Donauwoerther Zeitung

Formel 1 Max Verstappen: Der Rotzlöffel im Rennwagen

Formel 1 Max Verstappen ist an guten Tagen ein brillanter Rennfahrer. An schlechten führt er sich auf wie ein kleines Kind. Manchmal kommt beides zusammen – so wie in Brasilien

- VON ELMAR BRÜMMER

Interlagos Das Gejammer geht schon seit Jahren so, egal wie heftig oder spannend die Auseinande­rsetzungen an der Spitze zwischen Abo-Champion Lewis Hamilton und den besten deutschen Rennfahrer­n sind: Der Formel 1 fehlen die Typen. Aha, denkt man, und guckt derart voreingeno­mmen den Großen Preis von Brasilien an, in dem es um die Konstrukte­urs-WM geht, die dann, wie erwartet, vorzeitig und zum fünften Mal in Folge von Mercedes gewonnen wird. Na, typisch.

Doch dann kamen Samba-Tänzer, die rund um die im Elendsgebi­et von São Paulo gelegene Rennstreck­e folklorist­ische Stimmung in die ganze Welt verbreiten sollen, gar nicht mehr mit im Rhythmus der angeblich so langweilig­en Rennfahrer. Schon am Samstag fährt Sebastian Vettel vor dem entscheide­nden Reifenwech­sel in der Qualifikat­ion ein Hütchen und fast einen Helfer um, als ihn der Zufallsgen­erator auf die Waage zwingt. Der Schaden beträgt 22000 Dollar, 3000 Dollar für ein paar Ersatzkabe­l und eine Ermahnung, packen die Funktionär­e für die Missachtun­g noch drauf. Es hätte den Deutschen auch eine Disqualifi­kation einbringen können.

Max Verstappen, der als Fünfter startet, verschickt zu dem Zeitpunkt eine elektronis­che Kampfansag­e: „Lass’ den Löwen los.“

Die Aufmerksam­keit im Rennen gehört nicht dem späteren Sieger Hamilton, sondern einmal mehr Verstappen. Disziplini­erter über diese Saison sei das Juwel des Rennstalls geworden, meldet dessen RedBull-Vorgesetzt­er Christian Horner, im Cockpit reifer. Aber die Fahrschule Formel 1 ist eben keine Benimmstun­de. In der 44. der 71 Runden kollidiert der grundsätzl­ich kontaktfre­udige Niederländ­er mit dem Hinterbänk­ler Esteban Ocon, der anschließe­nde Dreher kostet ihn den möglichen Sieg. Und jegliche Contenance.

In all dem Gepiepe, das aus Gründen des Jugendschu­tzes über die Funksprüch­e gelegt wird, sticht immer wieder das Wort „Idiot“heraus: „Der hat mir den Sieg geraubt.“Der französisc­he Unfallgegn­er wird für den Crash mit einer Zehn-Sekunden-Strafe belegt, er bleibt dabei, dass er sich zurückrund­en wollte, weil sein Force-IndiaMerce­des zu diesem Zeitpunkt schneller war. Verstappen beharrt auf dem Recht des Stärkeren – und droht schon auf der Auslaufrun­de an, dass der andere ihm besser aus dem Weg gehen solle. Aber die Wiege-Zeremonie ist Pflicht, der zweite Crash programmie­rt.

Es geht hier nicht darum, dass es wenige in der Formel 1 gibt, die Verstappen so richtig mögen – das um Quote bemühte RTL-Personal einmal ausgenomme­n. Es geht auch nicht darum, dass Ocon trotz all seiner Logik einen schweren Fehler gemacht hat. Was das Interesse der Wettbewerb­shüter geweckt hat, waren die Szenen bei der Wiege-Zeremonie. Verstappen geht Ocon, mit dem ihn seit gemeinsame­n Formel-3-Zeiten eine Dauerfehde verbindet, verbal an und schubst ihn zweimal, bis die Rennkommis­sare wie Ringrichte­r dazwischen­gehen. Das ist das Bild, das bleibt von Verstappen, das sich trotz seiner grandiosen Fahrt verfestigt: Einer, der kein Maß und keinen Anstand kennt. Mildernde Umstände könnten das Alter sein. Er ist erst 21. Dazu kommt die enorme Enttäuschu­ng. Vielleicht auch die handfeste Erziehung durch Papa Jos, der jede Eislaufmut­ti in den Schatten stellen würde. Aber den Frust so auszuleben zeigt, dass er sich nicht im Griff hat. Und dass er bei den etablierte­n Piloten kein Mitgefühl bekommt, versteht sich, so oft, wie er denen die Rennen schon im Harakiri-Stil kaputtgema­cht hat.

Im Prinzip ist Ocon, der im Geschwindi­gkeitsvort­eil war, nur die Verstappen-Masche gefahren. Der Emotions-Sünder kam am Ende in Interlagos glimpflich davon, auch die Ethik ist in der Königsklas­se per komplizier­tem Regelwerk genormt. Salomonisc­h urteilte das Schnellger­icht, dass bei aller Aufregung die Sportlichk­eit nicht auf der Strecke bleiben darf. Zwei Tage Sozialdien­st im Auftrag des Automobilw­eltverband­es Fia muss er leisten.

Das milde Urteil dürfte den Trotzkopf eher noch bestätigen, denn Unrechtsbe­wusstsein hat er schon bei früheren Taten nicht gekannt: „Mir ist egal, was die Leute sagen. Ich bin ein Sieger. Und Esteban die Hand zu schütteln, wäre komisch gewesen. Meine richtige Strafe ist, dass ich den Sieg verloren habe. In 15 Jahren kann ich vielleicht darüber lachen.“

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Foto: David Davies Hat seine Emotionen nicht immer unter Kontrolle: Max Verstappen.

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