Größer, besser, Istanbul?
Der türkische Präsident Erdogan weiht den Riesen-Flughafen am Bosporus ein – ein umstrittenes Prestige-Projekt. Es wurde in vier Jahren aus dem Boden gestampft. Dabei sind mindestens 30 Bauarbeiter gestorben
„Dieses Riesenprojekt sucht weltweit seinesgleichen“, sagte der türkische Präsident am Montag in der gigantischen Abfertigungshalle des neuen Großflughafens von Istanbul. Ein Vorbild für die ganze Welt sei das Bauwerk, betonte Erdogan bei der Einweihung des Mega-Airports am Schwarzen Meer, der eines Tages der größte der Welt werden soll. Ganz einfach Istanbul solle der neue Flughafen nördlich der Metropole heißen, verkündete Erdogan und beendete damit Spekulationen, er werde den Airport nach sich selbst benennen.
Schon in der ersten Phase sollen bis zu 90 Millionen Passagiere pro Jahr in dem neuen Flughafen abgefertigt werden. Damit würde Istanbul als größtes Drehkreuz in Europa den Londoner Heathrow-Flughafen ablösen. Im Endausbau in zehn Jahren sollen es dann 200 Millionen Passagiere sein. Erdogan will den Airport als Symbol der neuen Türkei verstanden wissen. Auch wenn der Bau noch nicht fertig ist und die Aufnahme des vollen Flugbetriebes deshalb auf Neujahr verschoben werden musste, ist die Regierung stolz darauf, dass sie den Großflughafen in nur drei Jahren aus dem Boden gestampft hat. Viel schneller, als das anderswo geht, etwa im oft verspotteten Berlin.
Doch der Preis für dieses Tempo ist hoch. Nicht alle, die am Flughafen mitgebaut hatten, konnten an der Einweihung teilnehmen. Mehrere Dutzend Arbeitervertreter saßen am Tag der feierlichen Eröffnung in Haft, darunter der Gewerkschafter Özgür Karabulut. Als einer von 35000 Arbeitern schuftete der Vorsitzende der Baugewerkschaft Dev Yapi-Is auf der Großbaustelle außerhalb von Istanbul unter miserablen Bedingungen – und als die Beschäftigten kürzlich aufbegehrten, ließ Ankara viele verhaften.
Karabulut hatte sich für die Rechte der Arbeiter auf der Großbaustelle eingesetzt, auf der er auch selbst schuftete. „Mit unserem Protest wollen wir das Land darauf aufmerksam machen, dass wir hier leben und arbeiten wie im Mittelalter“, sagte Karabulut während eines Arbeiteraufstandes im September. Die Forderungen der Arbeiter waren keineswegs aufrührerisch: Sie wollten ihre ausstehenden Löhne ausgezahlt haben und sie wollten die Bettwanzen aus ihren Unterkünften entfernt haben. Dennoch tauchte die Polizei auf und nahm hunderte Arbeiter als Rädelsführer fest, vor allem die Gewerkschaftsmitglieder.
In der regierungsnahen Presse wurden die Gewerkschafter als Provokateure gebrandmarkt, die im Auftrag feindlicher Mächte das Prestigeprojekt von Staatspräsident Erdogan unterwandern wollten. Özgür Karabulut schüttelte den Kopf über die Behauptung der Regierung, die ganze Welt beneide die Türkei um dieses Projekt. „Worum soll uns die Welt beneiden? Um die vielen Unglücke auf der Baustelle?“
Erdogan konnte den Flughafen am Montag nur symbolisch eröffnen. Der ursprüngliche Plan, den Istanbuler Flugverkehr zum Nationalfeiertag am 29. Oktober quasi über Nacht auf den neuen Airport umzustellen, musste aufgegeben werden, weil der Airport nicht rechtzeitig fertig wurde. Der eigentliche Umzug des Flugverkehrs vom bisherigen Atatürk-Flughafen zum neuen Airport musste auf den 31. Dezember verschoben worden. Bis dahin starten nur zwei Auslandsund drei Inlandsflüge vom neuen Airport. Für Reisende aus Deutschland, für die Fluggesellschaften und für die bisherigen KonkurrenzFlughäfen in Europa und am Golf ändert sich zuerst einmal nichts. Einige Experten rechnen überdies mit einer abermaligen Verschiebung bis März.
Bis der Vollbetrieb am neuen Flughafen startet, gehen die Bauarbeiten mit Volldampf weiter. Kritiker des Projekts befürchten, dass auch die Ausbeutung der Arbeiter fortgesetzt wird. Mindestens 27 Arbeiter sind auf der Flughafenbaustelle schon ums Leben gekommen das räumte die Regierung kürzlich ein, die Opposition spricht von mindestens 38 Toten.
Kritische Fragen dazu hat Ankara nicht gerne. Dem inhaftierten Gewerkschafter Özgür Karabulut wirft die Staatsanwaltschaft Eingriffe in das Recht auf Arbeit vor. Karabuluts Ehefrau Ayla hat ihren Mann bisher nur einmal in der Haft besuchen können. Das Ehepaar hat eine fünfjährige Tochter und erwartet demnächst ein zweites Kind. Ayla Karabulut hat ihrer Tochter nicht sagen können, dass ihr Vater eingesperrt ist: „Ich habe ihr gesagt, dass er auf einer Baustelle ganz weit weg arbeitet.“