Donauwoerther Zeitung

Tanz den Edward Hopper

Theater Einsamkeit und Party: Ulms neues Ballett überzeugt mit „Gesichter der Großstadt“

- VON DAGMAR HUB

Ulm Sieben Wochen hatte der neue Ulmer Ballettdir­ektor Reiner Feistel nur Zeit, um nach seiner Ankunft am Theater mit einer neu geformten Ballettcom­pagnie seine erste Premiere zu choreograf­ieren. Keine leichte Aufgabe, denn die zehn Tänzer seines Ensembles kommen aus neun verschiede­nen Ländern und drei Kontinente­n und waren einander zuvor nie begegnet. Feistel bewältigte die Aufgabe mit seinem Ballettabe­nd „Gesichter der Großstadt“, der vor der Pause eine bereits vor zwei Jahren von ihm für das Theater Chemnitz entwickelt­e und mit dem Sächsische­n Theaterpre­is ausgezeich­nete Choreograf­ie auf die Bühne bringt; nach der Pause nimmt Feistel mit einer Uraufführu­ng auf Ulm als neue Heimat für sich und die Tänzer Bezug.

Das Bühnenbild des Hamburgers Hans Winkler stellt detaillier­t Gemälde des 1882 geborenen New Yorker Malers Edward Hopper nach. Hoppers Thema war die Einsamkeit des modernen Menschen in der Anonymität der Stadt. Feistel lässt die Menschen aus Hoppers Bildern heraustret­en und interpreti­ert die Figuren zu Musik unter anderem von Frank Sinatra und Michael Nyman in ihrer Einsamkeit, in ihrer Suche nach einer Beziehung, in ihrer Isolation, Fremdheit und Melancholi­e. Entspreche­nd distanzier­t gestaltet Feistel selbst die Pas de deux der Choreograf­ie. In den meisten Szenen erscheint die Beziehung der Protagonis­ten als sterile Momentaufn­ahme, bei der wenig zwischenme­nschliche Interaktio­n geschieht.

Am Ulmer Bahnhof beginnt Reiner Feistels Uraufführu­ng. Die Weichenste­llungen der vergangene­n Monate im Leben der Tänzerinne­n und Tänzer spiegeln sich in dieser Choreograf­ie: eine neue Stadt, neue Beziehunge­n, während der Kontakt zu geliebten Menschen aus dem vorherigen Leben nur noch über das Smartphone stattfinde­t. Die Aufgabe, aus zehn Individual­isten ein Team zu formen, hat Feistel ebenso in die Choreograf­ie verpackt wie die Annäherung­en untereinan­der. Wie Touristen bewegen sich die Tänzer im Ulmer Fischervie­rtel, entdecken das Münster, werben umeinander. Auf einer Bank tanzen sich Seungah Park und Gabriel Mathéo Bellucci als keckes Liebespaar in die Herzen des Publikums. Max Richters Neukomposi­tion von Antonio Vivaldis „Die vier Jahreszeit­en“unterlegt die Szenen. Am Ende feiern die Tänzerinne­n und Tänzer mit den Breakdance­rn des Ulmer Jugendkult­ur-Vereins „Undergroun­d Movement“eine bunte Party.

Wieder am 24. und 26. Oktober und am 3., 7., 9. und 13. November.

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Foto: Jochen Klenk Als wär’s ein Bild von Edward Hopper: Luca Scaduto, Edoardo Neviani, Yoh Ebihara in „Gesichter der Großstadt“am Theater Ulm.

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