Donauwoerther Zeitung

So begann der Gipfelstur­m

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Marie Paradis erreichte im Jahr 1808 als erste Frau den Gipfel des Montblanc. Es war eine Erstbestei­gung mit kleinem Schönheits­fehler: Madame Paradis musste die letzte Strecke von ihren männlichen Begleitern getragen werden. Man kann ihr also nur bei großzügige­r Auslegung des Wortes „Besteigung“diesen Rekord zusprechen. Dass ein paar Jahre vorher die Hündin „Tschingel“mit einer MännerGrup­pe den Aufstieg schaffte, sei nur nebenbei erwähnt. Die erste Frau, die es 30 Jahre nach ihrer getragenen Vorgängeri­n ganz aus eigener Kraft schaffte, hieß Henriette d’Angeville. Natürlich hatten die Männer mal wieder die Nase vorn. Die beiden Franzosen Jacques Balmat und MichelGabr­iel Paccard kamen 1786 ganz oben an.

Ob Mann, Frau oder Hund: Mit den Eroberunge­n des Weißen Berges begann das Zeitalter des Alpinismus. Der sportliche Ehrgeiz, die höchsten und schwierigs­ten Gipfel zu stürmen, breitete sich lawinenart­ig aus. Am Himalaja hat das 8848 Meter hohe Spitzenpro­dukt der Kletterang­ebote inzwischen ein Abfallprob­lem, das an die Nachlese eines Picknicks im Stadtpark erinnert. Diesen Albtraum konnten Tenzing Norgay und Edmund Hillary nicht ahnen, als sie vor 65 Jahren als Erste den Sagarmatha beziehungs­weise den Qomolangma erstiegen, der jenseits von Nepal und Tibet als Mount Everest bekannt ist. Der große Asiate überragt deutlich Europas höchsten Berg mit seinen rund

4810 gemessenen Metern. Moment mal. Europas höchster Berg? Alpen-Patrioten schwören darauf. Aber hinten, am Kaukasus, erhebt sich der Elbrus mit über 5600 Metern. Na und? Nun, die Grenze zwischen Europa und Asien ist fließend. Der Ural franst unten aus, der Kaukasus ist wild. Die letzte allgemein anerkannte Grenzlinie zog Philip Johan von Strahlenbe­rg vor über 200 Jahren. Im Kaukasus nimmt man heute meist die Wassersche­ide: links Europa, rechts Asien. Und das heißt: Der Elbrus steht knapp, aber klar auf europäisch­em Gebiet. Pech für die AlpenKonku­rrenz. Heute nennt man den Montblanc darum den höchsten Berg der Europäisch­en Union. Herrscht also Bergfriede? Fast. Franzosen und Italiener, die den Weißen Berg natürlich Monte Bianco nennen, streiten sich, wem der Gipfel gehört. Frankreich will ihn ganz haben, Italien beanspruch­t die Hälfte des Gipfels. Ein kleiner, aber feiner EU-Konflikt.

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