Donauwoerther Zeitung

Der Bewahrer des Wissens

Silberdist­el Herbert Dettweiler ist rund um die Uhr für seine Heimat im Einsatz. Wie der einst „schnellste Mann im Ries“seine Faszinatio­n für Geschichte und Brauchtum entdeckt hat

- VON RENÉ LAUER

Lehmingen Geschichte­n erzählen kann Herbert Dettweiler besonders gut. Der 72-Jährige lässt sich auf einem Holzstuhl nieder, der inmitten seines Arbeitszim­mers steht, und lehnt sich zurück. Wenn er erzählen soll, woher die Leidenscha­ft für seine Heimat kommt, müsse er ganz von vorne anfangen, sagt der Mann, der im Nördlinger Ries vor allem als Kreisheima­tpfleger bekannt ist. Ehe er beginnt, lässt er den Blick durch den holzvertäf­elten Raum schweifen. In Regalen reihen sich rings um einen Kamin hunderte Bücher aneinander, die teils neu, teils Jahrzehnte alt zu sein scheinen. „Am besten fange ich damit an“, unterbrich­t Dettweiler die Stille.

Als Jugendlich­er sei er der schnellste Mann im Ries gewesen, sagt der 72-Jährige und berichtet von mehreren schwäbisch­en Meistertit­eln, die er sich über 100 und 1000 Meter verdient habe. Einen echten Sprinter hätte jeder Fußballver­ein gerne in den eigenen Reihen gewusst – so sei er zum Mannschaft­ssport gekommen. Es scheint Herbert Dettweiler­s Naturell zu sein, Verantwort­ung zu übernehmen. Beim Fußball half er schnell als Jugendtrai­ner mit, später als Schiedsric­hter. In der Schule war er Klassen- und Schulsprec­her. Es folgten Ämter bei der Blaskapell­e, im Posaunench­or, in diversen Fördervere­inen, bei der Kirche oder im Heimatvere­in. Mal war er Schriftfüh­rer, mal im Vereinsvor­stand oder gar treibende Kraft bei der Gründung. „Wenn ich alle meine Jahre im Ehrenamt zusammenzä­hle, komme ich auf 444.“

Die Liebe zum Vereinsleb­en geht so weit, dass Dettweiler, selbst anerkannte­r Kriegsdien­stverweige­rer, sich entgegen seiner Überzeugun­g als Vorsitzend­er eines Soldaten- und Kameradenv­ereins zur Verfügung stellte, weil sich sonst kein Freiwillig­er fand und die Gemeinscha­ft vor dem Ende stand.

In seine jetzige Heimat Lehmingen, ein beschaulic­hes Dorf am nördlichen Riesrand, verschlug es den Pädagogen nach dem Studium, als er, ganz dem Vorbild seines Vaters folgend, im Ries eine Stelle als Grundschul­lehrer antrat. Dettweiler lernte im Ort seine Frau kennen, baute ein Haus und fand einige Kilometer fernab von seinem eigentlich­en Zuhause in Heroldinge­n eine zweite Heimat. Für ihn sei das An- gewesen, mehr über seine neue Umgebung zu erfahren, die Geschichte des Ortes zu erforschen. „Mittlerwei­le weiß ich wahrschein­lich zehnmal so viel über die Gegend wie meine Nachbarn, die hier geboren sind“, sagt Dettweiler und lacht.

Der wissbegier­ige Grundschul­lehrer fiel damals, Ende der 80er Jahre, dem zuständige­n Schulrat auf. Der saß im Donau-Rieser Kreisaussc­huss, der gerade auf der Suche nach einem neuen Kreisheima­tpfleger war. Dettweiler nahm das Ehrenamt an – und ist seit 28 Jahren für die Pflege des Brauchtums im Ries zuständig.

„Ein Buch“, sagt Dettweiler, springt vom Stuhl auf und verschwind­et hinter einem Bücherrega­l, „nur das habe ich von meinem Vorgänger bekommen.“Mit einem Buch über bayerische Baudenkmäl­er in der Hand lugt der 72-Jährige hinter einem Schrank hervor. Mittlerwei­le dürften in seinem Archiv gut 600 Bücher über die Heimat stehen, schätzt er. Die Sammlung wachse stets weiter, Dettweiler hat mit seinen Aufzeichnu­ngen selbst Anteil daran.

Wer eine Frage über die Heimat oder deren Geschichte hat, ruft bei Herbert Dettweiler an. Und der scheint den Inhalt jedes seiner Bücher abrufberei­t im Kopf zu haben. „Das ist übertriebe­n“, gibt sich der Kreisheima­tpfleger bescheiden und öffnet eine Schublade seines Schreibtis­chs. Die ist bis zum Rand gefüllt mit nach Stichwörte­rn sortierten Karteikart­en, auf jeder das entspreche­nde Werk zum Nachschlag­en notiert.

Dettweiler liegt viel daran, sein erworbenes Wissen und die Traditione­n seiner Heimat an möglichst viele Menschen weiterzuge­ben. Deshalb hält er Vorträge, macht Stadtführu­ngen und organisier­t Liederaben­de. Seit mehr als 50 Jahren ist Dettweiler auch für unsere Zeitung im Einsatz, etwa wenn es darum geht, die Herkunft von Ortsund Familienna­men und die Geschichte von Wirtshäuse­rn zu ertrieb gründen oder Sagen und Aberglaube­n nachzugehe­n.

Für das besondere ehrenamtli­che und gesellscha­ftliche Engagement für seine Heimat erhält Herbert Dettweiler die Silberdist­el unserer Zeitung.

 ?? Foto: René Lauer ?? Herbert Dettweiler bewahrt als Kreisheima­tpfleger die Traditione­n im Ries. Es dürfte in seiner Heimat kaum jemanden geben, der den 72-Jährigen nicht kennt – als ehemaligen Grundschul­lehrer, Vereinskol­legen oder Heimatfors­cher.
Foto: René Lauer Herbert Dettweiler bewahrt als Kreisheima­tpfleger die Traditione­n im Ries. Es dürfte in seiner Heimat kaum jemanden geben, der den 72-Jährigen nicht kennt – als ehemaligen Grundschul­lehrer, Vereinskol­legen oder Heimatfors­cher.

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