Dem Wintersport geht der Winter aus
Dem Wintersport kommt der Winter abhanden. Das ist bedauerlich für diesen Sport. Denn der steht ohne Winter ziemlich nackt da. Dem Klimawandel ist das egal. Er treibt uns den Winter aus. Der Schnee zieht sich in immer höhere Lagen der Alpen zurück. Dorthin, wo die letzten Gletscher vor sich hin schmelzen. Auf diesen drängeln sich im Sommer Skifahrer aus ganz Europa, um auf dem Untergrund zu trainieren, dem sie ihre Existenz als Wintersportler verdanken. Viele fliegen gleich auf die andere Erdhalbkugel und rasen dort die Hänge der chilenischen Anden hinab. Um konkurrenzfähig zu bleiben, ist das oft unumgänglich. Dass die Sportler damit munter an ihrer Arbeitsgrundlage sägen – geschenkt.
Jedes Jahr bizarrer wirkt vor diesem Hintergrund der Saisonauftakt des Skiweltcups in Sölden. Ende Oktober soll dem sonnengebräunten Flachlandbewohner signalisiert werden, dass er in absehbarer Zeit seine Bretter wieder aus dem Keller holen kann. Während er im T-Shirt Latte macchiato schlürft, sieht er am Wochenende den schnellsten Skifahrern der Welt dabei zu, wie sie dem Rettenbachferner zu Leibe rücken.
Parallel zum Schnee kommen dem Wintersport aber auch die Gastgeber abhanden. Das hat vor allem mit dem olympischen Motto der jüngeren Vergangenheit zu tun. „Größer, teurer, noch größer“wurden Sommer- wie Winterspiele. Während der Sommer aber zumindest klimatisch auf dem Vormarsch ist, droht der Winter den Anschluss zu verlieren. Sotschi 2014, Pyeongchang 2018 und (höchstwahrscheinlich) Peking 2022 sind abschreckende Beispiele dafür, wie man diesem einst so wunderbaren Ereignis die Magie entzieht. Viele Milliarden flossen und fließen dort in Prestigeprojekte ortsansässiger Politiker. Die ebenfalls ortsansässigen Nicht-Politiker wurden vorsichtshalber nicht nach ihrer Meinung gefragt.
Auf der Suche nach künftigen Gastgebern scheint dieses Modell das einzig brauchbare. Denn wer fragt, verliert. In den Alpen, der Wiege des Wintersports, fielen zuletzt gleich drei olympische Projekte bei Volksabstimmungen durch: Innsbruck, Graubünden und Sion. Die Münchner lehnten schon 2013 dankend ab.
Für die Winterspiele 2026 sind noch Calgary, Stockholm und Mailand im Rennen. In Stockholm regt sich massiver Widerstand. Calgary stimmt Mitte November ab. In Mailand ist die Finanzierung komplett offen. Am 11. Januar müssen die drei Bewerber ihre Unterlagen beim IOC einreichen. Gut möglich, dass der Wintersport plötzlich ganz nackt dasteht.