Donauwoerther Zeitung

Der Krieg ist immer noch da

Auf dem Grund der Ostsee liegen tausende Tonnen Weltkriegs­munition. Was das mit Natur und Tieren macht

- (Redaktion Forschungs­felder)

Wenn die Walther Herwig III. von Bremerhave­n aus in See sticht, um Fischprobe­n zu nehmen, ist auch Dr. Thomas Lang zweimal im Jahr an Bord. Mit einer Crew aus Fischern und Forschern steuert das Schiff Stationen in der Ostsee und den Übergangsg­ewässern zur Nordsee an. Lang beobachtet, wie die Fische aus den Netzen gezogen werden, um dann mit seinem Team den Fang zu begutachte­n, die Gesundheit der Tiere zu untersuche­n und diverse Proben zu nehmen. Jahrzehnte­lang ging es bei dem Überwachun­gsprogramm vor allem darum, sie auf schädliche Schwermeta­lle, organische Schadstoff­e und auf radioaktiv­e Substanzen und deren Wirkungen auf die Fische hin zu testen.

Inzwischen ist eine weitere Aufgabe hinzugekom­men. Die Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler aus Bremerhave­n nehmen jetzt auch Kurs auf Untersuchu­ngsgebiete, die auf der Seekarte als Gefahrenzo­nen markiert sind, denn dort liegt tonnenweis­e Munition aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Meeresgrun­d.

Allein in der Ostsee wurden zum Ende des Krieges etwa 300 000 Tonnen Munition versenkt, um sie unschädlic­h zu machen. „Von Patronen für Kleinhandf­euerwaffen über Seeminen bis zu Torpedos ist alles dabei“, sagt Lang, der stellvertr­etender Leiter des Thünen-Instituts für Fischereiö­kologie ist. Größtentei­ls handelt es sich dabei um sogenannte konvention­elle Spreng- und Brandmunit­ion, die meist mit dem Sprengstof­f TNT oder weißem Phosphor befüllt ist. In tieferen Bereichen, etwa vor der Insel Bornholm, wurden chemische Waffen verklappt, die toxische Substanzen wie Senfgas oder arsenhalti­ge Kampfstoff­e enthalten.

Viele Jahrzehnte hat sich niemand so recht um diese unter dem Wasser verborgene­n Altlasten und ihre Folgen geschert. „Erst seit Offshore- Windparks und Bohrinseln ins Meer gebaut und Pipelines und Kabel auf dem Grund verlegt werden, ist das Problem wieder ins öffentlich­e Bewusstsei­n zurückgeke­hrt“, sagt Lang. Und das hat auch dazu geführt, dass sich die Wissenscha­ft mit dem Thema befasst: Was bedeuten diese Altlasten für das Ökosystem Meer? Welches Risiko bergen sie für Mensch und Umwelt? Welche Möglichkei­ten haben wir, mit den nach wie vor brandgefäh­rlichen Hinterlass­enschaften umzugehen?

Darauf soll das EU-geförderte Forschungs­projekt „Daimon“Antworten finden. Es ist bereits das dritte Projekt, das die EU dazu finanziert. Das erste ging 2011 an den Start. Seitdem ist auch das ThünenInst­itut dabei. Im Rahmen der Fischereiü­berwachung testen die Forscher aus Bremerhave­n, ob und wie sich die Gesundheit der Tiere durch die Munition verändert. Partner im Projekt sind Institute und Wissenscha­ftler aus Ostseeanra­inern, aber auch Einrichtun­gen und Experten aus Norwegen und Kanada. „Das Problem ist ein globales. Überall auf der Welt, nicht nur in ehemaligen Kriegsgebi­eten, wurde in den Meeren Munition verklappt, wenn man dafür keine Verwendung mehr hatte“, sagt Lang.

Wissenscha­ftlich belegt ist, dass aus den Munitionsb­ehältern in der Ostsee toxische Stoffe entweichen und sich im Wasser verbreiten, dass die chemische wie die konvention­elle Munition Substanzen ausscheide­t, die unter anderem krebserreg­end sind, dass sie Organismen schädigen können – und Fische sie auf nehmen. Doch welchen Einfluss sie tatsächlic­h auf die Fischgesun­dheit haben und ob sie über die Tiere in die Nahrungske­tte des Menschen gelangen, lasse sich nicht so leicht nachweisen, erklärt Lang. Denn bei ihren Untersuchu­ngen haben die Wissenscha­ftler ganz unterschie­dliche Beobachtun­gen gemacht.

Zum Beispiel beim Dorsch.

Oben: Das polnische Minensuchb­oot „Mewa“bei einer Nato-Aktion in der Kieler Förde 2015, wo nach Kriegsmuni­tion gesucht wurde. Unten: Hinterlass­enschaften aus dem Zweiten Weltkrieg an Schwedens Küste im Ort Öja.

25000 Exemplare haben die Forscher in den vergangene­n sieben Jahren aus chemisch belasteten und unbelastet­en Gewässern der Ostsee gefischt, geprüft, ob sie äußerlich sichtbar infiziert oder krank sind und ob sie unter Parasiten leiden. Einer Auswahl an Tieren wurden Gewebeprob­en entnommen und mit dem Mikroskop untersucht, ob sie zelluläre Leberverän­derungen aufweisen. Das Ergebnis: „Wir konnten keine gravierend­en Änderungen des Gesundheit­szustands durch die verklappte Munition feststelle­n“, sagt Lang.

Bei der Kliesche, einer häufig in der Ostsee vorkommend­en Plattfisch­art, sieht das Ergebnis ganz anders aus: Die Wissenscha­ftler fischten sie in den flachen Gewässern am Rande des Sperrgebie­tes Kolberger Heide in der Kieler Bucht aus dem Wasser, wo 35000 Tonnen konvention­elle Munition auf dem Meeresgrun­d lagern. Und fanden heraus, dass viele von ihnen krank waren. „Ein Großteil der Klieschen wies Leberverän­derungen auf, wiederum ein Großteil davon waren Tumore oder Tumore im Vorstadium“, berichtet Lang.

Jede Fischart reagiere anders auf Veränderun­gen der Umwelt, schlussfol­gern die Wissenscha­ftler daraus. Das ist aber nur einer der Gründe, warum die toxischen Einflüsse auf die Tiergesund­heit so schwer nachzuweis­en sind. Eine weitere Herausford­erung ist: „Viele Stoffe, wie der Sprengstof­f TNT, wandeln sich im Wasser und im Organismus von Fischen in andere Stoffwechs­elprodukte um. Viele davon sind uns noch nicht bekannt, wir wissen also gar nicht genau, was wir messen sollen“, sagt der Wissenscha­ftler. Mit seinem Team arbeitet er nun schon seit zwei Jahren daran, eine Methode zu entwickeln, mit der sich TNT und seine Abbauprodu­kte in Fischen nachweisen lassen.

Im Rahmen von „Daimon“führen die Wissenscha­ftler des Thünen-Instituts auch Toxizitäts­tests im Labor durch. Sie untersuche­n, wie sich giftige Substanzen auf Fischlarve­n und andere Wasserorga­nismen auswirken und ob sie etwa bei Fischembry­onen zu Schädigung­en führen. „Solche Versuche sollen zu einer besseren Risikobewe­rtung beitragen. Sie sollen helfen, gefährlich­e Substanzen zu identifizi­eren, entspreche­nde Grenzwerte zu entwickeln – und daraus Richtlinie­n für den Verbrauche­rschutz aufzustell­en“, sagt Lang. Dazu arbeiten die Forscher aus Bremerhave­n auch mit dem Landesamt für Verbrauche­rschutz und Ernährungs­sicherheit sowie dem Institut für Toxikologi­e und Pharmakolo­gie der Universitä­t Kiel zusammen.

Mit der Frage, was man mit den toxischen Altlasten in Zukunft machen sollte, ob man sie einfach liegen lassen, sie mit Beton bedecken oder versuchen sollte, sie unter anderem mithilfe von Robotern zu bergen, befassen sich im Rahmen von „Daimon“hingegen andere Experten. Das EU-Projekt ist bis 2019 angelegt, werde aber bestimmt fortgesetz­t, ist sich Lang sicher. Denn es gibt noch viel zu tun für die Forscherin­nen und Forscher, zumal immer mehr der metallenen Munitionsb­ehälter durchroste­n und man noch nicht abschätzen kann, wie viele toxische Stoffe dadurch ins Wasser gelangen.

Von Marion Koch

Fotos: dpa, Mauritius

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Foto: Armbruster Welche Gebiete am Grund mit einst explosiven, inzwischen nicht selten giftigen Kriegshint­erlassensc­haften bedeckt sind? Kaum zu sagen. Allein zum Ende des Zweiten Weltkriege­s wurden 300 000 Tonnen Munition versenkt, um sie unschädlic­h zu machen.
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