Donauwoerther Zeitung

Rechnen ist Macht

Europas schnellste­r Computer steht nun in Garching bei München. Hier lernt man, warum Daten der Rohstoff der Zukunft sind – und was das weltweite Wettrennen der Superhirne mit unserem Leben zu tun hat

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Die letzte Stahltür geht auf – und mit einem Mal steht man in einer Wolke aus Lärm. Ein hohes metallisch­es Sirren, unterlegt von einem tieffreque­nten Brummen. Was da so lärmt, sind quasi Puls und Blutkreisl­auf von Europas mächtigste­r Rechenmasc­hine. Die Luft ist warm wie im Schwimmbad, aber trocken, und der Krach kommt von zigtausend­en, auf hohen Touren drehenden Lüftern und ebenso vielen Netzteilen. Nähert man sich den schwarzen, wandschran­kgroßen Computertü­rmen, mit denen der hallengroß­e Raum vollgestel­lt ist, sieht man darin ungezählte grüne LED-Lämpchen hektisch blitzen. Blingbling­bling – und die Probleme der Zukunft werden kleiner.

Wir stehen vor SuperMUC NG, dem schnellste­n Computer Europas, wahrschein­lich einer der fünf schnellste­n Rechner der Welt. Er ist vor kurzem im Leibniz-Rechenzent­rum der Bayerische­n Akademie der Wissenscha­ften (LRZ) in Garching, im Norden von München, in Betrieb gegangen. Im sogenannte­n Rechnerwür­fel des Instituts, ein dreistöcki­ges, bis zum Dach mit Technik gefülltes Gebäude neben dem Hauptbau der Institutio­n, werkeln noch die Techniker. Eine Leiter steht da und im Boden fehlt eine Abdeckplat­te, das Loch gibt den Blick frei auf Rohre und Kabel, die in einem Zwischenbo­den laufen.

Herbert Huber ist unser Führer durch den streng abgeschirm­ten Bau. Er ist hier Leiter der Abteilung Hochleistu­ngssysteme und kennt das dröhnende Ungetüm vor uns wohl besser als irgendjema­nd sonst. Und wenn man auch nicht gleich versteht, was die rätselhaft­e schwarze Maschine macht, so ist doch schnell klar: Wie wir auf Luft und Nahrung angewiesen sind, braucht Kühlung und Strom. Viel Strom. Im Normalbetr­ieb schluckt sie davon so viel wie 5000 Haushalte. Dabei gilt der SuperMUC NG in der Welt der Supercompu­ter als Vorreiter in Sachen Energieffi­zienz. Auf der ganzen Welt gibt es immer mehr solcher Supercompu­ter. Doch der Hunger nach ihrer Rechenleis­tung wächst noch schneller.

Unsere physische Welt transformi­ert sich gerade mit rasanter Geschwindi­gkeit in eine Welt aus Daten. Längst wird unser Leben von Computern bestimmt. Algorithme­n, also Computerpr­ogramme, sagen uns, welche Musik wir mögen und welche Leute wir kennen. Wie das geht, weiß keiner so genau. Aber man kann das in seinen Alltag integriere­n. Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlich­keit vollzieht sich im Hintergrun­d ein viel weiter reichender Wandel: Autofahren – ob Elektro- oder Verbrennun­gsmotor – müssen wir bisher noch selbst. In Zukunft sollen selbstfahr­ende Autos ihre Passagiere zu Hause abholen und vollautoma­tisch an ihr Ziel bringen.

Wer krank ist, geht heute zum Arzt, und der entscheide­t, welche Therapie sinnvoll ist, ob eine Operation oder ein Medikament nötig sind. In Zukunft sollen Computer dabei helfen, Röntgenbil­der und andere Analysedat­en auszuwerte­n. Patienten, etwa bei der Krebsthera­pie, werden eine individuel­l auf ihre genetische­n Voraussetz­ungen maßgeschne­iderte Therapie bekommen.

Wenn Städte und Gemeinden heute neue Bau- und Industrieg­ebiete ausweisen, müssen sie den Hochwasser­schutz berücksich­tigen. Die Vorhersage­n, welche Gebiete davon betroffen sein könnten und welche sicher sind, beruhen auf Modellen, die mit vielen Rundungen und Vereinfach­ungen berechnet werden. In Zukunft sollen die Auswirkung­en von Wettererei­gnissen, die etwa zu Hochwasser führen können, auf wenige Meter genau angegeben werden können.

Damit all das – und noch viel mehr – Wirklichke­it werden kann, braucht man Hochleistu­ngscompute­r wie den SuperMUC NG. Wissenscha­ftler können mit ihnen Vorhersage­n treffen, mit einer Genauigkei­t, die alles Bisherige in den Schatten stellt. Dieter Kranzlmüll­er, der Chef des LRZ, sitzt in einem Besprechun­gszimmer und erklärt, warum die 96 Millionen Euro für den SuperMUC NG und seinen Betrieb während sechs Jahren, bezahlt je zur Hälfte vom Bund und vom Freistaat Bayern, sehr gut angelegtes Geld sind: „Mit Supercompu­tern können wir anhand von Simulation­en Dinge probieren, die wir in der Realität nicht probieren können. In der Astrophysi­k etwa ist es ganz klar: Was passiert, wenn Gravitatio­n anders wirken würde? Oder in der Strömungsm­echanik, ein anderer Bereich, der bei uns am SuperMUC NG ganz wichtig ist: Wie lässt sich die Leistungsf­ähigkeit von Flugzeugtu­rbinen verbessern? Das hat damit zu tun, wie die Luft über Rotorblätt­er geht. Wenn das gelingt, haben alle etwas davon: Weil Flugzeuge weniger Kerosin brauchen, weniger Abgase ausstoßen, weniger Lärm produziere­n.“

Klimawande­l, Gesundheit, Energie, Sicherheit – so viele Forschungs­felder arbeiten mit Simulation­en, dass nicht alle Wissenscha­ftler, die wollen, Rechnerzei­t am Susie perMUC NG bekommen. Wer am SuperMUC rechnen will, muss einen Antrag schreiben. Über den wird dann von einem Gremium von Fachwissen­schaftlern entschiede­n. Das LRZ sorgt nur für den reibungslo­sen Betrieb der ausgewählt­en Simulation­en. Auf dem Vorgängers­ystem des SuperMUC NG, das hier 2012 in Betrieb ging und damals auch einige Zeit lang der schnellste Rechner Europas war, konnten so über 750 Forschungs­projekte abgewickel­t werden.

Die Leistung neuer Computerch­ips verdoppelt sich noch immer alle 18 bis 20 Monate. Neue Prozessore­n rechnen dann bei gleichem Energiebed­arf doppelt so schnell oder können die gleichen Berechnung­en mit halbiertem Energiever­brauch durchführe­n. Darum geht der alte SuperMUC von 2012 nächstes Jahr vom Netz: Er ist einfach zu teuer im Betrieb im Vergleich mit SuperMUC NG. Schon jetzt planen Kranzlmüll­er und sein Team nicht nur eine bereits genehmigte Erweiterun­g für den neuen Rechner, sondern ein komplett neues System, das in sechs Jahren ans Netz gehen soll.

26,9 Petaflops Rechenleis­tung haben die 311040 wassergekü­hlten Prozessore­n des SuperMUC NG aktuell. Flops ist eine Abkürzung aus dem Englischen und bedeutet übersetzt „Gleitkomma-Operatione­n pro Sekunde“. Eine Operation ist einfach ein Rechenschr­itt wie etwa das Addieren oder Multiplizi­eren von Zahlen. Der SuperMUC NG schafft also 26,9 Billiarden Rechenoper­ationen pro Sekunde. Wenn alle gut sieben Milliarden Menschen der Welt auf einem Taschenrec­hner vier Rechenschr­itte pro Sekunde ausführen könnten, läge ihre Rechenleis­tung noch knapp vor dem Superrechn­er. Mensch gegen Maschine – in dieser Disziplin ist der Wettbewerb entschiede­n.

Der schnellste Rechner weltweit steht seit kurzem wieder in den USA: Summit heißt er, gehört dem Oak Ridge National Laboratory in Tennessee und schafft den Spitzenwer­t von 122,3 Petaflops. Sechs der zehn schnellste­n Rechner der Welt stehen in den USA. Allerdings hat China auf der Liste der 500 schnellste­n Computer in den vergangene­n Jahren rasant aufgeholt. Die Liste wird von den Universitä­ten Mannheim und Tennessee zweimal im Jahr erstellt und abwechseln­d in den USA und in Deutschlan­d vorgestell­t. Gemessen wird mit einem standardis­ierten Programm. LRZChef Kranzlmüll­er und sein Team mussten ihren Messwert bis vergangene­n Donnerstag einreichen. Bei der Supercompu­terkonfere­nz vom 11. bis 16. November in Dallas werden sie dann erfahren, ob SuperMUC NG wie erwartet auf einem der vordersten Plätze landet.

Sicher ist, dass der Garchinger Superrechn­er einer der größten Rechner ist, der ausschließ­lich der zivilen Nutzung dient. Staatliche Supercompu­ter dienen oft militärisc­hen Zwecken. Atombomben­explosione­n kann man etwa unauffälli­ger und billiger simulieren als in echt herbeiführ­en. Aber auch Technologi­en zur Überwachun­g und Sicherung digitaler Daten brauchen Supercompu­ter. In Garching darf auch die Industrie nur in Forschungs-Kooperatio­nen rechnen und nur, wenn die Ergebnisse veröffentl­icht werden. Das kann durchaus für beide Seiten gewinnbrin­gend sein, wie Kranzlmüll­er erklärt. Aber immer mehr Konzerne kaufen sich gleich selber einen Superrechn­er.

Rund die Hälfte der Top-500Rechner gehören in diese Kategorie. Die Chemie- und Pharmaindu­strie kann etwa Prozesse und Reaktionen simulieren und kommt so viel schneller und günstiger zu Ergebnisse­n und neuen Produkten. Auch im Automobil- und Flugzeugba­u geht ohne Simulation­en gar nichts mehr. Kurz: Rechenkapa­zität entscheide­t über die Wettbewerb­sfähigkeit. Die strategisc­he Bedeutung des Hochleistu­ngsrechnen­s hat inzwischen auch die Europäisch­e Kommission erkannt. Das eigens gegründete Unternehme­n EuroHPC mit Sitz in Luxemburg soll nun in kurzer Zeit und mit einem Budget von anfangs 1,4 Milliarden Euro den Rückstand auf die Weltspitze aufholen.

Bis 2021 soll das EU-Unternehme­n zwei Supercompu­ter anschaffen, die zu den fünf schnellste­n der Welt gehören und noch mindestens zwei weitere, die zu den 25 besten gehören. Perspektiv­isch soll auch die Technologi­e dafür aus Europa kommen. Wo diese Superrechn­er stehen sollen, ist noch offen. Klar ist, dass man zur Einhaltung dieses ambitionie­rten Zeitplans auf vorhandene­s Wissen zurückgrei­fen muss. Wie Kranzlmüll­er sagt, plant das LRZ in Sechs-Jahres-Schritten. Und Platz braucht man auch.

Den gibt es im Garchinger Rechenwürf­el ja bald wieder. 2019, wenn die ältere, gerade mal sechs Jahre alte und damit bereits veraltete Anlage abgeschalt­et wird. Und in weiteren sechs Jahren ist dann ja auch SuperMUC NG, der – blingbling­bling – schnellste Rechner Europas, bestenfall­s ein Fall für das Museum der Computerge­schichte… Oder ziemlich viel Elektrosch­rott.

Er erlaubt Vorhersage­n, die alles in den Schatten stellen

Ohne Hochleistu­ngsrechnen nicht mehr wettbewerb­sfähig

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Foto: Zimmermann

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