Frau Präsidentin packt ihre Sachen
Abschied Barbara Stamm räumt das Chefbüro im Landtag. Die 73-Jährige war zehn Jahre lang der Mittelpunkt des Hohen Hauses. Sie geht mit gemischten Gefühlen. Zwei Gläser Sekt zum Abschied müssen da schon sein
München Ein Büro, das hat vier Ecken. Das zentrale Büro im Bayerischen Landtag aber hat ganz besondere Ecken. Es gibt eine Ikonenecke, eine Kinderecke, eine Künstlerecke und eine Urkundenecke. Außerdem gibt es eine Bücherwand, einen in diese Bücherwand integrierten Kleiderschrank, zwei lange, flache Schränke, prallvoll mit Erinnerungsstücken – ja sogar der Platz in den drei großen Fensternischen wird genutzt, um nette Geschenke von netten Menschen aufzuhängen oder abzustellen. Und mittendrin zwischen Umzugskisten, alten Akten und all den Dingen, die so ans Licht kommen, wenn man ausräumt, sitzt Barbara Stamm, die scheidende Landtagspräsidentin, an ihrem Schreibtisch. Zehn Jahre lang war sie hier im wörtlichen wie im übertragenen Sinn der Mittelpunkt des Hohen Hauses. Jetzt packt sie ihre Siebensachen.
Es ist Vormittag. Auf dem Besprechungstisch steht ein kleines Frühstück: Kaffee, Brot, Käse, ein bisschen frisches Obst, Joghurt und süßes Gebäck. Das gehört hier zum guten Stil. Wäre es Nachmittag, gäbe es mindestens Plätzchen zum Kaffee, oder Kuchen. Gäste werden hier nicht abgefertigt. Sie sollen sich wohlfühlen. Und weil über diesem Termin eine gehörige Portion Wehmut liegt, gibt es heute noch etwas mehr. Die Präsidentin fragt: „Frau Weigl, hamma Sekt?“Ulrike Weigl, ihre Büroleiterin, sagt: „Hamma.“
Es wird noch ein paar Tage dauern, bis alles ausgeräumt ist. Die Akten sind das geringste Problem. „Die kommen ins Staatsarchiv oder zur Hanns-Seidel-Stiftung. Die interessieren sich eigentlich für alles“, sagt Stamm. Die Bücher müssen noch aussortiert werden. Ein Teil kommt in die Landtagsbibliothek, ein Teil heim nach Würzburg. Ist da so viel Platz? Stamm: „Mein Mann hat eine Bibliothek mit mehreren tausend Büchern. Er erweitert immer wieder, Jahr für Jahr. Und der Thomas, unser Sohn, ist auch ganz narrisch. Er hat gesagt, kein Buch kommt weg.“Und die vielen Geschenke? „Alle offiziellen oder wertvollen Gastgeschenke sind draußen in den Vitrinen oder werden hier im Landtag im Keller verwahrt“, sagt Stamm. Das bleibe selbstverständlich alles hier.
Viele Sachen im Büro dagegen haben mit ihrem Amt nur indirekt oder gar nichts zu tun oder haben nur ideellen Wert. Stamm ist nicht nur Landtagspräsidentin. Sie ist – unter anderem – auch Vorsitzende der Lebenshilfe in Bayern, Präsidentin des Volkshochschulverbandes, Vorsitzende von Health Care und Ehrenvorsitzende des Caritasverbandes. Sie engagiert sich – unter anderem – als Schirmherrin für verschiedene soziale Projekte, sitzt im Hochschulrat der Technischen Universität München, unterstützt den Verein „Hilfe im Kampf gegen den Krebs“und viele kleinere Initiativen im Benefizbereich. Alles ehrenamtlich. Da kommt über die Jahre einiges an persönlichen Erinnerungsstücken zusammen.
Am augenfälligsten im Präsidentinnen-Büro sind die Ikonen, die Stamm im Verlauf ihrer fast 30-jährigen Tätigkeit für die Rumänienhilfe bekommen hat. Darunter ein Prachtstück, das ihr der Patriarch der rumänisch-orthodoxen Kirche geschenkt hat. Die Ikone stellt – wie könnte es anders sein – die heilige Barbara dar. Jedes Stück erzählt eine Geschichte – die Urkunden und Faschingsorden in der Urkundenecke, die Bilder in der Künstlerecke. Das meiste Herzblut aber ist in der Kinderecke daheim. Hier wird es sehr privat: Familienfotos, Kinderzeichnungen, kleine Geschenke für die Mutter und Großmutter – und eine Puppe, als „Gesprächspartner“für schwere Stunden.
Alles, was von besonderer Bedeutung ist, zieht mit um in das neue Büro in München, das einer frisch ausgeschiedenen Landtagspräsidentin ebenso zusteht wie einem frisch ausgeschiedenen Ministerpräsidenten – übergangsweise, fünf Jahre lang, mit etwas Personal und dem Recht, die Fahrbereitschaft des Landtags zu nutzen. Anders, so sagt Stamm, könnte sie die vielen Aufgaben, die ihr noch bleiben, nicht beso wältigen. „Ich bin schließlich nicht mehr die Jüngste“, sagt die 73-Jährige. Rund 20 „große Termine“sind für das kommende Jahr bereits fest gebucht. Die Präsidentin fragt: „Frau Weigl, was hamma sonst noch?“Frau Weigl bringt eine Mappe voller noch unbeantworteter Einladungen, etwa zehn Zentimeter dick. Jede Menge Zeug. „Und da sind die Lebenshilfe-Termine noch gar nicht dabei“, sagt Stamm.
Wenn das Büro leer ist, wird sie es so an ihre designierte Nachfolgerin Ilse Aigner übergeben, wie sie es von ihrem Vorgänger Alois Glück übernommen hat. „Ich habe hier damals nichts geändert“, sagt Stamm. Die Möbel, der Schreibtisch, der Teppich – alles war 2008 schon da. Nur ihre Vorhänge aus ihrem früheren Büro hatte sie damals mit hierher gebracht.
Die Präsidentin konzentrierte sich in ihrer zehnjährigen Amtszeit auf Projekte, die ihr wichtiger waren: die Herstellung von Barrierefreiheit im Landtag, die Einrichtung einer Kindertagesstätte für Mitarbeiter
Eine Bibliothek mit mehreren tausend Büchern
Nur eine dringliche Aufgabe blieb unerledigt
und Abgeordnete („Da bin ich richtig stolz drauf!“) sowie eines Mutter-Kind-Raumes, die technische Sanierung des riesigen Kellers, die Errichtung des Konferenzbaus im Nordhof und vieles mehr. Nur eine dringliche Aufgabe hat sie nicht mehr erledigen können: die Errichtung eines Besucherzentrums für die über 70 000 Bürger, die sich Jahr für Jahr vor Ort über die Arbeit im Landtag informieren.
Stamm geht, wie sie sagt, „mit gemischten Gefühlen“. Sie werde besonders ihre engsten Mitarbeiter vermissen: die Büroleiterin, die Damen im Vorzimmer, Landtagsdirektor Peter Worm, die Pressesprecher. „Hier in dieser Truppe hat der menschliche Zusammenhalt immer gestimmt“, sagt Stamm. Und in ihrem Büro habe sie sich bis zuletzt wohlgefühlt. Erst am Vorabend sei sie nach ihrer letzten Verwaltungsratssitzung beim Bayerischen Rundfunk noch einmal hierher gekommen. Sie habe gespürt, dass ihr der Abschied schwerfällt. Und weil keine CSU-Abgeordneten da waren, mit denen sie sich im „Ritzi“, ihrem Stammlokal hinter dem Landtag, hätte treffen können, habe sie noch drei Stunden gearbeitet. „Komischerweise ging es mir hinterher besser“, sagt Stamm. Dann bestellt sie noch ein zweites Glas Sekt. Frau Weigl ist zur Stelle – wie immer in den vergangenen zehn Jahren.