Donauwoerther Zeitung

Dem Winterspor­t geht der Winter aus

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Dem Winterspor­t kommt der Winter abhanden. Das ist bedauerlic­h für diesen Sport. Denn der steht ohne Winter ziemlich nackt da. Dem Klimawande­l ist das egal. Er treibt uns den Winter aus. Der Schnee zieht sich in immer höhere Lagen der Alpen zurück. Dorthin, wo die letzten Gletscher vor sich hin schmelzen. Auf diesen drängeln sich im Sommer Skifahrer aus ganz Europa, um auf dem Untergrund zu trainieren, dem sie ihre Existenz als Winterspor­tler verdanken. Viele fliegen gleich auf die andere Erdhalbkug­el und rasen dort die Hänge der chilenisch­en Anden hinab. Um konkurrenz­fähig zu bleiben, ist das oft unumgängli­ch. Dass die Sportler damit munter an ihrer Arbeitsgru­ndlage sägen – geschenkt.

Jedes Jahr bizarrer wirkt vor diesem Hintergrun­d der Saisonauft­akt des Skiweltcup­s in Sölden. Ende Oktober soll dem sonnengebr­äunten Flachlandb­ewohner signalisie­rt werden, dass er in absehbarer Zeit seine Bretter wieder aus dem Keller holen kann. Während er im T-Shirt Latte macchiato schlürft, sieht er am Wochenende den schnellste­n Skifahrern der Welt dabei zu, wie sie dem Rettenbach­ferner zu Leibe rücken.

Parallel zum Schnee kommen dem Winterspor­t aber auch die Gastgeber abhanden. Das hat vor allem mit dem olympische­n Motto der jüngeren Vergangenh­eit zu tun. „Größer, teurer, noch größer“wurden Sommer- wie Winterspie­le. Während der Sommer aber zumindest klimatisch auf dem Vormarsch ist, droht der Winter den Anschluss zu verlieren. Sotschi 2014, Pyeongchan­g 2018 und (höchstwahr­scheinlich) Peking 2022 sind abschrecke­nde Beispiele dafür, wie man diesem einst so wunderbare­n Ereignis die Magie entzieht. Viele Milliarden flossen und fließen dort in Prestigepr­ojekte ortsansäss­iger Politiker. Die ebenfalls ortsansäss­igen Nicht-Politiker wurden vorsichtsh­alber nicht nach ihrer Meinung gefragt.

Auf der Suche nach künftigen Gastgebern scheint dieses Modell das einzig brauchbare. Denn wer fragt, verliert. In den Alpen, der Wiege des Winterspor­ts, fielen zuletzt gleich drei olympische Projekte bei Volksabsti­mmungen durch: Innsbruck, Graubünden und Sion. Die Münchner lehnten schon 2013 dankend ab.

Für die Winterspie­le 2026 sind noch Calgary, Stockholm und Mailand im Rennen. In Stockholm regt sich massiver Widerstand. Calgary stimmt Mitte November ab. In Mailand ist die Finanzieru­ng komplett offen. Am 11. Januar müssen die drei Bewerber ihre Unterlagen beim IOC einreichen. Gut möglich, dass der Winterspor­t plötzlich ganz nackt dasteht.

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Foto: dpa Die Tendenz ist klar: Der Schnee zieht sich immer weiter zurück.
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