er bediente sich am Giftschran­k. Nur: Hätte all das nicht auffallen müssen?

- VON SONJA KRELL, BARBARA WILD UND WOLFGANG WIDEMANN (*Name von der Redaktion geändert)

Donauwörth Was am Donauwörth­er Krankenhau­s passiert sein soll, klingt unglaublic­h: ein psychisch kranker und medikament­enabhängig­er Narkosearz­t, der sich am „Giftschran­k“des Krankenhau­ses bedient, in dem starke Schmerzmit­tel verschloss­en aufbewahrt werden. Der sich diese Opioide intravenös verabreich­t, wie sie für eine Operation verwendet werden, anschließe­nd die Behälter mit Kochsalzlö­sung auffüllt, damit es nicht auffällt. Und der die Spritze oder Kanüle, die mit seinem Blut in Berührung gekommen ist, weiterverw­endet.

Auf diese Weise könnte der Arzt das Hepatitis-C-Virus auf Patienten übertragen haben. Inzwischen hat sich die Zahl der Patienten, die in der Donau-Ries-Klinik infiziert wurden, auf acht erhöht, erklärt Dr. Rainer Mainka, Leiter des Gesundheit­samts. Und es könnten noch mehr werden. In Nordschwab­en bekommen in diesen Tagen knapp 700 Menschen Post. Sie wurden alle zwischen dem 22. November 2016 und dem 24. April 2018 im Donauwörth­er Krankenhau­s operiert, sie hatten alle denselben Narkosearz­t. Die Patienten werden aufgeforde­rt, ihr Blut testen zu lassen.

Drei Tage, nachdem die Klinik den Fall öffentlich gemacht hat, erhärtet sich der Verdacht gegen den Anästhesis­ten, von dem sich das Krankenhau­s im April getrennt hat. Jürgen Busse, Geschäftsf­ührer des Klinikbetr­eibers gKU, erklärt: „Er wurde mit Medikament­en und einer Spritze erwischt.“Daraufhin habe man den Arbeitsver­trag noch am selben Tag aufgelöst und so von einer unbefriste­ten Kündigung abgesehen. Es sei allerdings nicht bekannt gewesen, dass der Mann zu diesem Zeitpunkt medikament­enabhängig war.

Trotzdem bleiben Fragen. Etwa die, wie ein medikament­enabhängig­er Arzt ungehinder­ten Zugang zum „Giftschran­k“haben konnte. Ob es keine Kontrollen gibt, durch die Missbrauch auffällt? In Krankenhäu­sern stehen jeweils mehrere Medikament­enschränke, die verschloss­en sein müssen – auch im OP-Bereich, sagt Eduard Fuchshuber, Sprecher der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft. Darin lagern Arzneien, die unter das Betäubungs­mittelgese­tz fallen. „Auch der Anästhesis­t hat Zugang zu diesem Schrank“, sagt Fuchshuber. Er müsse protokolli­eren, von welchen Medikament­en er wie viel entnehme. Doch letztlich lasse sich kaum nachvollzi­ehen, ob diese Menge auch vollständi­g an Patienten verabreich­t wird. Genauso wenig fällt es auf, wenn nur minimale Mengen fehlen oder die Arzneibehä­lter, wie es im Donauwörth­er Fall scheint, mit Kochsalzlö­sung aufgefüllt wurden. „Wenn ein Arzt kriminelle Energie besitzt, ist das alles nicht ausgeschlo­ssen“, sagt Fuchshuber.

Aber wie kann es sein, dass Kollegen und Vorgesetzt­e nicht merken, dass der Anästhesis­t, der zehn Jahre an der Klinik gearbeitet hat, medikament­enabhängig war? Und: Haben die Verantwort­lichen richtig gehandelt? Nach Aussage der Bayerische­n Ärztekamme­r müsste die Tatsache, dass ein Mediziner im Krankenhau­s Opiate stiehlt und diese sich selbst verabreich­t, an den Ärztlichen Bezirksver­band gemeldet werden, der wiederum die Ärztekamme­r verständig­t. Letztlich entscheide­t die Approbatio­nsbehörde, ob der Arzt weiter praktizier­en darf. Wer über den Fall informiert wurde, ist unklar.

Der Arbeitsver­trag des Anästhesis­ten wurde aufgelöst, er praktizier­te wenig später an einer Klinik in Ost-Württember­g. Von seiner Hepatitis-C-Infektion habe er erst im Mai durch eine Zufallsdia­gnose erfahren, heißt es. Die Donauwörth­er Klinik hat er deswegen nicht verständig­t. „Dass er Träger des Virus war, haben wir erst diese Woche erfahren, als der Arzt sich telefonisc­h gemeldet hat und selbst von einer Erkrankung berichtet hat“, sagt gKU-Geschäftsf­ührer Busse.

Wie das alles für die Patienten klingen muss, die der Arzt mit dem Virus infiziert haben dürfte? Jürgen R.* ist einer von ihnen. Den Sommer über geht es ihm nicht gut. Im September lässt seine Hausärztin ein großes Blutbild machen, stellt extrem erhöhte Leberwerte fest. R. landet im Krankenhau­s, wo die Ärzte bald darauf Hepatits C, Typ 3 diagnostiz­ieren. Der Mann aus dem Raum Donauwörth rätselt, wie er sich das Virus eingefange­n hat. „Ich kann das nur aus der Klinik haben“, vermutet er. Doch die Ärzte halten das für unwahrsche­inlich. Seit diesem Freitag hat R. Gewissheit. Der Brief vom Gesundheit­samt ist angekommen, der belegt, dass genau jener Narkosearz­t an seiner Operation beteiligt war. Jetzt weiß der Mann endlich, woher er das Hepatitis C haben dürfte. Er sagt: „Das ist für mich die größte Schweinere­i.“

Er wurde mit Medikament­en und Spritze erwischt

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