Wer nicht ins Ausland floh, starb im KZ
Heimatgeschichte An das Schicksal der Juden, die in Harburg lebten, erinnert jetzt eine Tafel an der ehemaligen Synagoge. Karl Martin Graß berichtet von den Taten der Nazis und über die Opfer
Harburg In der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 wurden Synagogen geschändet sowie Tausende von Juden misshandelt, verhaftet und ermordet. 80 Jahre später fand in Harburg eine Gedenkfeier statt, um an die Opfer zu erinnern. Harburg gehört zu den Orten, die eine jüdische Vergangenheit haben. Über das Schicksal der letzten Juden in der Stadt in der Zeit des Nationalsozialismus referierte Karl Martin Graß.
Bürgermeister Wolfgang Kilian enthüllte an der ehemaligen Synagoge in der Egelseestraße eine Erinnerungstafel. Er wies auf die Ereignisse der Reichspogromnacht hin. Die schmerzliche Erinnerung sei Mahnung, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in unseren Tagen aufzustehen und aktiv zu werden.
Der Bürgermeister dankte dem Ehepaar Tag als Eigentümern der ehemaligen Synagoge für die Zustimmung zum Anbringen der Gedenktafel, dem Autorenteam der „Harburger Hefte“für die Diskussion und den Textentwurf, Günter Pretzl für das Layout und die Beschaffung der Tafel sowie dem Bauhof für die Anbringung. Kilian schloss in seinen Dank Karl Martin Graß ein, der seinen Vortrag im evangelischen Gemeindehaus hielt.
Graß beschrieb die keineswegs spontane, sondern von der NSDAP geplanten und organisierten Ausschreitungen gegen die Juden im Deutschen Reich. Der damals aufgekommene Begriff „Reichskristallnacht“verharmloste die massive Gewaltausübung, die Morde und Massenfestnahmen, er verdeckte auch den sich anschließenden finanziellen Raubzug des Staats gegen die Juden: Auferlegung von 400 Millionen Reichsmark „Schadenersatz“, einer Milliarde Reichsmark Vermögensabgabe und Pfändung aller Versicherungsansprüche.
Graß ordnete die richtigerweise sogenannte „Reichspogromnacht“ein in die sich steigernden Verfolgungsmaßnahmen der NS-Regierung seit 1933 mit ihrer systematischen Verdrängung von Juden aus dem öffentlichen Leben. Er erläuterte die rechtliche Diskriminierung der Juden seit dem Nürnberger Parteitag 1935 und, als letzte Stufe nach der Reichspogromnacht, den im Zweiten Weltkrieg stattfindenden Massenmord am europäischen Judentum.
In Harburg sei nichts Gleicharti- Gemünden am Main, wurde 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert und starb dort am 10. Dezember 1942. Fritz Nebel heiratete 1936 Helene Einstein aus Laupheim. Er besaß noch einen Gewerbeausweis als Viehhändler, der ihm aber Anfang 1938 auf Betreiben des Bürgermeisters und Ortsgruppenleiters der NSDAP, Otto Müller, entzogen wurde.
Fritz und Helene Nebel meldeten sich erst im Sommer 1939 aus Harburg ab, wohnten aber wohl schon 1938 in Augsburg. Am 10. November 1938 wurde Fritz Nebel verhaftet, in das KZ
Dachau eingeliefert und Anfang Dezember wieder entlassen. Im März 1943 wurden er und seine Frau von Augsburg aus in den Osten deportiert; seitdem fehlt von ihnen jede Spur. Die Witwe Mathilde Nebel wohnte allein in ihrem Haus am Marktplatz, war dort bis Juli 1939 gemeldet, aber vermutlich schon 1938 nach Augsburg gezogen. Der Bürgermeister Müller setzte sie unter Druck, ihr Haus billigst an die Stadt zu verkaufen, sie schaffte es aber, das Haus zu dem von ihr gewünschten Preis privat zu veräußern. Mathilde Nebel wurde im Juli 1942 ebenfalls nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 3. August 1942.
Von den nach 1933 noch in Harburg lebenden Juden sind also vier im Holocaust ums Leben gekommen, außerdem elf weitere jüdische Mitbürger, die aus Harburg stammen,
In der Stadt selbst gab es keine Übergriffe
Die Erinnerung an die Verbrechen wachhalten
den Ort aber schon früher verlassen haben (siehe „Gedenken an jüdische Opfer“).
Karl Martin Graß stellte fest, dass seiner Meinung nach alle Bemühungen der vergangenen 70 Jahre, die nationalsozialistische Judenverfolgung historisch aufzuklären, die Verantwortlichen zu bestrafen, die Folgen wiedergutzumachen, diesen Teil unserer Vergangenheit zu „bewältigen“, letzten Endes angesichts der Furchtbarkeit des Holocaust unzureichend bleiben. Sei es nach so langer Zeit nicht zu spät zum Gedenken? Graß meint, dafür sei es genau genommen immer schon zu spät gewesen, andererseits sei es aber nie zu spät, die Erinnerung an die in deutschem Namen begangenen Verbrechen und das sich daraus ergebende Verantwortungsbewusstsein wachzuhalten.