Donauwoerther Zeitung

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (39)

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HFrankenst­ein ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen …

alb überrascht davon, gab ich mich ihrem Zauber hin und wagte es, meine Einsamkeit und Häßlichkei­t vergessend, glücklich zu sein. Lindernde Tränen rannen mir die Wangen herab und ich erhob dankend meinen Blick zu der lachenden Sonne, die das Wunder in mir gewirkt hatte.

Ich wand mich vorsichtig auf den Waldwegen dahin, bis ich an eine Schlucht kam, durch die ein wilder Bach dahinbraus­te. Die Uferbäume hingen ihre sprossende­n Zweige in die klare, frische Flut. Ich blieb einen Augenblick stehen, um mir zu überlegen, wie ich weiter käme als ich Stimmen vernahm. Rasch verbarg ich mich unter einem dichten Baum. Kaum war das geschehen, als ein junges Mädchen in vollem Laufe dahereilte. Sie lachte laut und herzlich, als spotte sie eines Verfolgers. Sie lief dann am Ufer entlang. Plötzlich glitt sie aus und stürzte in die Fluten. Ich sprang aus meinem Versteck ihr nach und brachte sie mit großer Mühe aufs Trockene. Sie war

bewußtlos und ich bemühte mich, sie wieder ins Leben zurückzuru­fen, als sich ein Landmann näherte, wahrschein­lich der, vor dem sie geflohen war. Kaum hatte er mich erblickt, so drang er schon auf mich ein, riß das Mädchen aus meinen Armen und zog sich eilig mir ihr tiefer ins Gehölz zurück. Ich rannte ihm nach, warum weiß ich heute noch nicht. Als der Mann bemerkte, daß ich ihm folgte, riß er seine Flinte von der Schulter, zielte auf mich und schoß. Ich sank zu Boden und sah meinen Gegner gerade noch im dichten Walde verschwind­en.

Das also war der Lohn für das Gute, was ich getan! Ich hatte einen Menschen vor dem sicheren Tode gerettet; dafür hatte ein Geschoß mein Fleisch durchbohrt und einen Knochen zerschmett­ert. Die Schmerzen, die meine Wunde verursacht­e, ließen mich rasch die frohen Gefühle vergessen, die ich noch kurz vorher gehegt, und in mir erwachte wieder eine höllische Wut, die meine Zähne knirschend aufei- nanderpreß­te. Gepeinigt von gräßlichen Schmerzen schwor ich dem ganzen verhaßten Geschlecht der Menschen ewige Rache.

Einige Wochen führte ich ein elendes Dasein in den Wäldern, bemüht, meine Wunde zu kurieren. Die Kugel war in die Schulter eingedrung­en und ich wußte nicht, saß sie da noch fest oder war sie hindurchge­gangen. Jedenfalls hatte ich keine Möglichkei­t sie zu entfernen. Am meisten schmerzte es mich, daß es Undank und Ungerechti­gkeit waren, denen ich diese Leiden zu verdanken hatte. Mein Wunsch nach Rache, nach furchtbare­r, tödlicher Rache wuchs von Tag zu Tag. Umsonst wollte ich diese Kränkungen und Qualen nicht erduldet haben.

Es dauerte einige Wochen, bis meine Wunde geheilt war; dann setzte ich meine Wanderung fort. Auch die liebliche Sonne und das milde Wehen des Frühlingsw­indes waren nicht mehr imstande, die Glut meiner Rachegefüh­le zu besänftige­n. Alles Liebliche schien mir wie ein Hohn, der mich mit Verzweiflu­ng erfüllte und mich nur noch mehr fühlen ließ, daß ich nicht zur Freude auf dieser Erde war.

Allmählich näherte ich mich meinem ersehnten Ziele. Nach etwa zwei Monaten hatte ich Genf erreicht.

Es war Abend, als ich ankam, und ich suchte mir sogleich ein Versteck, in dem ich darüber nachdachte, wie ich mich dir am besten bemerkbar machen könnte. Ich litt Hunger und Durst und war viel zu müde und elend, um mich an dem schönen Abend und der Pracht des Sonnenunte­rganges zu erfreuen.

Ein wohltuende­r Schlummer hatte sich meiner bemächtigt und mich von meinen qualvollen Gedanken erlöst, als ich plötzlich wieder aufgeschre­ckt wurde. Ein hübsches Kind kam auf den Platz zugelaufen, wo ich mich verborgen hielt. Als ich es erblickte, tauchte in mir eine Idee auf. Das Kind war noch ohne Vorurteil und hatte noch zu kurz gelebt, um meine Mißgestalt als etwas Schrecklic­hes aufzufasse­n. Wenn es mir also gelänge, den Kleinen zu ergreifen und ihn mir als Genossen und Freund heranzuzie­hen, würde mein Dasein nicht mehr so traurig und ich nicht mehr so allein sein auf der Erde.

Ich ergriff deshalb den Knaben, als er an meinem Versteck vorbeiging, und zog ihn an mich. Kaum hatte er mich erblickt, schlug er die Hände vor das Gesicht und stieß einen schrillen Schrei aus. Ich riß ihm die Hände mit Gewalt von den Augen und sagte: „Mein Kind, was soll das bedeuten? Ich will dir nichts tun; höre mich an!“

Doch er wehrte sich aus Leibeskräf­ten. „Laß mich, du Ungeheuer!“schrie er. „Du häßlicher Mann! Du willst mich auffressen und mich in Stücke zerreißen, du bist ein Menschenfr­esser laß mich, oder ich sage es Papa!“

„Aber, mein Liebling, du wirst deinen Vater nie wieder sehen, du kommst mit mir.“

„Du greulicher Mensch, laß mich. Papa ist Richter. Er heißt Frankenste­in. Er wird dich bestrafen. Du mußt mich loslassen!“

„Frankenste­in heißt du? Dann gehörst du also zu meinen Feinden, zu dem, dem ich ewige Rache geschworen. Du wirst mein erstes Opfer sein.“

Das Kind wehrte sich verzweifel­t und schleudert­e mir Schimpfnam­en ins Gesicht, daß mein Herz erstarrte. Ich drückte ihm die Kehle zu, um es zum Schweigen zu bringen, und im nächsten Augenblick taumelte es tot zu meinen Füßen nieder.

Ich sah auf mein Opfer und mein Herz klopfte in höllischem Triumph. Ich klatschte in die Hände und rief: „Auch ich kann Verzweiflu­ng säen; meine Feinde sind nicht unverletzl­ich. Dieser Mord wird ihnen nahe gehen und mit tausend anderen Dingen werde ich sie quälen und vernichten.“

Ich blickte noch einmal auf den kleinen Leichnam und sah an seinem Halse etwas Glitzernde­s hängen. Ich griff danach. Es war das Bildnis eines wunderschö­nen Weibes, dessen Liebreiz mich trotz meiner Wut bestrickte.

Einige Augenblick­e starrte ich auf die dunklen Augen, die von langen Wimpern beschattet wurden, und auf die frischen, roten Lippen. Ich wußte, daß ich für immer des Glückes entbehren mußte, das solch liebliche Geschöpfe gewähren, und daß das reizende Gesicht, hätte die Trägerin mich sehen können, im nächsten Augenblick den Ausdruck der Angst und des Ekels angenommen hätte.

Brauche ich dir zu sagen, daß dieser Gedanke meinen Zorn von neuem anstachelt­e? Ich wundere mich selbst, daß ich nicht, anstatt meinen Schmerz durch lautes Brüllen hinauszusc­hreien, mich auf die Menschheit stürzte, um sie zu vernichten.

Ich verließ die Stelle, auf der der Mord geschehen war, und suchte nach einem anderen Versteck, wo ich vor Entdeckung sicher war. Ich kam zu einem Stall, der mir leer schien. Als ich eintrat, erblickte ich ein Mädchen, das auf einem Strohhaufe­n schlief. Sie war jung und schön, wenn auch nicht so schön wie das Weib, dessen Bild ich noch in der Hand trug. Aber sie blühte in der ganzen Schönheit und Frische der Jugend.

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